«Bronislaw Erlich, werden Sie nicht müde, Ihre Geschichte immer wieder zu erzählen?» – «Nein. Für die Leute, die zuhören, ist es jedes Mal etwas Neues.» Am Montagabend, 30. April, erzählte Bronislaw Erlich, heute 95-Jahre alt, seine Geschichte einmal mehr, in der Cafeteria des Gymnasiums Thun, Standort Schadau. UND Generationentandem hat für viele Menschen die Gelegenheit geschaffen, einen Holocaust-Überlebenden live zu erleben. Rund 300 BesucherInnen, so schätzen die Organisatoren vom Verein UND Generationentandem, haben den Weg zur Veranstaltung gefunden. Die Cafeteria platzte aus allen Nähten.
Erlich ist einer der wenigen Holocaust-Überlebender, die heute noch leben. 1923 in Warschau geboren, ändert sich sein Leben schlagartig, als die deutsche Armee 1939 in Polen einfällt. Als Jude ist er direkt bedroht. Gemeinsam mit seiner Schwester flüchtet der damals 17-Jährige in den Osten Polens, von Russland besetzt, und folgt damit seinem älteren Bruder. Seine Eltern und der jüngste Bruder bleiben zurück in Warschau. Bronislaw Erlich wird sie nie wieder sehen.
Im Saal ist es mucksmäuschenstill, als Erlich seine Erlebnisse schildert. Das Gespräch mit ihm führen Corina Gall (25) und Elias Rüegsegger (23) von UND. Dass es gerade junge Menschen sind, die ihn befragen, steht für die Idee des Generationenprojekts. Erlich erzählt in einer bildhaften Sprache, detailreicher Erinnerung – wer ihm zuhört, sieht die Mutter vor sich, wie sie dem Perron entlang geht, während der Zug mit Bronislaw und seiner Schwester wegfährt, und sie sich aus Angst, entdeckt zu werden, nur mit den Augen verabschieden können. «Diese Trauer in den Augen meiner Mutter sehe ich noch heute», sagt Erlich.
Für Erlich folgt eine Odyssee durch Polen, durch Gefängnisse, Arbeiten auf Bauernhöfen oder Kohlewerken, während der er seine jüdische Identität geheimhalten muss. Er tauscht sein städtisches Polnisch gegen die vulgäre Ausdrucksweise der Landbevölkerung. Eine gefälschte Geburtsurkunde hat ihm wohl das Leben gerettet. Und dass ihn die anderen Polen, als er als Zwangsarbeiter nach Deutschland kommt, nicht verraten haben. «Ich hatte mehr Glück als Verstand.»
Nicht vergessen dürfe man die Lehren aus dem Holocaust, gibt Erlich dem Publikum im Gymnasium Schadau mit – Menschen allen Alters haben ihm gebannt zugehört. «Leider muss man feststellen, dass wir nicht gefeit sind vor einer Wiederholung dieser Tragödie.» Noch heute beobachtet er das politische Geschehen. «Wenn ich sehe, wie Diktatoren und Despoten heute handeln, denke ich, verdammt noch mal, Hitler hat am Anfang auch so gehandelt.»
Wer hat diese Veranstaltung organisiert? UND Generationentandem
Menschen verschiedener Generationen engagieren sich bei UND Generationentandem gemeinsam. Sie thematisieren gesellschaftliche, politische, kulturelle und wissenschaftliche Themen sowie Entwicklungen und Probleme im «Spannungsfeld» von Jung und Alt. Die Idee für UND entstand 2012 aus einer Maturaarbeit. Seither ist das Team von UND das Generationentandem Herausgeber von UND-print sowie «und-»online und Veranstalter von generationenverbindenden Events (UND live). UND print erscheint viermal im Jahr mit einer Auflage von 1000 Exemplaren. UND ist politisch und konfessionell unabhängig. UND finanziert sich durch Abo-, Mitglieder- und Sponsorenbeiträge. Mitmachen kann jede und jeder.
Videoporträt
Der Flyer zum Event
«The Last Swiss Holocaust Survivors»
Die Aussstellung ist zurzeit im Forum Schlossplatz Aarau zu sehen. Noch bis 20. Mai 2018. Die Ausstellung war auch im Kornhausforum in Bern zu sehen. Ein Tandem von UND hat die Ausstellung besucht und darüber geschrieben.