Viele Menschen – ob alt oder jung – fühlen sich einsam. Wie können wir der Einsamkeit als Gesellschaft entgegenwirken? UND Generationentandem bot diesem Thema mit dem ersten UND-Generationenforum am Samstag, 29. Juni eine Plattform.
Hier finden sich verschiedene Beiträge, die in diesem Rahmen entstanden sind, sowie ein Rückblick in Bildern.
Was ist UND-Generationenforum?UND-Generationenforum ist die Denk- und Machfabrik der Zivilgesellschaft in und um Thun. Das erste Generationenforum widmete sich dem Alleinsein.
Das Thema: Einsamkeit
Der Psychiater Manfred Spitzer spricht von der Einsamkeit als «unerkannter Krankheit». Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen im digitalen Zeitalter überflutet, immer beansprucht. Sie suchen Zeit für sich. Versuchen, den Fokus auf sich selbst zu lenken, die Welt für eine Zeit lang auszublenden, üben die Langeweile. Wie können wir die positiven Seiten des Alleinseins leben?
Einsamkeit aus (sozial-)psychiatrischer Sicht
Der Thuner Psychiater Werner Saameli bot im Rahmen des UND-Generationenforums einen Input aus psychiatrischer Sicht zum Thema.
Einsamkeit – eine Krankheit?
Das Generationenforum steht unter dem Titel «Alleinsein». Ich habe den Auftrag, fachlich etwas zum Thema «Einsamkeit» beizutragen und werde es aus (sozial)psychiatrischer Sicht tun, da diese jahrzehntelang meine berufliche Identität prägte. Trotzdem handelt es sich um eine persönliche Meinung und nicht um eine wissenschaftlich abgestützte Lehre.
Ihr habt richtig herausgehört, dass mir etwas an der Unterscheidung der nicht synonymen Begriffe liegt. Überlegt euch jetzt kurz, wie ihr den Unterschied formulieren würdet.
Ich meine, dass es sich beim Alleinsein um einen an sich wertfreien oder neutralen Zustand handelt wogegen es bei der Einsamkeit um die Empfindung geht, von andern Menschen getrennt und abgeschieden zu sein. Einsiedler leben zwar allein, fühlen sich aber überhaupt nicht einsam, da sie sich auf die Beziehung zu Gott konzentrieren können. Andererseits können sich Eheleute in einer unbefriedigenden, sprachlosen Ehebeziehung sehr einsam fühlen, obschon sie nicht allein sind.
Es ist anzunehmen, dass alle in diesem Raum schon Momente der Einsamkeit gespürt haben, wobei diese eben meist nicht andauerten und chronisch blieben. Anders gesagt ist die Einsamkeit für sich allein noch nicht krankhaft ausser wenn sie zu einem fixierten Gefühl wird, sich mit der Sehnsucht nach Beziehungen von den andern Menschen verlassen auf sich selbst gestellt zu erleben.
Im Gegensatz zum berühmten Psychiater Manfred Spitzer, der übrigens auch den Begriff der digitalen Demenz geprägt hat, gehe ich nicht so weit wie er, die Einsamkeit als «unerkannte Krankheit» zu bezeichnen, da zur Schonung der Krankenkassenprämien nicht noch mehr Krankheiten geschaffen werden sollten. Hingegen kann die Einsamkeit durchaus ein Symptom einer individuellen psychischen Erkrankung oder einer dysfunktionalen gesellschaftlichen Entwicklung sein.
Für sich allein betrachtet kann das Symptom sowohl Ursache wie Folge einer pathologischen Situation sein, wobei sich dann immer noch die Frage nach dem Huhn oder Ei stellt, d.h. was von beiden, also das Symptom oder die Krankheit zuerst war, weil es auch hier nicht um lineare Kausalität sondern um Wechselwirkungen geht. Vereinfacht gesagt stellt sich die Frage, ob jemand depressiv wird weil er vereinsamt ist oder jemand vereinsamt, weil er depressiv ist.
Problematisch ist die Vereinsamung auf sozialen Druck hin, wenn z.B. eine aktive Verdrängung aus einer Gemeinschaft im Sinne eines Mobbings stattfindet oder Betroffene sich den von ihrem Umfeld gestellten Anforderungen nicht gewachsen fühlen, was zu schweren Leidenszuständen führen kann. Besonders krass äussert sich dies bei der kürzlich in der Zeitung «Der Bund» vom 15.6.19 unter dem Titel «Vereinsamt und verschanzt im Kinderzimmer» beschriebenen Hakimori-Epidemie in Japan. Dabei geht es um die besorgniserregende Zunahme von in ihren Zimmern zurückgezogenen Menschen, die über unter der Türe durchgereichten Zettelchen mit der ihnen das Essen bringenden Mutter verkehren und an der Aussenwelt höchstens über das Internet teilnehmen, sich quasi in einer selbst verordneten Isolationshaft befinden, da sie sich nicht mehr unter die Leute getrauen.
Es gibt auch in unserem Land Menschen, die trotz einer grossen Zahl von Facebook-Freunden keine verlässlichen und tragfähigen Beziehungen pflegen. Sie leiden unter der emotionalen Leere und fliehen in Konsumverhalten und Rausch. Was nützt es, mit der ganzen Welt digital vernetzt zu sein, wenn keine wirkliche Begegnung mit einem menschlichen Wesen aus Fleisch und Blut stattfindet? Es besteht die Gefahr, dass je mehr elektronisch kommuniziert wird desto weniger wirkliche Begegnungen stattfinden. Dies ist zu bedauern, da laut dem Religionsphilosophen Martin Buber die Qualität des Lebens in der Begegnung besteht: «Das Ich wird am Du».
Auch bei alten Menschen besteht trotz aller Bemühungen seitens von Kirchgemeinden, Pro Senectute und Vereinen die Gefahr der Vereinsamung, wenn sie nicht im Kreis ihrer Nachkommen und Nachbarschaft aufgehoben sind. Unsere individualistische Gesellschaft hat die Autonomie zu einem so hohen Wert angehoben, dass dies zu einer Verunmöglichung der Hilfeleistung führen kann. So wie es depressive Menschen gibt, die nicht wollen können, gibt es auch Vereinsamte, die keine Hilfe annehmen können, weil sie sich ihrer Hilfebedürftigkeit schämen. Oft haben sie ihr Leben im Vertrauen auf ihre eigenen Stärken selbstbestimmt gemeistert und haben nun grosse Mühe, als Bedürftige die Gabe der Zuwendung zuzulassen. Es wäre aber zu einfach, sie als «Nicht-Motivierte» mit der Begründung der Respektierung der Selbstbestimmung sich selber zu überlassen.
Eine sich um die Mitmenschen kümmernde Gemeinschaft muss sich mit der Balance zwischen Respektierung der Autonomie und Zugehörigkeit auseinanderzusetzen. Aber auch Menschen in helfenden Berufen getrauen sich vor lauter Beachtung der Selbstbestimmung kaum mehr, einsame Menschen z.B. an Anlässe zu begleiten, wo sie unter die Leute kämen und Chancen für neue Begegnungen hätten. Dass diese Betroffenen nicht allein hingehen wollen hat mit der Angst vor dem Unbekannten zu tun und entspricht häufig nicht ihrem freien Willen. Leider ist es aber so, dass sinnvolle Begleitdienste nicht abrechenbar sind, d.h. für Spitex und Therapeuten keiner bezahlten Leistung entsprechen. So geht es für die professionellen Helfer darum, Freiwillige oder Angehörige dafür einzuspannen, was herkömmlicherweise als Nachbarschaftshilfe selbstverständlich war.
Nicht nur einsame Jugendliche sondern auch einsame alte Menschen sind sucht- und suizidgefährdet und brauchen Hilfe, die sie primär aber oft ablehnen. Dabei ist es nicht auszuschliessen, dass die Überwertung der Selbstbestimmung mehr oder weniger unbewusst als Vorwand für Sparmassnahmen dient. Der autonome Mensch will niemandem zur Last fallen und z.B. lieber selbstbestimmt sterben als von Hilfeleistungen abhängig zu sein. Die steigende gesellschaftliche Akzeptanz der Suizidbeihilfe kann auch mit ökonomischen Motiven zu tun haben. Jedenfalls ist nicht unmöglich, dass eine einseitige Gewichtung der Autonomie gegenüber der Zugehörigkeit zu Vereinsamung und deren Folgen beitragen kann.
Werner Saameli
Die Meditation – Alleinsein üben
Werner Kaiser (80) bot im Rahmen des UND-Generationenforums einen Workshop zur Meditation an. Seine Gedanken zur Meditation hat er schriftlich festgehalten:
Meditation geht immer und überall
Viele stellen sich Meditation vor als eine strenge, schwer erlernbare Technik mit schmerzvoll verschränkten Beinen. Das gibt es auch. Doch das Eigentliche der Meditation ist etwas anderes. Meditation ist im Grunde genommen Achtsamkeit. Es geht darum, ganz da zu sein, wo ich bin, und ganz zu tun, was ich tue.
Um das zu üben und zu praktizieren, stehen verschiedene Methoden zur Verfügung. Aus dem Osten kommen die die Zen- oder die Vipassana-Meditation, aus der christlichen Tradition die Betrachtung oder das Jesusgebet. Sie werden täglich mit Beharrlichkeit geübt und sind für jene, die es wollen und können, wertvoll. Es auf eigene Faust zu erlernen, ist nicht empfohlen. Es gibt Kursangebote.
Doch jede Tätigkeit kann Meditation sein, wenn ich sie achtsam verrichte. Ich betrachte eine Blume. Ich denke nicht über sie nach, sondern lasse sie auf mich wirken. Oder ich höre Musik, bin, wie man sagt, «ganz Ohr». Statt zum Einkaufsladen zu eilen, stelle ich mir vor, ich mache einen erholsamen Spaziergang dorthin. Ich spüle das Geschirr und spüre das Wasser an meiner Haut. Ich male ein Bild und versenke mich voll in mein Tun.
Ein grosses Thema in allen Meditationswegen ist der Atem. Ich verändere ihn nicht, ich nehme ihn einfach wahr. Ich atme aus, warte, bis der Impuls zum Einatmen kommt, und atme wieder ein. Ein anderes vielbeachtetes Thema ist das Sitzen. Es gibt Sitzformen, die sich bewährt haben: der Lotussitz, der Fersensitz oder einfach Sitzen vorne auf dem Rand eines Stuhls. Dabei bin ich aufrecht, ohne mich zu versteifen. Das entspricht der inneren Einstellung: aufmerksam sein, ohne mich zu verkrampfen. Zwischen Bequemlichkeit und Strenge suche ich einen weiterführenden Weg.
Meditation kann so zur Lebenshaltung werden. Das Tempo verlangsamen, still werden, achtsam sein, nach innen schauen, den Alltag bewusst erleben – das Leben selber wird zur Meditation. Meditieren in diesem Sinn ist eine wichtige Ergänzung zur Betriebsamkeit unserer Kultur. Es sollte in geeigneter Form schon im Kindergarten und in der Schule geübt werden.
Werner Kaiser
Ein Wort einer TeilnehmerIn
«Es hat mich sehr fasziniert, dass so viele Menschen sich treffen, Frau und Mann, alt und jung und sich intensiv über (das Leben) das Wort Einsamkeit unterhalten in einer wunderbaren Offenheit und Spontanität. Das ist positive Energie! Ich finde, auch die Einsamkeit gehört zum Leben und diese Einsamkeit beinhaltet auch Traurigkeit, Wut, einfach viele Emotionen. Über diese Emotionen wird ja oft nicht gesprochen, und das kann dann in die Einsamkeit führen. Auf alle Fälle möchte ich mich sehr bedanken für diesen Anlass, mich bedanken bei allen die so intensiv und offen mitgemacht haben, und mich bedanken für viele andere Anlässe.»
Hanna Peter