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Abtreibung: Über dieses eher kontroverse Thmea diskutierten Ann-Sophie Keller (33), Journalistin und Projektleiterin bei Alliance F, und Helene Huldi (65), (Frauen)-ärztin und Präsidentin des Arbeitskreises «Abruptio und Kontrazeption – Schweiz» (APAC Suisse), beim Generationentalk «Abreibung: Darüber spricht man nicht?», der am 27. April 2023 im Innenhof des Berner Generationenhauses unter der Moderation von Daniela Epp (29) stattfand.
Das Rechtliche
In der Schweiz ist der Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen nach der letzten Periode straffrei. Vor dem Abbruch ist ein eingehendes Gespräch mit einer ÄrztIn Pflicht. Nach den ersten 12 Wochen ist die Abtreibung nur noch bei einem Gesundheitsrisiko für die Frau erlaubt.
Weitere Infos zur rechtlichen Situation bei Schwangerschaftsabbrüchen gibt es hier.
Darüber spricht man nicht
Abtreibung ist in der Schweiz immer noch ein Tabu. Für Helene Huldi hängt dies damit zusammen, dass die Abtreibung immer noch im Strafgesetzbuch zu finden ist und somit prinzipiell verboten ist. Es sind also die Ausnahmeregelungen, die das Recht auf Abtreibung regeln.
Ein Tabu ist es sicher auch, da einige Menschen Abtreibung mit Mord gleichsetzen und Menschen, die sich für einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden als MöderInnen bezeichnen.
Ann-Sophie Keller fügt hinzu, dass die Abtreibung oft auch als unnatürlich angesehen wird, da aus konservativer Sicht die Frau ihre Rolle als Mutter nicht erfüllt. Mit ihrer Arbeit bei Alliance F will sie dem Stigma entgegenwirken, das heute immer noch mit dem Schwangerschaftsabbruch verbunden ist und über die unterschiedlichen Mythen rundum dieses Thema aufklären.

Ein solcher Mythos wirft Helene Huldi gleich ein: Oft wird angenommen, dass viele Frauen eine Abtreibung bereuen würden, aber dies treffe für die meisten nicht zu, erklärt sie Schliesslich trifft keine Frau diesen Entscheid unüberlegt. Bei der APAC setzt sie sich dafür ein, dass das Wissen über Verhütung, Sexualaufklärung und Schwangerschaftsabbruch in der ganzen Schweiz verbreitet wird.

Wie läuft eine Abtreibung ab?
2021 hat es in der Schweiz 11’000 Abtreibungen gegeben – 80 Prozent davon sind medikamentös. Bei der medikamentösen Methode werden zwei Medikamente eingenommen, wobei das erste dem schwangerschaftserhaltenden Hormon entgegen wirkt und das zweite bei der Ausstossung der Schwangerschaft hilft. Diese Methode ist offiziell bis sieben Wochen nach der letzten Periode zugelassen, jedoch wird sie von der Schweizerische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (SGGG) bis neun Wochen nach der letzten Periode empfohlen. Eine zweite Methode ist die chirurgische, also die Absaugung. Diese wird von der achten bis zur 13. Schwangerschaftswoche empfohlen. Die Wahl der Methode hängt also von der Schwangerschaftswoche ab.

Ann-Sophie Keller entschied sich selbst für eine Abtreibung. Sie erzählt, dass sie früher immer dachte, sie würde niemals abtreiben können. Doch als sie das blaue Strichchen auf ihrem Schwangerschaftstest sah, war ihre Entscheidung klar. Solche Dinge wisse man eben immer erst im Moment. Sie erklärt, dass sie einen Wissensvorsprung hatte, da sie als Journalistin schon über das Thema geschrieben hatte. Sie besuchte mit ihrem damaligen Freund noch am selben Tag eine Beratungspraxis, in der sie beraten wurden. Sie durchlebte alle Gefühle, die ein Mensch fühlen kann: von Angst und Überforderung am Anfang bis zur Erleichterung und Dankbarkeit. Am Tag nach der Einnahme des ersten Medikaments begann sie bereits zu bluten und musste daher das zweite Medikament nicht einnehmen. Viele Frauen, mit denen sie danach gesprochen hat, waren berührt. Oft hört man, dass die Frauen danach traumatisiert seien und starke Schmerzen hätten, «aber es kann auch einfach sein. Und es kann auch klar sein.»
«Es kann auch einfach sein. Und es kann auch klar sein.»
Anne-Sophie Keller
Eine Abtreibung ist eine medizinische Behandlung und wird von der Krankenkasse abgedeckt, sofern die PatientIn keine zu hohe Franchise hat. Ann-Sophie Keller hat die Kosten mit ihrem damaligen Freund aufgeteilt.
Helene Huldi erzählt, dass die Männer in ihrer Praxis in den meisten Fällen dabei seien. Männer sollen nach ihr unbedingt ein Mitspracherecht aber kein Mitbestimmungsrecht haben: «Es ist der Körper der Frau. Am Schluss entscheidet sie.»

Die «Einmal-darüber-schlafen-Initiative»
Eine der beiden SVP-Initiativen die aufgrund der zu wenigen Unterschriften nicht zustande gekommen ist, fordert einen Tag mehr Bedenkzeit vor der Abtreibung. Helene Huldi erklärt, Frauen würden nicht einfach in eine Praxis reinlaufen, und am selben Tag die Abtreibungspille erhalten. Ausserdem beginne die Bedenkzeit ja schon vor dem Besuch bei der Frauenärztin. Ann-Sophie Keller ergänzt, dass dies bei ihr nichts geändert hätte.
Ausserdem würde diese Initiative die Abtreibung für die Frauen erschweren, die einen langen Weg zur Praxis haben, oder die sich bei der Arbeit nicht jederzeit frei nehmen könnten.

Woher kommt der Gegenwind?
Die GegnerInnen der Abtreibung sind oft religiös und konservativ motiviert. Ann-Sophie Keller meint, dass die Gruppe eigentlich recht klein ist, jedoch ein verhältnismässig grosses Medienecho hat. Dadurch erscheint die Gegenseite manchmal grösser, als sie es in Wirklichkeit ist. Helene Huldi ergänzt, dass es auch unter Fachleuten AbtreibungsgegnerInnen gibt. Für ÄrztInnen ist es aber Pflicht, PatientInnen an eine Fachperson weiterzuverweisen, was jedoch nicht immer passiert. Ann-Sophie Keller berichtet von Fällen im Inselspital Bern, bei denen das Pflegepersonal Frauen vor einer Abtreibung habe verunsichern wollen und deswegen verwarnt worden sei.
«Was ich nicht achte ist wenn diese das Gefühl haben, die ganze Schweiz müsse nach ihrer Meinung ticken.»
Helene Huldi
Helene Huldi sagt dazu, dass sie Menschen achte, die einen Schwangerschaftsabbruch aufgrund ihrer ethischen Gefühle nicht für möglich empfinden. «Was ich nicht achte ist wenn diese das Gefühl haben, die ganze Schweiz müsse nach ihrer Meinung ticken.» Oft mangle es bei den AbtreibungsgegnerInnen nicht an Einfühlvermögen, es sei ein bewusstes darüber hinwegsetzen, präzisiert Ann-Sophie Keller.

Sowohl Ann-Sophie Keller als auch Helene Huldi werden sich also auch in Zukunft für das Recht auf eine Wahl und die Verbreitung des Wissens um den Schwangerschaftsabbruch einsetzen.