Generationentalk zum Nachschauen und Nachhören
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Aufgezeichnet von Heinz Gfeller (74)
Das Format heisst Generationentalk. Diesmal war die Alters-Mischung dadurch sichergestellt, dass der Moderator Luc Marolf jung ist. Die beiden Gesprächsteilnehmer unterschieden sich im Alter wenig, warteten aber mit grosser Erfahrung mit Geschriebenem auf: Heidi Bühler-Naef, Bibliothekarin, Rezensentin, Mitglied des Vorstands von UND, in letzter Minute eingesprungen, und Daniel Puntas, Journalist, Chefredaktor von «Reportagen».
Ein Talk? Diesmal wurde es gewiss kein Streitgespräch, vielmehr eine einvernehmliche Werbung fürs Lesen. Wer was gesagt hat, braucht hier nicht stets unterschieden zu werden. Aber passend ist es, wenn in der Folge etliche Buch-Tipps weitergegeben werden.
Zunächst allerdings ein Gegensatz – nach der Frage, wie man zum Lesen gekommen sei. Für Heidi Bühler gehörte Lesen in der Familie einfach dazu. Daniel Puntas hingegen – ohne «bildungsbürgerlichen Hintergrund» – musste erst allmählich hineingeraten, über die Zeitung «Sport»; später – klick! – eine Biografie von Pablo Neruda.
Grosse Erlebnisse
Immer wieder mussten nun Buchtitel fallen. Ein aktueller, der beeindruckt? Daniel Puntas nennt «Outlaw Ocean» von Ian Urbina; Heidi Bühler «Das Café der trunkenen Philosophen» von Wolfgang Martynkewicz. Beide von realen Gegebenheiten oder Personen ausgehend. Oder Elena Ferrante sowie Philip Roths «Mein Leben als Sohn», die Heidi Bühler in ihrer Lebenssituation eng begleitet haben. Während Daniel Puntas berichtet, Gotthelf habe ihm seine eigene Jugend erklärt. Die alten Meister sollen nicht vergessen gehen: Sie schwärmt von Theodor Storms «Schimmelreiter» (1888), er von Cervantes’ «Don Quijote» (1605).
Was aber macht es aus, dass man von einem Buch angesprochen, ja überwältigt wird? Ein Buch – vielleicht «ein Schmarren» – trifft in einem bestimmten Moment auf den/die LeserIn, es macht klick! JedeR entscheidet selber, ob ein Buch gut sei. Oft hilft dabei auch Vermittlung: Heidi Bühler hat viel Erfahrung und Freude dabei, Leuten Bücher schmackhaft zu machen.
Es kann sehr wohl sein, dass eine Identifikation mit dem Gelesenen stattfindet. Es geht nicht darum, Wissen anzusammeln. Für Daniel Puntas ist wichtig, dass er «eine Autoren-Stimme hört», dass es dem Autor aber um seine Geschichte geht, und dass diese «doppelten Boden» hat.
Realität oder Fantasie?
Beide spielen mit. Literatur bietet Spielmöglichkeiten: So kann das Leben sein. Auch in der Zukunft; Daniel Puntas nennt Huxleys «Schöne neue Welt» (von 1932), das 200 Jahre vorausblickt, aber für sein Empfinden übermorgen handelt.
Er gibt das Magazin «Reportagen» heraus – da geht es doch um Reales. Tatsächlich fasziniert ihn dieses. Am Fernsehen habe er nicht «Tatort», sondern «Aktenzeichen XY» sehen wollen. Er ist glücklich, in neue Welten eintauchen zu können.
Zu «Reportagen» noch dies: Man hat sich dort fürs Papier entschieden. Man stellt heute fest, dass weniger Reportagen verfasst werden, jedoch unter höherem Druck. Oft zählt nur: Wer bekommt mehr Klicks? Wer «performt» besser? Dabei bleibt die Qualität der Texte massgebend.
Was leistet Literatur – was die Leserschaft?
Das Max-Planck-Institut in Frankfurt forscht über Zusammenhänge zwischen Literatur und Neurologie; doch man steht erst am Anfang mit der Frage: Was geht beim Lesen im Hirn ab? Hier entfalten die zwei Gäste aber ihre Begeisterung. Bei Kindern sieht man, wie sie sich in Konzentration üben, wobei das Geschriebene stärker wirkt als Tonaufnahmen. In einer amerikanischen Studie haben Kinder das Buch als «eine fantastische Erfindung» entdeckt – auch darum, weil man sehe, wann es fertig sei (im Vergleich mit dem iPad).
Daniel Puntas erkennt einen grossen Unterschied zwischen Netflix-Schauen und Lesen, das er als «Schwerarbeit» bezeichnet. «Deep reading» muss es aber sein. Heidi Bühler weist darauf hin, dass alle Menschen beim Lesen viel kreative Arbeit leisten und sich ganz persönliche Bilder von Personen und Orten erschaffen. In der Verfilmung des geliebten Buchs finden sie diese oft nicht wieder und bleiben dann enttäuscht zurück.
Die ganz gute Nachricht obendrauf: Die Universität Yale hat festgestellt, dass Menschen, die mindestens 30 Minuten täglich richtig lesen, 23 Monate länger leben als die andern.