Jürg: Ich habe gelesen, dass man nichts glauben kann, was im Internet steht. Soll ich das glauben?
Livia: Diese Frage stellt sich doch bei allen Arten von Medien. Können Medien die Welt «wahr» abbilden?
Jürg: Ich finde, die Wirklichkeit sei zu vielfältig und komplex, um sie genau abbilden zu können. Auch ein Kameramann wählt nur Ausschnitte. Trotzdem traue ich einem nicht zensurierten Profi-Journalisten zu, das Wichtigste herauszufiltern und verständlich darzustellen. Ich vertraue zum Beispiel den Radiojournalisten von SRF. Beim Radio sind sie nicht dem Druck der Firmen ausgesetzt, die für Werbung Geld bezahlen. Welchen Medien vertraust du?
Livia: Du müsstest mich wohl eher fragen: «Welchen Medien vertraust du nicht?», denn hier in der Schweiz habe ich grundsätzlich keine Angst davor, von den Medien manipuliert zu werden. Das sähe in einem Land ohne Pressefreiheit anders aus. Klar haben Medien auch immer ein Eigeninteresse und können die Welt nicht eins zu eins abbilden. Wir könnten uns aber an dieser Stelle fragen, ab welchem Grad von Vereinfachung eine Information denn zur Unwahrheit wird. Bedingt die Wahrheit eine vollkommene Differenzierung der Fakten? Ja, wahrscheinlich schon. Der Wahrheit gerecht zu werden, ist also fast unmöglich. Ich vertraue aber auf meine Vernunft und darauf, dass ich gemeinsam mit Mitmenschen undifferenziert aussehende Meldungen hinterfragen kann. Im Moment halte ich mich auch von Facebook fern und gerate so wohl insgesamt weniger in die manipulative «Filter Bubble» als andere. Vertraust du auf deine Vernunft, Jürg, oder hast du Angst vor Manipulation?
Jürg: Ich lese kritisch und weiss, dass die Werbung manipulieren will. Ferner haben wir an der Tagung gehört, dass die PR-Agenturen fünf Mal mehr Journalisten beschäftigen, als alle andern Medienhäuser zusammen. Die PR-Leute müssen im Interesse ihrer Firmen informieren, also einseitig. Geschickt gemachte PR kann der Laie oft nicht von redaktionellen Artikeln unterscheiden. Das Gratisheft «thun! Das magazin» ist so ein PR-Produkt. Die Journalisten der Presse sind froh, wenn sie gut redigierte Artikel von PR-Firmen übernehmen können, denn das entlastet sie. Darum sitzen wir alle gelegentlich einseitigen Informationen auf, trotz aller Vernunft.
Eine Gefahr für die Zukunft ist ferner, dass immer mehr Leute die Infos gratis wollen. Gratis arbeiten können JournalistInnen aber nicht – ausser bei UND. Wie siehst du das?
Livia: Ja, das ist sicher ein riesiges Problem. Wir sind uns so gewohnt, sämtliche Infos sofort übers Internet beschaffen zu können, ohne zu bezahlen, dass wir auch immer seltener ein Zeitungsabo – sei es online oder print – lösen wollen. Aber Qualität – und vor allem die dahinter stehende Arbeit – kostet nun mal, oder nicht? Ich habe mich auch schon gefragt, ob wir irgendwann so vernetzt sind, dass Medien überflüssig werden.
Der Mensch ist manchmal ein ‚Denk-Faultier‘.
Das stelle ich mir dann aber irgendwie total schräg und gefährlich vor: Jeder zimmert sich die eigene Meinung aus Infos, die er irgendwo zusammenliest. Meinungsanarchie, jeder wäre für sich allein in seiner «Bubble». Oder siehst du das anders? Zu den einseitigen Infos, die du erwähnt hast: Ja, das ist sicher auch eine Gefahr, aber dem können wir mit Wissen über die redaktionelle Arbeit entgegenwirken. Wer weiss, wie ein Text verfasst werden sollte und was die Qualitätsbedingungen sind, ist sicher schon mal einen Schritt weiter im kritischen Denken. Natürlich ist es zudem sicher besser, auch als Konsument möglichst viele verschiedene unabhängige Quellen zu konsultieren, um sich zu informieren. Was nicht alle gern tun, denn der Mensch ist manchmal ein «Denk-Faultier».
Welchen Medien vertraust du?
Jürg: Die Journalistenausbildnerin Frau Sylvia Egli von Matt sagte, JournalistInnen müssten nach der Wahrheit streben, Lügner entlarven und Politiker sowie Wirtschaftskapitäne kontrollieren. Ich finde, das dürfte heute beim Bürger sehr gefragt sein. In den USA finden vertrauenswürdige Zeitungen seit der Wahl Trumps wieder mehr Interesse. Die vielen Fakes im Wahlkampf sensibilisierten die Leute.
Weil der Kampf um Aufmerksamkeit zunimmt – Zuschauerzahlen, Leserzahlen –, müssen die Journalisten ihre Beiträge nach dem Geschmack des Publikums auswählen und gestalten. Kürzesttexte sind gefragt, wie sie «20 Minuten» bietet. Das schränkt aber den Blickwinkel ein. Medien werden so zum Konsumprodukt, nicht zum Wahrheitsvermittler.
Ich vertraue auf die gut gebildete und denkfähige Generation der Jüngeren.
Andererseits: Wenn wir das Leben spielerischer nehmen, ist uns die Vielfalt der Wahrheiten eine schöne Spielwiese fürs Denken und Phantasieren. Sicherheit hingegen engt uns ein. Ich vertraue auf die gut gebildete und denkfähige Generation der Jüngeren.
Livia: Da bin ich mit dir einverstanden. Aber ich würde sagen, vermeintliche Sicherheit engt uns ein, weil es richtige Sicherheit gar nie gibt. Das ist eine Illusion. Niemand bekommt die Weisheit – und auch die sichere Wahrheit – einfach so auf dem Silbertablett serviert. Auch nicht punkto Medien. Mein Fazit ist dennoch, dass wir als aufgeklärte Gesellschaft unseren Verstand gebrauchen sollten – oder anders ausgedrückt: «…und die Moral von der Geschicht’: Vergiss bei News zu denken nicht!»
Forum zu ethischen Fragen
Das Forum «Fokus Ethik» fand am 6. und 7. April 2017 zum zweiten Mal statt. Das Thema in diesem Jahr: Hauptsache Wahrheit. Jung und Alt von UND Generationentandem verfolgten die Referate und Diskussionen von renommierten Fachpersonen aus dem In- und Ausland.
Ein Selfie am Forum «Fokus Ethik» in Thun: Jürg Krebs, Livia Thurian und der Fotograf Walter Winkler. – Selfie: Jürg Krebs
Jürg Krebs (71) und Livia Thurian (22) haben noch auf anderen philosophischen Wegen versucht, der Wahrheit auf die Spur zu kommen:
Finde ich höchst interessant. Es ist zu hoffen, dass das Projekt R eine Chance für unabhängigen Journalismus ist.