Kata, ein junger Tibeter im Exil

Kata, ein junger Tibeter im Exil

Exil heisst in der Fremde und verbannt zu sein. Es ist das Schicksal von Kata, der gezwungen war, seine Heimat zu verlassen, um anderswo einen neuen Halt und eine neue Identität zu finden.

Kata, ein junger Tibeter im Exil: hier auf einer Wanderung mit seinen Pateneltern.
Bild: Privat

«I feel I never really belonged anywhere, never really had a home. I like to speak in Tibetan, but prefer to write in English. I have nowhere to call home and in the world at large all I`II ever be, is a political refugee.»

«Ich habe das Gefühl, dass ich nie wirklich irgendwo hingehört habe, nie wirklich ein Zuhause hatte. Ich spreche gerne Tibetisch, aber bevorzuge es, auf Englisch zu schreiben. Ich habe keinen Ort, den ich mein Zuhause nennen kann, und in der weiten Welt werde ich immer nur ein politischer Geflüchteter sein.

Tizin Tsundue 2002

Kata (28) kennt den Schriftsteller und Freiheitsaktivisten Tizin Tsundue, der als Sohn tibetischer Flüchtlinge im indischen Exil geboren wurde. Obwohl er die Flucht nicht selbst erlebt hat, gilt er als herausragender Vertreter der jungen Exiltibeter. Seine Stimme wird gehört. Tsundue wurde 1997 verhaftet, nachdem er illegal nach Lhasa, der Hauptstadt Tibets – eines autonomen Gebiets der Volksrepublik China – eingereist war.

Wenn die Heimat keine Heimat ist

Ich fragte Kata: «Wie kann man leben, wenn die Heimat keine Heimat mehr ist? Was bedeutet es, ein Leben lang Flüchtling zu bleiben? Wie erträgt man es, wenn es kein Zurück ins eigene Land gibt?» Katas ruhige und bedachte Art beeindruckte mich zutiefst: «Heimat ist ein ambivalenter Begriff, der mit Emotionen, Erinnerungen verknüpft ist. Er kann weit mehr sein als nur ein geografischer Ort. Zum Beispiel ein Kindergartenlied, das von Tibeter im Exil hadelt, oder ein Gutenachtlied, das meine Mutter mir am Abend vorsang. Es macht mich glücklich, dieses Lied selbst zu singen und zu hören. Meine Mutter starb früh und mein Vater fand mich mit etwa sechs Jahren kräftig genug, um zu fliehen. Ich habe keinen Kontakt mehr mit meinem Vater und meinem Bruder, denn als geflüchteter Tibeter würde ich sie in grosse Gefahr bringen. Natürlich würde ich sehr gerne wissen, wie es vor allem meinem jüngeren Bruder geht. Aber auch das Nachforschen kann gefährlich für sie sein.»

Kata sang mir mit feiner, leiser Stimme dieses Abendlied vor. Ich glaubte den Inhalt dieses zarten Liedes zuverstehen – ohne die Sprache zu kennen. Ein eindrückliches Gefühl.

Ein Symbol der Hoffnung: Gebetsfähnchen im Tibet.
Bild: unsplash

Auch Katas poetische Sprache beeindruckt. «Blumen in der Wüste können ohne Pflege und wenig Wasser überleben und sogar blühen.» So sieht er die geflüchteten Tibeter als Wüstenblumen, die in extremen Berdingungen sogar blühem können, das heisst, stärker und vielleicht auch weiser werden.

Flucht und Hoffnung: Kata berichtet Brigitta von seinem Weg aus Tibet.
Bild: Daniel Schmutz

Flucht aus Tibet

Die anhaltende Unterdrückung in Tibet durch die chinesische Regierung zwingt die Tibeter ihre Heimat zu verlassen. Die Flucht über den Himalaya ist lebensgefährlich, besonders für Kinder. Neben Kälte, Eis und Schnee macht die knallharte Grenzpolitik Chinas die Flucht nahezu unmöglich. Kinder verlieren das Augenlicht und Extremitäten. Flüchtlinge werden geschlagen und getötet.

Alle, die über die Grenze kamen, hatten Glück.

Kata

Kata erzählt mir von seiner Flucht vor etwa 21 Jahren: «Alle, die über die Grenze kamen, hatten Glück. Die, die diese Qualen überlebten, kamen erschöpft halb erfroren in Indien an. Ich war noch zu jung, um dieses schreckliche Drama wirklich zu begreifen.» In Dharamsala begann Katas neues Leben.

Geschichtlicher Hintergrund

Die chinesische Besetzung Tibets im Jahre 1959 führte zu einem Völkermord am tibetischen Volk. Nach dem Genozid flohen etwa 100.000 Flüchtlinge, darunter die Heiligkeit Dalai Lama ins indische Exil. Unter ihnen waren Tausende verwahrloste, verwaiste Kinder. Dem Dalai Lama wurde es sehr schnell klar, dass eine neue Heimat für die traumatisierten Menschen aufgebaut werden musste. Dharamsala, zu Füssen des Himalayas im Norden Indiens gelegen, wurde zu einem solchen Ort. In dieser fantastischen Berglandschaft entstand ein tibetisches Dorf mit Schulen.

Blumen in der Wüste können ohne Pflege überleben und sogar blühen

Kata

Dort fand auch der kleine Kata seine neue Heimat. Die tibetische und englische Sprache wurden erweitert und erlernt. Lieder, Musik Instrumente wie zum Beispiel das Zhamunian, ein Saiteninstrument, wurde gelernt und gespielt. Gedichte, sowie das Wissen und Grundsätze des Dalai Lama wurden gelebt und gepflegt. Mit der Zeit vermisste Kata nichts mehr; er hatte eine Heimat gefunden. In dieser grossen Familie ist er auch erwachsen geworden. Dafür ist er sehr dankbar. Er lernte vielleicht sogar mehr über tibetische Traditionen als im eigenen Land. Kata liebt die tibetische Kultur. Sie ist seine Wurzel im Exil. Aber sein Land Tibet und die Unterdrückung kann er nicht vergessen. Seine Familie, die er nie mehr sehen darf, liegt ihm sehr am Herzen.

Die neue Heimat: Dharamsala am Fusse des Himalayas.
Bild: Wikimedia Commons

Dalai Lama, Ozean des Wissens

Der Dalai Lama ist das Oberhaupt des tibetischen Buddhismus. Für die Tibeter verkörpert er die Gottheit Chenrezig, den Schutzpatron Tibets, und Bodhisavatta, das Erleuchtungswesen des Mitleids und des Erbarmens. Dalai Lama möchte allen Wesen helfen , den Kreislauf der Leiden zu durchbrechen. Er ist der Vater und das Symbol für die Tibeter und wird daher ehrfürchtig «Seine Heiligkeit» genannt.

Katas neuer Lebensabschnitt

Mit 18 Jahren musste Kata die tibetische Schule verlassen. Er begann das Studium der Psychologie. Der Abschied war ein schmerzhafter Prozess, voller Trauer und Einsamkeit. Weit weg von diesem schönen Klima, der neuen Heimat, den Wurzeln. Aber die Prägung, die Erziehnung waren so positiv, dass er seinen Weg weitergehen konnte und mit Menschen neuen Kontakt fand. Er ist und bleibt Tibeter tief in seinem Innern. Doch die andern Kulturen bereichern ihn. »Es ist wie ein Baum mit Ästen, je mehr dazu kommen, desto reicher ist sein Obst.»

Kata mit seinen Pateneltern: Unterstützung in der Ferne.
Bild: Privat

Kata hatte das grosse Glück Pateneltern in Steffisburg zu finden, die ihn unterstützen, nicht nur finanziell, sondern auch in schwierigen Situationen. Der schriftliche Kontakt stärkt Kata sehr.

Ich habe nun Eltern, kann ihnen Mum und Dad sagen

Kata

Er lebt jetzt in Kanada und hat soeben eine Green Card erhalten und kann zum ersten Mal in die Schweiz reisen. Er sagte mit mit grosser Freude: «Ich habe nun Eltern, kann ihnen Mum und Dad sagen. Ihre Familie ist auch meine Familie. Wir sehen uns zwar selten, aber eine tiefe Verbundenheit ist da. Ich bin so glücklich und dankbar, dass ich Mum und Dad hier besuchen darf und ihre wunderschöne Heimat kennenlernen kann und eine neue Kultur erleben darf.»

Man spürt Katas unglaubliche Dankbarkeit, denn Dankbarkeit und Hoffnung sind Türöffner für ein erfülltes Leben.

Tradition weitergeben

Kata hat sich etwas ganz Besonderes ausgedacht um den Tibetern im Exil, die sich nicht mehr an Tibet erinnern, ihre Wurzeln, ihre Sprache und ihre Tradition wieder näherzubringen.

Als Geschichtenerzähler will er Jung und Alt verbinden – die Schönheit der tibetischen Sprache weiterleben lassen. Das Schicksal der Tibeter darf in der Fremde nicht vergessen werden. In seinem Post spaziert er durch liebliche Landschaften und erzählt in tibetischer Sprache Geschichten von der Heimat oder diskutiert mit einem Freund. Er ist überzeugt, dass diese Form das tibetische Denken, die Kultur und Tradition weiterleben lässt.

Kata sieht sich als Brückenbauer zwischen Indien, Kanada und Tibet.

Kaputte Fähnchen erinnern an die Unterdrückung.
Bild: Unsplash
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