
Im Rahmen der vom Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) organisierten Schweizer Wohntage fand am 11. November 2025 die Besichtigung der Siedlung Burgunder in Bern-Bümpliz statt. Die Siedlung Burgunder gilt als Pionierprojekt im Bereich des gemeinschaftsorientierten und sozial nachhaltigen Wohnens – und dies, obwohl die beiden Trägerschaften als Aktiengesellschaft organisiert sind. Wie funktioniert das? Ein Augenschein vor Ort und ein Interview liefern Antworten.
Freitag, 28.11.2025
In der Siedlung Burgunder leben seit 2011 rund 180 Menschen in 80 Wohnungen. Als erste autofreie Siedlung der Schweiz und als zertifiziertes 2000-Watt-Areal vereint die Siedlung Burgunder ökologische Verantwortung mit städtebaulicher Innovation. Entwickelt wurde das Projekt von zwei Bauträgerschaften, der wok Burgunder AG und der NPG AG für nachhaltiges Bauen, unter wesentlicher Mitwirkung der Stiftung Wohnqualität, die das partizipative Mietmodell entwickelt hat.
Die Vermietung der Wohnungen erfolgt auf der Basis des Mietmodells der Stiftung Wohnqualität, * bei dem Mitbestimmung und Selbstverwaltung sowie die Mitgliedschaft im Hausverein verbindlich im Mietvertrag verankert sind. In der Siedlung Burgunder organisieren sich die Bewohnenden gleich in mehreren Vereinen…
Hausvereine: In den zwei Hausvereinen (je ein Verein pro Eigentümerschaft) bestimmen die Bewohnenden über die Hausordnung, übernehmen die Verantwortung für die Gemeinschaftsräume, organisieren Arbeitsgruppen und wirken bei Wiedervermietungen mit. Sie sprechen sich zudem zu übergeordneten Themen wie Gartenarbeit, Gemeinschaftsaktivitäten oder die Verwaltung gemeinsamer Räume ab.
Lebendiges Siedlungsherz: Als hervorragendes Beispiel für Erneuerung und Engagement nach der «Pionierphase» kümmert sich der erst kürzlich von Bewohnenden gegründete Verein «Lebendiges Siedlungsherz» um die weitere Nutzung des über 100-jährigen ehemaligen Gewerbehauses im Zentrum der Siedlung, in dem bis 2024 eine Kita untergebracht war. In den frei gewordenen Räumlichkeiten organisiert der Verein nun Mittagstische, Tanznachmittage, Kleidertausch, Konzerte, Aufgabenhilfe und vieles mehr. Für alle Altersgruppen, für die Siedlung und für das Quartier.
Die vertraglichen Grundlagen, die geteilten Verantwortungen und die Vereinsstrukturen ermöglichen ein hohes Mass an Partizipation und Selbstorganisation – und sie führen dazu, dass Identifikation, Nachbarschaft und gegenseitige Verantwortung gestärkt werden. Damit ist die Siedlung Burgunder ein eindrückliches Beispiel für gelebte soziale Nachhaltigkeit.
* Muster-Mietvertrag der Stiftung Wohnqualität
Die Siedlung Burgunder zeigt also beispielhaft, dass soziale Nachhaltigkeit nicht zwingend eine Genossenschaft voraussetzt, sondern auch im Rahmen einer Aktiengesellschaft möglich ist. Damit dies funktioniert, muss sich die Aktiengesellschaft in ihren Statuten und im Leitbild * verbindlich zur Gemeinnützigkeit bzw. zur sozialen Nachhaltigkeit bekennen und die vertraglichen und organisatorischen Rahmenbedingungen zur Förderung der sozialen Nachhaltigkeit vor Ort schaffen.
Dies kann gegenüber der Genossenschaft sogar ein Vorteil sein, da die Rechtsform «Genossenschaft» den sozialen Grundgedanken zwar gesetzlich verankert hat, der in der Praxis jedoch oft allein durch günstigere Mieten zum Ausdruck kommt und nicht durch eine alle Bewohnenden umfassende Struktur für Mitwirkung und Mitverantwortung. Zudem ist das benötigte Eigenkapital unabhängig von der Bewohnerschaft. Es wird von solidarischen Personen und Organisationen (Aktionär:innen der npg AG) oder im Falle der WOK Burgunder von zwei alternativen Pensionskassen zur Verfügung gestellt.
* Statuten und Leitbild der NPG AG
Ilja Fanghänel, stv. Geschäftsführer der NPG AG, hat die Weiterentwicklung der bald 15-jährigen Siedlung in den vergangenen vier Jahren begleitet. Er stellt sich im Interview den Fragen des UND Generationentandems:
Lebendige Nachbarschaft, freiwilliges Engagement der Bewohnenden, Mitwirkung und Mitbestimmung scheinen in der Burgunder-Siedlung gut zu funktionieren. Gibt es etwas, was du noch vermisst, was noch besser sein könnte?
Ilja Fanghänel: Die Aufteilung in zwei Hausvereine stösst immer wieder an seine Grenzen und schafft Doppelspurigkeiten. Und dadurch teilweise auch Frust, da viele Themen (Aussenraum, Gemeinschaftsraum, Kommunikation usw.) gemeinsam geklärt werden müssen, die Entscheidungsstrukturen hierfür aber nicht effizient sind. Zurzeit sind wir mit der WOK Burgunder und den beiden Hausvereinen im Austausch für eine Vereinfachung der Strukturen sowie der Kommunikations- und Entscheidungswege.
Was sind bezüglich sozialer Nachhaltigkeit aus deiner Sicht die Vorteile einer Aktiengesellschaft als Bauträger im Vergleich zur Genossenschaft? Gibt es auch Nachteile?
Ilja Fanghänel: Ein Vorteil ist sicher die Entkopplung von Kapital und Bewohnerschaft. Da meist aussenstehende Aktionär:innen das nötige Kapital zur Verfügung stellen, sind die v.a. in jungen Genossenschaften teilweise hohen Wohnungsanteile von den Bewohnenden nicht notwendig und es können sich auch Personen ohne angespartes Vermögen eine Wohnung leisten. Zudem ist eine Aktiengesellschaft tendenziell agiler auf dem Wohnungsmarkt als eine Genossenschaft mit ihren basisdemokratischen Strukturen.
Umgekehrt ist teilweise eine fehlende Identifikation der Bewohnenden mit der Aktiengesellschaft spürbar, da die Bewohnenden formell nur über die Mitgliedschaft im Hausverein eingebunden sind, jedoch nicht als Mitglieder (Aktionär:innen) der Organisation. Sie haben entsprechend keine Mitsprachemöglichkeiten auf der strategischen Ebene.
Inwiefern werden in den Burgunder-Siedlungen auch die Themen «Wohnen im Alter» und «Ressourcen teilen» aufgegriffen? Siehst Du diesbezüglich noch Entwicklungspotential?
Ilja Fanghänel: Ressourcen werden sicher bereits viele geteilt und eine ökologische Lebensweise ist einerseits vom Bau (Minergie P Eco / autofrei) vorgegeben als auch von der Bewohnerschaft angestrebt und gelebt.
Beim Wohnen im Alter zeigt sich, dass der Wohnungsmix nicht ideal ist, es gibt zu wenige Kleinwohnungen in der Siedlung. Dies kann zu einer Wohnungsunterbelegung führen, da wir älteren Bewohnenden ja nicht kündigen wollen, wenn die Kinder ausziehen oder der/die Partner:in stirbt und wir ihnen keine kleinere Wohnung anbieten können. Im Februar 2026 werden wir gemeinsam mit der WOK Burgunder und den Siedlungsbewohnenden einen Workshop zu diesem Thema veranstalten, wobei kreative Lösungen gefragt sein werden.
Fürs Wohnen im hohen bzw. fragilen Alter braucht es zudem weitere Angebote im betreuerischen und pflegerischen Bereich. Das Thema wird uns noch verstärkt beschäftigen, wenn die Erstbezüger:innen in diese Altersphase kommen.
Die AG-Struktur bleibt zunächst ambivalent: Sie ermöglicht flexible Investitionen und eine Entkopplung von Kapital und Bewohnerschaft, schafft aber im Vergleich zur Genossenschaft ein Manko an formaler Identifikation und Mitsprache. In der Siedlung Burgunder wird dieses Manko mit gezielten Massnahmen ausgeglichen:
Im Alltag überzeugt die Siedlung Burgunder mit einer starken sozialen Kultur – und beweist damit, dass eine AG unter den richtigen Rahmenbedingungen ein tragfähiges Modell für gemeinschaftsorientierten Wohnungsbau sein kann.