Als Remo Rickenbacher das erste Kunstwerk zerstörte, war der Art-Slam gerade fünf Minuten alt. Mit einem Japanmesser und gelber Lebensmittelfarbe machte er sich am Siebdruck von Werner Witschi zu schaffen. Das Publikum johlte – und die Verantwortlichen des Kunstmuseums lachten mit. Natürlich zerstörte Slam-Poet Rickenbacher nicht den echten Witschi, sondern eine Reproduktion. Der Moderator des ersten Art-Slams, initiiert von UND Generationentandem und dem Kunstmuseum Thun, erklärte damit plakativ die Benimmregeln des Museums, nach dem Motto: So eben nicht!
Rotierendes Publikum
175 Menschen standen und sassen im zur Slam-Arena umfunktionierten Foyer des Thunerhofs. Auf der Treppe sowie am Geländer lehnend, suchte das generationendurchmischte Publikum den besten Blick zur Bühne. Schwarzer Hintergrund, ein Mikrofon und farbige Lichter erzeugten im ehemaligen Grandhotel eine einmalige Stimmung. Nach einer kurzen Einführung machten sich die SlammerInnen und das Publikum auf ins Museum. Jeder der Spoken-Word-PoetInnen hatte ein Bild ausgewählt. Je ein Viertel der ZuschauerInnen versammelte sich vor einem Bild.
Gina Walter (21) aus Basel, Gregor Stäheli (27) aus Zürich, Andreas Kessler (53) aus Ostermundigen und Hans Jürg Zingg (74) aus Hasle-Rüegsau performten ihre Texte je viermal, das Publikum rotierte jeweils nach sechseinhalb Minuten zum/zur nächsten SlammerIn. Die Werke aus der aktuellen Ausstellung zum 70-Jahr-Jubiläum des Kunstmuseums bekamen plötzlich eine ganz neue Geschichte: Diana Dodsons Bildsphäre (2016) löste poetischen Gedanken rund um Erinnerung aus und George Steinmanns Karte der Verwüstung (1982) wird zu einem Plädoyer zum Klimaschutz. Adolf Flückiger regte mit seinem Kellertheater bei Nacht (1972) dazu an, ein Ehepaar aus dem Publikum zu belauschen, eine Hommage an eine Thuner Theatergeschichte. Tiefsinnige und humorvolle Kunstphilosophie entfaltete sich vor dem grossen weissen Bild mit «Gschlirgg» Ohne Titel (1982) von Peter Willen.
Nach der ersten Hälfte in den ehrwürdigen Museums-Hallen fand sich das Publikum wieder im Foyer des Thunerhofs ein. Nun mussten die ZuschauerInnen entscheiden, welcher Text sie am meisten überzeugt hatte: «Ich kann mich doch nicht entscheiden», so eine ältere Zuschauerin zu einer jüngeren.
Zu Beziehungen geslammt
Nach der Pause traten die vier SlammerInnen in Halbfinals gegeneinander an und performten zum Thema «Beziehungen», welches das Kunstmuseum Thun und UND Generationentandem bestimmt haben. Der derbe und träfe Hans Jürg Zingg reimte sich entlang bekannter Volkslieder, der energische Gregor Stäheli suchte als Peter Pan seine Wendy – und fand sie im Publikum laut lachend. Der in breitem Berndeutsch performende Andreas Kessler stellte ein Paar, das sich in Loriot-Manier nicht versteht, dar.
Und Gina Walter schuf Poesie an den liebsten Menschen mit unzähligen Vergleichen: «Zeit mit dir zu verbringen, ist wie Luftpolsterfolienbläschen zerplatzen zu lassen.» Mal gebannt und ganz still, mal laut lachend ging das Publikum mit den Texten mit. Am Ende setzte sich Gina Walter gegen die anderen Slammer durch, die Baslerin durfte am ersten Thuner-Slam den Preis – die 20-jährige Whiskey-Flasche mit 70 Zentiliter Inhalt – köpfen, ein würdiger Moment zum 70-jährigen Jubiläum des Kunstmuseums.
OrganisatorInnen sind stolz
Etwas ins Schwitzen kamen die Verantwortlichen schon, als 15 Minuten vor Beginn des Anlasses die Menschen in Scharen ins Museum strömten. Die Organisatorin von UND Generationentandem, Livia Thurian, meinte: «Jetzt werden wir sehen, ob unsere Logistik funktioniert!» 175 Menschen zeitgleich durch die Gänge des Museums von Slammerin zu Slammer zu befördern, bedarf einer guten Organisation. Doch dank Gong-Bediener Remo Rickenbacher und nach Farben organisierten Gruppen gelang die Herausforderung perfekt. Als sich um 22.45 Uhr der Thunerhof langsam leert, blickt Livia Thurian auf die Veranstaltung zurück: «Wir sind sehr zufrieden! Die Stimmung war grossartig, das Publikum hat super mitgemacht.
«Wir dürfen stolz sein, wir haben Thun eben den ersten Art-Slam geschenkt.» Sara Smidt, die Kunstvermittlerin des Kunstmuseums Thun zeigte sich nach dem Anlass ebenfalls begeistert: «Die Fusion von Spoken Word und Kunstwerken ist gelungen.»
Ein Feuerwerk
Der Art-Slam war ein Feuerwerk mit Wort und Kunst – der langanhaltende Applaus ganz am Ende galt den OrganisatorInnen von UND Generationentandem» und dem Kunstmuseum Thun. Aus einer Idee wurde Realität, der Art-Slam berührte und verband Menschen verschiedener Generationen: Auf der Bühne und im Publikum – und hinter den Kulissen bei der Vor- und Nachbereitung.
Die besten Bilder des Art-Slams
Mara Ludwig (16), Walter Winkler (79), Elias Rüegsegger (24)
Nächste Veranstaltung
Und die nächste Veranstaltung in Kooperation von UND Generationentandem und dem Kunstmuseum Thun wartet bereits: In Tandems zu «Beziehungen» pinseln.
Wann: Sonntag, 11.11.18, 11:11 Uhr
Wo: Kunstküche des Kunstmuseums Thun, Eingang an der Hofstettenstrasse Hofstettenstrasse 12, 3600 Thun
Eintritt frei, Kollekte.
Art Slam im Kunstmuseum war schlicht grossartig! Lustig, geistreich, ernsthaft, witzig… Top organisiert! Danke und liebe Grüsse,!Andreas Steinmann