
Am Ausflug vom 2. April nach Neuenburg, gewissenhaft organisiert von Marianne Senn, haben 20 UND AnhängerInnen teilgenommen. Was im Folgenden über unser Ziel, das Centre Dürrenmatt, sowie über den berühmten Schriftsteller mitgeteilt wird, beruht auf meinen persönlichen Lektüren und Überlegungen, alle aber gestützt auf die ausgezeichnete Führung von Michael Fischer, die wir erhalten haben.
Steil geht’s hinauf zum Centre – zu Dürrenmatts langjährigem Wohnsitz. Wie er wohl in seiner Leibesfülle damit zurechtgekommen ist? (Sein Freund Varlin hat auf dem Porträt von Dürrenmatt, welches im Treppenhaus hängt, die Fülle listig, aber nicht ungerecht übertrieben.) Allerdings, hört man, war Dürrenmatt Autos, sogar grossen, nicht abgeneigt. Ein Grossbürger?
Ein stattliches Anwesen
Die Wohnlage da oben am waldigen Hang, mit der (diesmal leider nebelverschleierten) Aussicht über Fussballstadion und See, berückt und macht neidisch. Wer so wohnt, kann wohl schaffen – oder sich ablenken lassen; wogegen sich Dürrenmatt heftig gewehrt habe. Das Resultat gibt ihm recht. Unverbaubar wollte er sein Anwesen halten; wiederum ein Privileg.

Von der Terrasse aus hat er beobachtet – auch andere Beobachter. Das passt zum scharfsichtigen Schriftsteller; er muss genau, vielleicht unbarmherzig hinschauen.
Das Centre besteht aus dem ursprünglichen Wohnhaus aus den 50er-Jahren und den Anbauten von Mario Botta. Diese sollten sich nach Motiven von F. D. richten: dem Turmbau (wobei der Turm jetzt nach unten reicht), dem Labyrinth (besonders kompliziert sind die Innenräume freilich nicht). Dass die Motive Dürrenmatt sehr beschäftigt haben, bestätigt sich in den Bildern, die er hergestellt hat, wie auch in seinen Büchern.
Im Interview mit Elias Rüegsegger erklärt Michael Fischer, was ihn an Friedrich Dürrenmatt fasziniert.
Im Treppenhaus findet sich, neben dem Varlin, ein «Plan» von Konolfingen, den Friedrich Dürrenmatt einmal erstellt hat, als er auf seine Kindheit im Dorf zurückschaute. Es handelt sich allerdings um einen «Kopf-Plan» (ein Mind-Map, wenn man so will), in den er Personen mit ihren Eigenheiten, ja ihren Geschichten eingeschrieben hat: ein eklatantes Beispiel dafür, wie ein Schriftsteller sein Material aus seiner Lebenswelt zieht. Im Fall von Dürrenmatt: schweizerisches, ländliches Material, auch viel Schräges oder Unschönes.
Der empfindliche Maler
Unten im Centre die Ausstellungsräume, ein eindrückliches Halbrund im Zentrum; alles nicht zu weitläufig, übersichtlich wie ein guter Dürrenmatt-Text. Die gelungenen Werke von Dürrenmatt, denke ich, sind so – prägnant, scheinbar einfach, gegenüber einer chaotischen Welt.
Charlotte Häfeli kannte Friedrich Dürrenmatt als Schauspielerin. Im Interview erzählt sie, wie sie den grossen Schriftsteller erlebt hat.
Dürrenmatt sei als Maler empfindlicher gewesen denn als Schriftsteller, seiner Sache weniger sicher; daher habe er erst spät ausgestellt. Jetzt erhält man einen Überblick über die verschiedenen Techniken, die er als Bildner verwendet hat: Gemälde (Gouache), Collagen, Feder- resp. Tusch- Zeichnungen, auch Karikaturen.
Dürrenmatt hat sich offensichtlich gern lustig gemacht – auch direkt, etwa über Nachbarn. Seine Texte verraten das ebenso, wenn auch auf gehobener Ebene. Es dürfte ihm leichter gefallen sein, Gehör zu finden, wenn er lustig war; wo er nur bissig war, hat er sich zumindest viel Ablehnung zugezogen.

Im Zentrum des Zentrums hängt das Gemälde «Die letzte Generalversammlung der eidgenössischen Bankanstalt». Beängstigend aktuell, denkt man wohl; lustig ist es nicht, nur beissend, makaber. Böse satirisch. (Es ging Dürrenmatt um die Realität, aber nicht realistisch, sondern grotesk verzerrt.) Darum herum die Motive, welche ihn eben umgetrieben haben: Mythologie, vorwiegend biblische und griechische; Sagenfiguren wie Kentauren; der Minotaurus im Labyrinth; der Turmbau zu Babel; Kreuzigung und Apokalypse. Eine chaotische, schreckliche Welt. Bilder sollen ausdrücken, was die Sprache nicht mehr erfasst. Es könnte sein, dass man diese Bilder als noch stärker empfindet als die schriftstellerischen Werke.
Höchstens im Alltag durchschnittlich
Die Kreuzigung: Ein grauenhaftes, brutales Geschehen. So muss es Dürrenmatt gesehen haben, der zwar von seiner Herkunft aus dem Pfarrhaus geprägt war, aber sich später als Atheisten definiert hat.
Und der Weltuntergang: eine Art Zusammenfassung eines pessimistischen, grauenhaften Weltbildes. Dürrenmatts Skepsis gegenüber den technischen wie politischen Entwicklungen scheint auch in den

Bildern auf. Die Atombombe war ihm eine grässliche Warnung. Natürlich fragt sich, wie ein durchschnittlicher Mensch mit derlei Ansichten leben kann; Friedrich Dürrenmatt war allerdings höchstens im Alltag durchschnittlich.
Aber er war, nebst allem andern, offenbar ein umgänglicher, lebensfroher Mensch. So jedenfalls tritt er uns in den Ausschnitten aus Interviews mit seiner späteren Frau Charlotte Kerr entgegen, seine herzhafte hiesige Sprache inbegriffen. Ein souveräner Künstler? Das wollen wir gerne glauben; ein Werk muss seinen Schöpfer ja nicht unbedingt zerstören. Er habe «Welttheater» machen wollen, sagte er; das, scheint mir, ist ihm gelungen.
Zu Dürrenmatt
Friedrich Dürrenmatt wurde 1921 als Pfarrerssohn in Konolfingen im Emmental geboren und starb 1990 in Neuchâtel, wo er 38 Jahre gelebt hatte. Internationale Berühmtheit erlangte er vor allem mit seinen Dramen «Der Besuch der alten Dame» (1956) und «Die Physiker» (1962) und durch die vielfach verfilmten Kriminalromane wie «Der Richter und sein Henker» (1952) oder «Das Versprechen» (1958). Weniger bekannt sind sein umfangreiches essayistisches und autobiografisches Spätwerk sowie seine Bilder, die er parallel zur Schriftstellerei zeichnete und malte. Der vielfach mit Preisen geehrte Autor war zweimal verheiratet, aus erster Ehe stammen drei Kinder.
Weitere Informationen zum Centre Dürrenmatt finden Sie hier.