Aus der Schnätzi: Bären, Hirsch und Kuh aber nicht nur

Wer nach Brienz kommt, trifft auf Schritt und Tritt auf altertümliche oder moderne Werke – aus Holz. Wie kommen Leute dazu, aus deren Herstellung ihren Beruf zu machen? Eine Reportage in Ton, Bild und Text.

Heinz Gfeller (67), Leandra Weber (18), Jana Sofie Liebe


Wofür ist Brienz im Berner Oberland bekannt? fragt Marcel Eyer. Fürs Rothorn mit seinem Dampfbähnchen. Für die schöne Lage zwischen See und Bergen. Aber doch in erster Linie fürs Schnitzen! Für die Holzbildhauerei, wie man heute sagt. Und darum gibt’s auch die Schule noch immer, die bei den Einheimischen «Schnätzi» heisst – und die uns grosszügig empfangen hat.

Betritt man das erneuerte Gebäude mitten im alten Dorf, steigt einem der süsse Holzgeruch in die Nase.

Betritt man das erneuerte Gebäude mitten im alten Dorf, steigt einem der süsse Holzgeruch in die Nase; das angenehme Arbeitsklima ist spürbar. Die Räume sind von goldenem Sonnenlicht durchflutet, in vielen Ecken stehen kunstvoll gestalteteWerke der Schüler.

Eintauchen in die Holzbildhauerschule in Brienz. – Bild: Jana Sofie Liebe
Eintauchen in die Holzbildhauerschule in Brienz. – Bild: Jana Sofie Liebe

Die recht weitläufigen Räume müssen abgesucht werden, will man die drei Interview-Partner zusammenrufen. Hier arbeiten die Schüler nämlich häufig individuell, im grossen Werkraum an einem persönlichen Platz oder gar allein in einem Spezial-Zimmer.

«Wie natürlich, wie warm!»

So finden wir die zwei jungen Frauen, die uns eifrig Red und Antwort stehen. Ramona Bächtiger, 27jährig, im 3. Lehrjahr, entwirft in einem Zeichen-Raum gerade ihren Jugendstil-Spiegelrahmen. Camilla Braunger ist 23jährig, im 2. Lehrjahr, sie kommt gerade vom Gips-Bemalen.

Camilla Braunger schnitzt Gesichter. – Bild: Jana Sofie Liebe
Camilla Braunger schnitzt Gesichter. – Bild: Jana Sofie Liebe

Es handelt sich um typische Etappen zu einem Schnitzwerk: Zuerst wird skizziert, dann in Ton oder Plastilin modelliert, danach ein Gipsabguss verfertigt; schliesslich geht’s an die Bearbeitung des Holzes. Holz, das aus der Umgebung stammt; beliebt ist Linde, die sich leicht behauen lässt. Jeder Lehrling verfügt über sein Set von 80 oder mehr Werkzeugen.

Ich habe entdeckt, wie natürlich, wie warm sich Holz anfühlt, wie gerne ich damit arbeite.

Wie kommt man überhaupt zu diesem Berufsfeld – und in diese Schule nach Brienz? Ramona erzählt, sie habe eine Malerlehre absolviert, sich aber etwas Interessanteres gewünscht. «Ich habe entdeckt, wie natürlich, wie warm sich Holz anfühlt, wie gerne ich damit arbeite.»

Strenge Aufnahmeprüfung

Camilla würde gern als Illustratorin arbeiten; dazu bräuchte sie allerdings die Matur. So ist sie denn hier in eine Lehre eingestiegen, welche ihr, etwa wegen den verschiedenen kombinierten Techniken, gut gefällt. Immerhin, ihre Kritik betont sie: Warum verlangen so viele Lehrgänge heute eine Matura? Es sollten doch Talente und Können den Ausschlag geben!

Ramona Bächtiger beim Skizzieren. – Bild: Jana Sofie Liebe
Ramona Bächtiger beim Skizzieren. – Bild: Jana Sofie Liebe

Wer eintreten möchte, muss eine Aufnahmeprüfung bestehen: Da wird gezeichnet, auch etwas modelliert und geschnitzt; Allgemeinbildung kommt dazu. Gesucht werden aber nicht fertige Könner, sondern Leute mit Leidenschaft und Entwicklungspotenzial. Von zirka 30 Angemeldeten werden vielleicht fünf, sechs aufgenommen.
Vier Jahre dauert die Lehre für Holzbildhauerei. In den ersten zwei Jahren sind die Arbeiten vorgegeben; danach wählen die Lehrlinge meist frei. Die Klassen – vier bis neun Teilnehmer eines Jahrgangs, Frauen und Männer etwa zu gleichen Teilen – erhalten auch Blockunterricht, jeweils zweieinhalb Wochen lang, in Allgemeinbildung und Berufskunde. Das seien anstrengende Zeiten, finden die Lehrlinge. Daneben jedoch arbeiten sie in der Werkstatt, zumeist für sich allein, im persönlichen Rhythmus. Sie werden beurteilt – sinnvollerweise für «alles».

Im Beruf überleben

Gelegentlich nimmt die Schule Aufträge an; dafür können die Lehrlinge sich dann melden. Sie werden da nützliche Erfahrungen machen: zeitlich eingeschränkt zu sein, Wünsche der Kunden zu berücksichtigen. Schliesslich gehe es darum zu lernen, wie man im und mit dem Beruf überleben könne.

Bild: Jana Sofie Liebe
Holz – viel davon hat’s in der «Schnätzi» in Brienz. Hier noch unverarbeitet. – Bild: Jana Sofie Liebe

In der Schule herrscht ein offenes und respektvolles Klima. Was den künstlerischen Stil betrifft, werde schon noch eine alte Brienzer Art gepflegt, meinen die Jungen. Die Schule gelte als traditionell, vergli-chen etwa mit solchen in Deutschland – in der Schweiz ist sie die einzige. Es komme vor, dass Ausbildende einen stilistisch bremsen. Doch wer weiss, das Herkömmliche könnte ja mal wieder «in» sein. Im Schulhaus stehen ein paar faszinierende abstrakte Werke.

Ramona Bächtiger möchte einmal ein eigenes Atelier haben. – Bild: Jana Sofie Liebe
Ramona Bächtiger möchte einmal ein eigenes Atelier haben. – Bild: Jana Sofie Liebe

Was sind denn die Aussichten? Für Ramona wie Camilla ist ein eigenes Atelier ein Ziel. Bei Camilla hätte das Illustrieren eventuell nebenher Platz; die Berufsmatur ist ein Thema. Sie werden vielleicht Gebrauchsgegenstände herstellen; es könnten aber auch neue Dinge gefragt sein – nicht nur die Bären, Kühe, Älplerinnen. Im Moment, so finden wir, sind die jungen Bildhauerinnen optimistisch.


Ein erfahrener Praktiker – der «Schnätzer» Marcel Eyer

An der Holzbildhauerschule in Brienz wird das Handwerk des Schnitzens schon seit über 130 Jahren gelehrt und gefördert. Doch wie hat sich die Schule entwickelt? Der Lehrer Marcel Eyer (55) hat selbst in Brienz Schnitzen gelernt.

Marcel Eyer führt das Werkzeug mit grosser Vorsicht. – Bild: Jana Sofie Liebe
Marcel Eyer führt das Werkzeug mit grosser Vorsicht. – Bild: Jana Sofie Liebe

Nach der Ausbildung und der zusätzlichen Meisterprüfung machte er sich im Wallis selbstständig. Vor acht Jahren kam er zurück, um in der «Schnätzi» als Lehrer zu arbeiten und sein Wissen weiterzugeben. Er erklärt, dass sich vor allem der Umgang mit den Schülern verändert habe. Man sei offener geworden und die Schüler seien, verglichen mit früher, freier in dem, was sie tun können. Manchmal müssten sie jedoch gebremst werden, da nicht alle Ideen in Holz realisierbar sind.

Früher war es einfacher, eine Anstellung zu bekommen.

Manchmal können die Schüler auch Aufträge von ausserhalb annehmen, um etwas Berufserfahrung zu sammeln. Erhalten sie einen Auftrag, dürfen sie den Kunden beraten und ohne grossen Einfluss der Lehrer, von der Skizze bis zum Endprodukt, ihr Werk fertigstellen. Für die geleistete Arbeit gibt es auch einen kleinen Lohn. Doch grundsätzlich versucht die Schule, den lokalen Schnätzern keine Konkurrenz zu werden.

Marcel Eyer präsentiert ein Werk. – Bild: Jana Sofie Liebe
Marcel Eyer präsentiert ein Werk. – Bild: Jana Sofie Liebe

Zur Frage nach der Zukunft des Schnitzberufs antwortet Marcel Eyer, dass es früher einfacher war, eine Anstellung zu bekommen. Denn heute wird doch einiges maschinell hergestellt. Wenn auch nie mit der gleichen Qualität und Exaktheit, wie es von Hand möglich ist.

«Für dieses Handwerk braucht es Biss», Marcel Eyer über seinen Beruf. – Bild: Jana Sofie Liebe
«Für dieses Handwerk braucht es Biss», Marcel Eyer über seinen Beruf. – Bild: Jana Sofie Liebe

Nach der Ausbildung gibt es die Möglichkeit, Restaurator zu werden oder sich selbstständig zu machen und auf Bestellung Grabmäler, Wandgestaltungen, Geschenke zu Hochzeiten und Geburtstagen und vieles mehr anzufertigen. Wer will und mit Herzblut dabei ist, kann von diesem Beruf leben. Wichtig ist, dass man offen bleibt, sich nicht nur auf eine Spezialität festlegt. «Für dieses Handwerk braucht es Biss», stellt Marcel klar.

Bild: Jana Sofie Liebe
Bild: Jana Sofie Liebe

Der Beruf selbst ist nicht vom Aussterben bedroht. Die Nachfrage von Lehrlingen ist gross und die Plätze in der Schnätzi konnten immer gut besetzt werden. Ein Vorteil ist bestimmt auch, dass für die Ausbildung keine Matur verlangt wird. Dies wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Bei der Auswahl der Schüler wird vor allem auf ihr zeichnerisches Können geachtet. Doch auch ihr Gefühl fürs Material, das Vorstellungsvermögen und ihre Zuverlässigkeit sind wichtig.

Bild: Jana Sofie Liebe
Bild: Jana Sofie Liebe

In der Holzwerkstatt finden wir die Schüler konzentriert und in ihre unterschiedlichsten Arbeiten vertieft vor. Sie grüssen uns höflich und wenden sich gleich wieder ihrer Arbeit zu. Die Atmosphäre ist entspannt und fokussiert. Am Ende des Raumes befindet sich Marcels Werkbank mit einer darauf liegenden angefangenen Arbeit. Neben dem Unterrichten nimmt er sich Zeit, um das Schnitzen weiterhin zu praktizieren und sich immer wieder neuen Herausforderungen zu stellen. Schnätzer bleibt Schnätzer.


Schwerpunkt «Baum»

Der Schwerpunkt im Frühling17 «Baum» dreht sich nicht nur um den Baum an sich. Wir thematisieren die Arbeit mit Holz, den Wald als Lebensraum, die Ökologie, den familiären Stammbaum und auch über ganz persönliche Beziehungen zu Bäumen. Auf die Äste, fertig, los!