«Ein Leben mit Büchern»: Wie Buchhändlerin und Verleger durch den Wandel steuern

«Ein Leben mit Büchern»: Wie Buchhändlerin und Verleger durch den Wandel steuern

Im Begegnungszentrum Offenes Höchhus sprachen Ruth Teutschmann und Bernhard Engler über Alltag und Zukunft des Buchgeschäfts – zwischen Feuilleton und BookTok, KI und Kassenraum, Online-Shop und Ladentür.

Wer meint, Buchhändler:innen und Verleger:innen sässen den Tag über gemütlich lesend zwischen Regalen, wird an diesem Abend eines Besseren belehrt. Ruth Teutschmann erzählt, wie hektisch es werden kann, wenn ein Buchpreis vergeben wird oder ein Titel plötzlich viral geht. Nach der Preisverleihung an Dorothee Elmiger sei der Roman innert Stunden ausverkauft gewesen. «Wenn man endlich einmal viele Bücher verkaufen könnte – und dann hat man keine», sagt sie schmunzelnd.

Bernhard Engler kennt dieses Dilemma aus der Verlagsarbeit. Wenn sich eine Rezension in einer grossen Zeitung ankündigt, müsse er entscheiden, ob er sofort nachdruckt oder abwartet. «Es ist ein bisschen wie im Casino», sagt er. «Man setzt auf den richtigen Moment – oder bleibt auf einem Bücherberg sitzen.»

Feuilleton, BookTok und die Lust am Lesen

Die Moderatorin Heidi Bühler-Naef eröffnet das Gespräch mit der Frage: «Feuilleton oder BookTok?» Beide Gäste entscheiden sich für das Feuilleton – mit einem Seufzer. Bernhard Engler beobachtet, wie Kulturteile schrumpfen, Texte kürzer werden und Platz für Literaturkritik schwindet.

Ruth Teutschmann, Bernhard Engler und Heidi Bühler-Naef im Gespräch vor Beginn des Abends – eine Begegnung unter Menschen, die Bücher leben und lieben.
Bild: Hans-Peter Rub

Gleichzeitig bringen neue Phänomene wie BookTok Bewegung ins Geschäft. Junge Menschen posten Lesetipps auf TikTok, und die Bücher, die dort auftauchen, verkaufen sich rasant. Ruth Deutschmann meint: «Die Bücher sind sehr ansprechend gestaltet – farbige Schnitte, schöne Einbände. Das zieht auch bei uns im Laden.» Mittlerweile sei das Regal mit diesen Titeln von einem halben Tablar auf eine ganze Wand gewachsen.

Bernhard Engler sieht darin einen Beweis, dass junge Menschen durchaus lesen – und zwar dicke Bücher. «Young Adult, New Adult, Dark Romance – das sind Marktsegmente mit echter Zugkraft.»

Wie ein Raum zur Buchhandlung wird

Was macht aus einem leeren Raum eine Buchhandlung? Für Ruth Teutschmann ist die Antwort klar: «Ein Paradies. Ein leerer Raum, in dem man mit Büchern spielen kann – das Beste, was einem passieren kann.»

Ruth Teutschmann führt seit über zwanzig Jahren die Buchhandlung Steffisburg – mit Leidenschaft für Literatur und einem feinen Gespür für ihr Publikum.
Bild: Hans-Peter Rub

Vor 22 Jahren eröffnete sie ihre Buchhandlung in Steffisburg. Der Anfang war einfach: Sie füllte die Regale mit Büchern, die sie selbst liebte, und mit Empfehlungen der Verlagsvertreterinnen. «So wächst ein Laden ganz von selbst», sagt sie.

Hinter den Kulissen läuft derweil der eigentliche Betrieb: Tägliche Lieferungen, Preisetiketten, Neuheitenlisten für Bibliotheken, gestaltete Schaufenster. Die Administration hält sie bewusst schlank – damit mehr Zeit bleibt für das Gespräch mit den Kund:innen.

Vom ersten Satz zum ganzen Buch

Bernhard Engler arbeitet als Verleger meist allein, unterstützt von Freien und Partnern. Manuskripte liest er abends zu Hause. «Ich weiss nach der ersten Seite, manchmal nach dem ersten Satz, ob ich brenne oder nicht.» Entscheidend sei die Energie, die Sprache.

Bernhard Engler, Gründer des Berner Verlags Lockwort, feiert dieses Jahr sein 30-jähriges Verlegerjubiläum – und bleibt überzeugt: Gute Bücher brauchen Zeit und Nähe.
Bild: Hans-Peter Rub

Sein Verlag, der dieses Jahr 30-jähriges Jubiläum feiert, hat mit dem Motto «Bücher fürs Leben» ein klares Profil: Belletristik und erzählerisches Sachbuch. Doch wenn ein Text ausserhalb des Rasters überzeugt, macht er Ausnahmen – wie beim Ratgeber der Autorin Esther Pauchard, der inzwischen in zweiter Auflage vorliegt.

Lieblingsbücher und Bestseller

In Ruth Teutschmanns Buchhandlung steht ein Dauerbrenner im Zentrum: Jan-Philipp Sendkers «Das Herzenhören». «Wir haben es schon vor zwanzig Jahren gelesen und begeistert weiterempfohlen», erzählt sie. Der Autor habe sich von der Steffisburger Begeisterung anstecken lassen – seither kommt er regelmässig zu Lesungen.

Moderatorin Heidi Bühler-Naef führte mit ruhiger Präsenz und spürbarer Freude am Thema durch den Generationentalk «Ein Leben mit Büchern».
Bild: Hans-Peter Rub

Bernhard Engler nennt als grössten Erfolg den berndeutschen «Chly Prinz» von Saint-Exupéry, übersetzt von Lorenz Pauli. Über 45’000 Exemplare wurden verkauft – «exorbitant», wie er sagt.

KI, Onlinehandel und der Wert der Begegnung

Das Gespräch wechselt zur Gegenwart. Ruth Teutschmann sieht in der Künstlichen Intelligenz eine Bedrohung für die Authentizität: «Ich hoffe, dass der Mensch vernünftig bleibt und sich nicht von der KI einnehmen lässt.» Bei jährlich rund 68’000 Neuerscheinungen im deutschsprachigen Raum werde es immer schwieriger, das wirklich Gute zu erkennen.

Bernhard Engler warnt vor schnellen Urteilen. Übersetzungstools hätten sich rasant verbessert, und auch KI-Texte würden bald glaubwürdig klingen. Noch fehlten ihnen «Ecken und Kanten», doch als Werkzeug – etwa für Coverideen – könnten sie sinnvoll sein.

29 Interessierte verfolgten im Offenen Höchhus das Gespräch über Bücher, Buchhandel und Verlagsarbeit – ein Abend voller Einblicke in die Welt des Lesens.
Bild: Hans-Peter Rub

Zum Wandel gehört auch der Onlinehandel. In der Schweiz gibt es heute noch rund 270 Buchhandlungen – vor zwanzig Jahren waren es 400. Die Hälfte hat einen Online-Shop, ein Drittel nutzt Amazon. Ruth Teutschmann betreibt ihren Shop seit Jahren über das Barsortiment (Buchzentrum). «Wir verschicken Bücher in die ganze Schweiz. Ohne Online-Präsenz geht es nicht mehr.»

Der Mensch als Gegenentwurf zum Algorithmus

Was Buchhandlungen dennoch unersetzlich macht, bringt Ruth Teutschmann schlicht auf den Punkt: «Wir bieten den Menschen. Wir schauen uns in die Augen.» Manche Kund:innen kämen weniger wegen des Buchs, sondern wegen des Gesprächs – und blieben, weil sie sich gesehen fühlen.

Bernhard Engler erzählt von einem Besuch in der Buchhandlung am Münster in Bern. Als er die Geschäftsleiterin Monika Steiner nach einer Empfehlung fragte, war sie überrascht: «Das werde ich kaum noch gefragt.» Viele wüssten bereits, was sie online gesehen hätten. «Wir haben diesen Beruf gelernt, um Freude zu machen und geistige Anregung zu vermitteln», sagt Bernhard Engler. «Wenn das verloren geht, tut das weh.»

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