Er fährt im Twike vor – in einem dreirädrigen Elektromobil mit zwei Plätzen. Eigentlich ein motorisiertes Tandem, bei dem man nebeneinander sitzt. Die grosse Klapphaube öffnet sich und er steigt aus – in Frack geworfen, mit Hut und Stock. Er richtet sich an die TeilnehmerInnen und BesucherInnen des 5. Cafés drunter & drüber. Er selber habe das erste Tandem erfunden – nur leider habe er kein Patent dafür angemeldet. Er spricht vom grossen Rundbild, das er gemalt hat. Ja, es ist Marquard Wocher, der da vor den Menschen des 21. Jahrhunderts steht.
Gespielt wird er von Herbert Hubacher, einem 67-jährigen Laiendarsteller. Er haucht dem längst verstorbenen Künstler Leben ein. Eine Mischung aus echtem Marquard Wocher und fiktiven Charakterzügen kann Jung und Alt überzeugen.
Im Anschluss an den Auftritt Wochers vor dem Panorama sucht er dann nach seinem grossen Bild der Stadt Thun. Im modernen Eingangsbereich findet sich Hubacher alias Wocher so gar nicht zurecht. In der Rotunde kommt er dann gar nicht mehr aus dem Staunen heraus.
Gerüchte zu seinem Rundbild muss Marquard Wocher nicht erzählen, denn er weiss jedes Detail zu seinem Bild. Die Menschen auf dem Bild sind aus Basel, wie der Künstler erzählt, wo Wocher das Gemälde anfertigte. Was sich die Menschen auf dem Panorama erzählen, das ist die Frage an die Tandems, die eine Geschichte erfinden sollen. Alle Geschichten haben wir hier festgehalten.
Weg mit dem Pagoret
Ich bin Mariella. Eigentlich stamme ich aus Thun, in den letzten Jahren habe ich in Basel als Wäscherin gearbeitet.
In dieser Zeit erbauten die Stadtherren am Ufer des Rheins ein Pagoret*. Die Glocke, die auf dem Pagoret hing, schlug stündlich und laut. Die schrillen Töne verunmöglichten es dem Strassenvolk und insbesondere uns Wäscherinnen, sich miteinander zu unterhalten. Wir sind die ersten gewesen, die auf die Barrikaden gingen. «Weg mit dem Pagoret!», verlangten wir. Einige der Wäscherinnen wurden von den Stadtherren erkannt und in den Kerker geworfen. Ich, Mariella, hatte die Idee, dass wir uns beim nächsten Widerstand mit Leintüchern vermummen sollten. Schlussendlich haben wir Wäscherinnen erreicht, dass das Pagoret abgerissen wurde. Jetzt, als ich vom erbauten Pagoret in Thun hörte, habe ich mich sofort auf den Weg gemacht, um den protestierenden Wäscherinnen mein Vermummungsmaterial zu bringen.
*Pagoret: Turm mit sehr schrill und laut tönender Glocke
Das Froschbein schwingen
Haben die das spezielle Haus dort drüben nun endlich fertig gebaut? So läuft wieder mal was in Thun. Für die Jugend gibt es ja sonst nicht viel hier… Das gibt wohl eine Tanzhalle, wo nicht nur Stallknechte und aufmüpfige Burschen sein werden. Ist es schon geöffnet? Ich sehe ja gar nicht richtig bis dorthin von meinem Fenster aus. Hausi von vis-à-vis kann mir jedenfalls gestohlen bleiben. So küsse ich halt nun einen Frosch in der Aare – vielleicht ist es dann der Märchenprinz, der mit mir das Tanzbein schwingt.
Stini hofft auf das florierende Geschäft
Stini Straubhaar schiebt jeden Morgen die weissen Vorhänge vor ihrem Fenster beiseite und lüftet ihr Zimmerchen, bevor sie arbeiten geht. Sie ist 60 Jahre alt und eine waschechte Thunerin. Wenn man sie genau betrachtet merkt man, dass ihr Rücken nicht mehr ganz gerade ist. Seit einigen Nächten schläft sie sehr schlecht, obwohl sie ihre Rosshaarmatratze ausgeklopft hat. Sogar die Murmeltiersalbe konnte nicht helfen.
Ihre Gedanken kreisen immer wieder zum Gerücht, dass es hier in Thun bald eine Pagode geben soll. Oder doch ein Pagoret? Stini fragt sich:
«Wird das zu einem Sündenhaus in diesem konservativen Thun? Für mein Esswarengeschäft unter der Laube wäre das jedenfalls gut. Die Leute müssten ja auch was zu essen haben, die Frauen möchten Rosenwasser, um den Herren Freude zu bereiten… »
Stini streckt ihren müden Rücken, zupft an ihrer Haube und geht aus dem Haus in die Gasse – sie will hören, was an diesem Gerücht dran ist. Neben der Haustüre bleibt sie stehen. Sie überlegt sich:
«Für diese Herren und Damen möchte ich doch etwas tun. So könnte mein Geschäft so richtig florieren.»
Saft gegen Mann
Herbert Hubacher (67), Sara Smidt (47)
Waschweib: Wo kommst du her, was hast du da in deiner «Hutte»?
Heilerin: Soll ich dir das jetzt sagen? Kannst du ein Geheimnis bewahren?
Waschweib: Ich bin stumm wie ein Grab…
Heilerin: … du meinst, stumm wie ein Waschweib.
Heilerin: Ich habe da so eine Salbe – aber sie wirkt nur bei jenen, die auch daran glauben. Du musst also weltoffen sein…
Waschweib: Ja – ich habe Schmerzen im Rücken, ich muss für meinen Herrn den ganzen Tag die Fenster putzen.
Heilerin: Ja, ich habe was dabei. Ich komme von weit her – von Fribourg – und habe Unmengen an Mittelchen, Salben und Säften dabei.
Waschweib: Kommst du aus dem Schwarzenburgerland? Da habe ich schon von manchen Frauen gehört, die Säfte und Salben brauen und herstellen.
Heilerin: Ja… Aber ich möchte dir nicht sagen, was wir tun, damit beispielsweise dieser Tee so wirksam ist. Wir vergraben Elefantenzähne im Boden… Mehr will ich nicht sagen. Aber kannst du denn zahlen? Ein bisschen was will ich schon für diesen Tee. Es ist ja kein Pfefferminztee.
Waschweib: Hmm, zuerst noch eine Frage: Ich habe noch ein anderes Leiden als meinen Rücken. Ich leide an Liebeskummer.
Heilerin: Ja, da haben wir viele Gegenmittel. Da kommt mir etwas in den Sinn. Denn der Tee gegen Liebeskummer hat einen Haken. Er wirkt bei allen – ausser bei mir selbst. Und ich habe auch Liebeskummer.
Waschweib: Fehlt dir einer?
Heilerin: Genau – du kennst viele Leute hier, kennst du einen schicken Mann hier?
Waschweib: Der Hotelier im Freienhof, der sucht noch jemanden. Ich lege bei ihm ein gutes Wort für dich ein. Und du gibst mir dafür diesen Saft gegen Liebeskummer und Rückenschmerzen. Aber ich möchte noch mehr…
Heilerin: …Du kannst mit deinen Leiden dein Leben lang immer zu mir kommen.
Waschweib: Also – so machen wir das.
Café drunter & drüber:
Generationen im Thun-Panorama
Dieses Projekt ist Teil von Generationen im Museum (GiM). Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Generationen in Museen der Deutschschweiz sollen damit gefördert werden. Im Thun-Panorama entsteht ein Café drunter & drüber: Personen verschiedener Generationen sind eingeladen, miteinander Geschichten zu (er)finden, welche im 200-jährigen Rundbild von Thun spielen. Das Café will die Zusammenarbeit von Interessierten fördern, die sich mit Menschen, die 15 Jahre jünger (drunter) oder älter (drüber) kreativ auseinandersetzen wollen. Für das Café drunter & drüber ist das Kunstmuseum Thun verantwortlich. UND Generationentandem begleitet das Projekt neben Radio 60 Plus als Partner.