Wir kennen solche Szenen: Bus Line 10, zweithinterste Sitzreihe: Ein älteres Ehepaar hat etwas umständlich Platz genommen, sie blättert in «20minuten» und entsetzt sich über einen Artikel zum Thema Sozialhilfe. «Diese Schmarotzer», kommentiert sie – er, leicht schwerhörig, nickt.
Übernächste Station: Eine Schar von SchülerInnen steigt ein, macht sich breit, diskutiert lauthals über ungerechte Notengebung. Der Balkan-Slang scheint zu dominieren, ein junger Mann telefoniert am Handy mit einem andern, der weiter vorn im selben Bus sitzt: «Göh mer Bahnoff?». Kopfschütteln bei den beiden Alten, Nichtbeachten bei den Jungen. That’s it.
Dabei hätten sich die unterschiedlichen Generationen vielleicht etwas zu sagen. Doch dies scheint der falsche Ort, der falsche Zeitpunkt, das falsche Umfeld zu sein.
Ganz anders tags darauf im Tram Nummer 9: Bei der Haltestelle «Wander» steigt eine ältere Frau mit leicht schiefer Kopfbedeckung und abgeschabter Einkaufstasche gleich vorne beim Führer ein. Ein jüngerer Passagier rutscht nach rechts und macht sofort Platz. Die Frau setzt sich, wirkt aber leicht verunsichert und fragt in die Runde: «Kann mir jemand sagen, wo ich aussteigen muss, um ins Reformhaus an der Gurtengasse zu gelangen?» Sofort bildet sich um sie herum eine Gruppe von jüngeren Passagieren, die Ratschläge erteilt. Einer der Jungen zückt sein Smartphone und findet innert Sekunden auf dem elektronischen Stadtplan heraus, wo genau die Gurtengasse und das gesuchte Reformhaus liegen. Eine junge Frau erklärt es der älteren nochmals und meint, sie könne sie beim Hauptbahnhof noch einige Schritte begleiten, sie habe denselben Weg. Auf der Weiterfahrt erzählt die Reformhauskundin aus ihrem Leben, sie habe mit ihrem Mann lange in Indien gelebt, jetzt sei er gestorben und sie finde sich hier halt noch nicht überall zurecht. Während das Tram ins Stadtzentrum fährt, entsteht beinahe Kaffeehausstimmung. Für’s gegenseitige Gespräch reichte der richtige Anlass zur gegenseitigen Kontaktaufnahme.
Alt jung und Jung alt sein zu lassen
Die Idee, ursprünglich vor drei Jahren aus einer Maturaarbeit entstanden, war einleuchtend und vielversprechend: Ein Medium, das Jung UND Alt zusammenbringt, sei’s in Form eines Print-Magazins, sei es ergänzt im Internet. Bloss: Wie setzt man (und frau) ein solches Konzept konkret um? In der allerersten UND-Nummer schreibt Elias Rüegsegger: «Die Idee, das Ziel, die Vision von UND ist vielleicht naiv, utopisch, idealistisch. UND ist die Idee, eine Plattform zu bieten, Themen von zwei verschiedenen Seiten anzugehen, vielleicht sogar Jung alt und Alt jung sein zu lassen.»
Der Weg ist bei Lichte betrachtet allerdings nicht so einfach wie die Idee einleuchtend: Das Wort UND ist kurz, der Weg zum Generationendialog lang: Was haben sich denn Jung und Alt wirklich zu sagen? Erfahrungen weiter geben? Die wollen junge Menschen meistens selber machen. Erzählen, dass es früher anders war? Interessieren diese Patina-Geschichten heute noch? Zuhören, was diese und jener alles geleistet haben? Junge Leute begegnen heute einer völlig veränderten Welt und müssen sich diesen neuen Herausforderungen stellen. Also: Was denn?
Oder sollen Junge den Alten – umgekehrt – zeigen, wie stark sich alles verändert hat? Wie mühsam oft ein Alltag, in welchem man Beruf, Freizeit und Familie unter einen Hut bringen muss, abläuft? Wie unsicher Arbeitsstellen geworden sind? Und wie die Alten bei all dem gefälligst ein bis zweimal pro Woche die ach so herzigen Enkelkinder hüten sollten?
Zwanzig geschenkte Lebensjahre
Nicht nur bei den Jungen, nein, auch bei den Älteren hat sich das Leben inzwischen völlig verändert. Diese Generation hat mittlerweile zwanzig zusätzliche Lebensjahre geschenkt bekommen. Die meisten Älteren leben in recht gesicherten finanziellen Verhältnissen, fahren Auto, gehen auf Kreuzfahrten, wohnen im Eigenheim. Bloss weiss man noch nicht genau, wie man sie nennen soll? «Golden Agers», junge Alte, alte Junge, Babyboomers…? Eben ist das Buch erschienen «Die neuen alten Frauen», in welchem Frauen, die zum grössten Teil ihre Männer überlebt haben, über ihren neuen Lebensabschnitt sinnieren. Also: Was hat sich Alt und Jung noch zu sagen? Es geht nicht um gegenseitiges besserwisserisches Überzeugen. Der Mehrwert eines Generationentandems besteht darin, einander zuzuhören und, wie erwähnt, Fragen des Lebens aus verschiedenen Perspektiven anzugehen. Eine Bereicherung durch gegenseitiges Ernstnehmen, Respektieren und Tolerieren.
Wo wir uns alle einsetzen können, ist nicht in der angestrengten Suche nach einem gekünstelten Dialog, sondern im Schaffen von Gelegenheiten, zusammen echt in ein Gespräch zu kommen. Zwischen «Wander» und «Reformhaus»…