Verschiedene Begriffe, handschriftlich auf Blätter notiert, hängen im Schulzimmer P2 in der Villa Lüthi am Gymnasium Thun. An einem Samstagmorgen im Frühjahr 2012 bringen Menschen zweier Alterskategorien ihre Gedanken zu Papier. Gemeinsam suchen sie nach dem treffenden Namen für ein Magazin, das Jung und Alt verbinden will.

Die ganze Übung ist kreativ – auch ernsthaft. Obwohl es vorerst nur um eine Testausgabe dieses Magazins geht – so das Ziel der Maturarbeit eines Gymnasiasten. Zur Auswahl stehen etwa «Der Visionär», «Dialog diagonal» und UND. Nun, das letzte Wörtchen hat überzeugt. UND prangt bis heute als Titel über allen Engagements des Vereins UND Generationentandem.

«Ist das eine Abkürzung?», werden wir gefragt. Nein, eher ein Platzhalter für das Dazwischen. Es geht mit UND nicht um das eine oder das andere – sondern um beides zusammen. Die Konjunktion ist eines der am meisten geschriebenen und gesagten Wörter. Wohl darum wird das Wort unterschätzt.
Aber mit Anspruch
Unscheinbar, aber mit Anspruch: So möchte ich die drei Buchstaben verstehen. U, N und D verbinden. Sie haben die Kraft, eine Beziehung entstehen zu lassen. Sprachlich lässt sich so alles verbinden. Auch Gegensätzliches steht plötzlich auf derselben Ebene, in direkter Beziehung: Krieg und Frieden. Was sprachlich geht, funktioniert in der Realität nicht immer. Gerade, wenn die beiden Begriffe so weit auseinander liegen.
«Ein Menschsein ohne UND ist nicht drin. Erst in der Beziehung entsteht Bedeutsamkeit.»
Elias Rüegsegger
Es gelingt aber bei Menschen. Das Wörtchen UND weist auf die Beziehung zwischen mir und dir. Ich allein – was bleibt da? Ich im leeren Raum. Ich ganz einsam. Unvorstellbar. Ich ahne, da bleibe Ich nicht einmal Ich. Und auch Du allein bleibst unerkannt. Ein Menschsein ohne UND ist nicht drin. Erst in der Beziehung entsteht Bedeutsamkeit. Martin Buber schrieb: «Der Mensch wird am Du zum Ich.» Erst in der Beziehung werden wir Menschen.

Beziehung geht also nicht ohne die Brücke, welche die Konjunktion UND schlägt. Sprachlich, aber auch in der Realität. Dem UND wohnt ein Zauber inne, der sich mathematisch nicht begründen lässt. 1 und 2 sind bekanntlich 3. Aber Ich und Du – das sind wir. Mir, dem Gymnasiasten von damals, der dann Theologie studiert hat, gefallen diese philosophischen Gedanken. Aber in diesen intellektuellen Ausschweifungen kann und will ich UND Generationentandem im Alltag nicht beschreiben.
Was machen wir hier?
«Was ist das für ein Büro?», fragt mich ein 17-Jähriger beim Schnuppern in unserem UND-Raum. Der junge Mann sucht seinen Weg in die Arbeitswelt; bald arbeitet er am Donnerstag und am Freitagmorgen auf unserer Geschäftsstelle. Ein berufsvorbereitendes Schuljahr hat er in einer Bildungsinsitution vor sich. Ich komme ins Stocken. Suche nach den richtigen, dennoch einfachen Worten. Einem jungen Mann mit einer kognitiven Einschränkung zu sagen, was wir hier machen, gelingt mir nicht. Und das frustriert mich. Nicht nur gegenüber dem 17-Jährigen komme ich in Erklärungsnot.
«Ganz grundsätzlich finde ich es immer schwieriger, UND Generationentandem in wenigen Sätzen zu beschreiben. Das darf nicht sein.»
Elias Rüegsegger
Ganz grundsätzlich finde ich es immer schwieriger, UND Generationentandem in wenigen Sätzen zu beschreiben. Das darf nicht sein. Als Initiant muss ich doch Sinn und Zweck, unser Tun ganz grundsätzlich kurz und knapp auf den Punkt bringen können. Der berühmte «elevator pitch» – jemandem eine Idee in der kurzen Zeit einer Liftfahrt zu präsentieren – gelingt mir nicht. Ist das (m)eine Krise? Ist das ein Problem?
Was ist UND Generationentandem für die Menschen dahinter? Tobias, ein junger Mann, der seine Lehre abgebrochen hat, übernimmt Verantwortung für unseren Livestream. Er hat hier seine Rolle, bestimmt entscheidend mit. Das gefällt ihm.

Rita sitzt regelmässig auf dem Zuhörbänkli, sie schenkt ihr offenes Ohr allen, die etwas erzählen wollen. Das erfüllt sie. Das Zuhören macht Sinn. «Ich kann hier über die Zukunft unserer Gesellschaft nachdenken und mit Menschen liebevoll streiten», so der pensionierte Organisationsentwickler Fritz.

Was UND Generationentandem ist – darauf gibt es ebensoviele Antworten wie Engagierte. Alle haben ihre individuellen Gründe für ihr Engagement. Gemeinsamer Kern ist: UND Generationentandem macht und gibt Sinn. Und zwar auf zwei Ebenen: Zum einen ganz individuell, zum anderen für die Gesellschaft. Es ist eben nicht nur ein Freizeitprojekt. Unseren gesellschaftlichen Anspruch haben wir mit der Charta für ein Miteinander der Generationen formuliert. Dieser doppelte Sinn fehlt andernorts manchmal. Wer neu bei UND einsteigt, mag überfordert sein, diesen doppelten Sinn gleich selbst zu finden. Aber mit der Zeit gelingt das ganz bestimmt. Sobald sich eine neue Person bei uns engagiert, verändert diese den Verein. Jede neue engagierte Person fügt sich wie ein zusätzliches Teilchen an dieses nie endende Puzzle an. Das grosse Gesamtbild wird vielfältiger.
UND die Generationen?
Warum eigentlich sind wir ein Generationenprojekt? Gerade nicht, weil wir die Unterschiede zwischen den Generationen zementieren wollen. Wir wollen kein «Generationenframing» machen – also Vorurteile repetieren und Menschen anhand ihres Alters definieren.
Das eigene Alter macht uns Menschen nicht aus. Die Unterschiede zwischen Menschen generell sind viel grösser als Generationen-Unterschiede. Und keine Definition «der Jungen», «der Alten» und aller Generationen dazwischen trifft je auf alle zu. Diese Erkenntnis habe ich immer wieder. Etwa wenn mir gegenüber ein Mensch sitzt, der in meinem Alter ist – aber sonst so gar nichts mit mir gemeinsam hat.

Darum die Frage nochmals: Warum ein Generationenprojekt? Im Austausch von Menschen verschiedener Generationen ist klar: Da treffen verschiedene Lebenserfahrungen aufeinander. Im Dialog und der Arbeit am vielfältigen Miteinander können wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen.
UND die Zukunft?
Die Herausforderungen für unsere Gesellschaft könnten grösser nicht sein. Der Blick in die Zukunft macht vielen Sorgen, manchen Angst. Im Grossen können Einzelne nur selten die Welt verändern – zugleich betreffen die grossen Fragen unserer Zeit alle: Klimakrise, Krieg, Demokratien am Anschlag. Es gibt nicht einfach eine Antwort und einfache Lösungen. Es braucht viele Ansätze. Wir wollen mit UND im Kleinen Grosses bewirken. Wenn ich in die Zukunft schaue, möchte ich vier Entwicklungen hervorheben, die mir besonders am Herzen liegen (werden):
Ein Ort der Begegnung in der Region Thun – ein Zuhause für UND. Seit dem Herbst 2021 befasst sich eine Projektgruppe genau damit. Langfristig suchen wir einen Ort, der nicht nur als Arbeitsplatz für unsere Geschäftsstelle und Sitzungsort dient. Wir wollen einen Ort für alle schaffen.

Generationenverbindend denken – auch politisch: Viele Gemeinden haben Altersleitbilder. Und viele denken nun neu und wollen Generationenleitbilder erarbeiten. Hier bringen wir unsere Erfahrung ein und unterstützen Gemeinden.
Miteinander erleben, etwa beim Generationenfestival: Unser grösster Event, bekannter als der Verein selbst, begleitet uns hoffentlich noch viele Jahre. An wenigen Tagen wird UND Generationentandem ganz intensiv erlebbar.

Für alle – gemeinsam arbeiten: Bei UND Generationentandem arbeiten Freiwillige, Angestellte und bald auch Menschen im Rahmen von Arbeitsintegration. Wir wollen alle beteiligen, egal welche Hintergründe und Fähigkeiten sie haben. Wir sind überzeugt, dass eine Gesellschaft, in der alle etwas beitragen, eine bessere Gesellschaft ist.
Bei UND Generationentandem ist vieles möglich. Die Vielfalt macht uns aus. Ich freue mich auf alles, was da noch kommen mag.


Um das zehnjährige Bestehen von UND Generationentandem zu ehren, kam am 16. August 2022, pünktlich zur Hauptversammlung, eine Sonderausgabe heraus.
Die Sonderausgabe lässt ehemalige und aktive Mitglieder zu Wort kommen und bietet einen Einblick in das vielfältige Schaffen des Vereins. Dieser Beitrag entstand im Rahmen dieser Sonderausgabe.