Das Politpodium zum Nachschauen und Nachhören
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Steigende Lebenserwartung, hohe Renditeerwartungen an die Anlagen der Pensionskassen oder die längst überfällige Absicherung von Teilzeitbeschäftigten und mehrfachbeschäftigten Arbeitnehmer:innen: Das sind nur drei Gründe, warum eine Reform der Pensionskasse – also der 2. Säule des schweizerischen Altersvorsorgesystems – eigentlich dringend notwendig wäre, um die Renten langfristig zu sichern. Am 22. September 2024 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über einen Vorschlag für eine Reform des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-, und Invalidenvorsorge (BVG) ab.
Der Weg zur Abstimmung
2020 wurde dem Schweizer Parlament eine erste Version des überarbeiteten Artikels des Bundesgesetzes über die berufliche Alters-, Hinterlassenen-, und Invalidenvorsorge (BVG) präsentiert, welche dann durch die zuständigen Kommissionen des National- und Ständerates weiter ausgearbeitet wurde. Der schlussendliche Reformvorschlag wurde von 126 Nationalrät:innen und 30 Ständerät:innen angenommen. Der Schweizerische Gewerkschaftsbund ergriff das Referendum, unterstützt wurden sie dabei von sämtlichen Gewerkschaften, der SP und der Geschäftsleitung der Grünen.
Am Abstimmungspodium «BVG-Reform: Sicherheit im Alter oder leere Versprechen?», das UND Generationentandem am 21. August 2024 im Gymnasium Thun-Schadau organisierte, wird schnell klar, dass sich die vier Podiumsgäste – Marc Rüdisüli von der Jungen Mitte Schweiz, Leandro Aeschbacher von den Jungfreisinnigen, Léa Dubochet von der JUSO Schweiz und Brigitta Bernet von der UNIA – bezüglich der Notwendigkeit einer Reform einig sind. Uneinig sind sie sich jedoch darüber, wie diese Reform aussehen soll.
Die wichtigsten Begrifflichkeiten
Am Abend vor dem Abstimmungspodium von UND Generationentandem veröffentlichte easyvote, eine Plattform des Dachverband Schweizer Jugendparlamente, die darauf abzielt Politik einfach, verständlich und neutral zu erklären, auf Instagram folgenden Post:
Die BVG-Reform ist komplex – sogar für das easyvote-Team, die auf das einfache Erklären von politischen Vorlagen spezialisiert sind. Ein paar Begriffe sind besonders relevant, um die Vorlage als Ganzes ein bisschen besser zu verstehen.
Eintrittsschwelle:
Das ist das Mindesteinkommen, ab dem man obligatorisch in die Pensionskasse aufgenommen wird. Wenn du weniger als diesen Betrag verdienst, musst du nicht in die Pensionskasse einzahlen. Die Reform will diese Schwelle senken, damit auch Menschen mit niedrigerem Einkommen in die Pensionskasse einzahlen müssen.
Altersgutschriften:
Das sind die jährlichen Beiträge, die sowohl du als auch dein Arbeitgeber in deine Pensionskasse einzahlen. Diese Beiträge sollen angepasst werden, um sicherzustellen, dass genügend Geld für deine Rente vorhanden ist. Für Versicherte im Alter von 25 bis 44 Jahren soll die Altersgutschrift neu 9 Prozent (vorher: 7 bis 10 Prozent) des BVG-pflichtigen Lohnes betragen. Für versicherte im Alter von 45 bis 65 Jahren soll die Altersgutschrift neu 14 Prozent (vorher: 15 bis 18 Prozent) des BVG-pflichtigen Lohnes betragen.
Umwandlungssatz:
Das ist der Prozentsatz, mit dem das angesparte Geld in der Pensionskasse in eine Rente umgewandelt wird, die man dann jährlich im Ruhestand bekommt. Beispiel: Wenn du 100.000 CHF angespart hast und der Mindestumwandlungssatz 6,8 Prozent beträgt, bekommst du jährlich 6’800 Franken Rente. Die Reform schlägt vor, diesen Satz auf 6,0 Prozent zu senken, was bedeutet, dass du bei gleichem angesparten Betrag weniger Rente erhältst (zum Beispiel: 6’000 Franken statt 6’800 Franken). Der Umwandlungssatz kann real deutlich tiefer liegen, weil Pensionskassen auch überobligatorisches Kapitel versichern (siehe «Überobligatorium»).
Koordinationsabzug:
Das ist ein Betrag, der vom Jahreslohn abgezogen wird, bevor die Pensionskassenbeiträge berechnet werden. Dieser Abzug verhindert, dass ein Teil deines Lohnes doppelt durch die AHV und die Pensionskasse versichert wird. Die BVG-Reform schlägt vor, dass dieser Abzug neu 20 Prozent deines Lohnes betragen soll, was insbesondere für Arbeitnehmer:innen mit Teilzeitanstellungen und tieferen Einkommen vorteilhafter ist, weil ein grösserer Anteil ihres Lohnes in der zweiten Säule versichert ist. Vor der Reform betrug der Koordinationsabzug bei allen 25’725 Franken.
Überobligatorium:
Das ist der Teil deines Lohnes, der über das gesetzliche Minimum hinaus in der Pensionskasse versichert ist. Hier können Pensionskassen zusätzliche Leistungen anbieten, also mehr Rente oder bessere Bedingungen für höhere Löhne.
«Es ist nicht alles schlecht»
Für die beiden Befürworter der Reform, Marc Rüdisüli und Leandro Aeschbacher, ist klar: Die 2. Säule unseres Altersvorsorgesystems muss dringend reformiert werden, denn die Lebenserwartung hat sich verändert, aber auch die Art und Weise, wie wir arbeiten. So haben Teilzeitarbeit und Mehrfachbeschäftigungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark zugenommen. Für sie ist die vorliegende Reform zwar auch ein Kompromiss, aber einer der dennoch «verhebt».
Besonder stark hervorheben möchten sie die Anpassung der Eintrittschwelle: Diese Schwelle soll von 22’050 Franken auf 19’845 Franken gesenkt werden. Mit dieser Senkung erwartet man, dass rund 70’000 zusätzliche Arbeitnehmer:innen in die berufliche Vorsorge aufgenommen werden. Dies betrifft vor allem Personen mit tiefen Einkommen und Teilzeitbeschäftigte, insbesondere auch Frauen. Die Senkung der Eintrittschwelle unterstützen auch Léa Dubochet und Brigitta Bernet, obschon sich Brigitta Bernet und die UNIA eine noch stärkere Senkung erhofft hätten.
Was ebenfalls von allen Podiumsteilnehmer:innen unterstützt wird, ist die Festlegung des Koordinationsabzugs auf 20 Prozent – unabhängig von der Lohnhöhe. Vor der Reform betrug dieser Abzug 25’725 Franken. Diese Festlegung, da sind sich die vier Gäste einig, führt dazu, dass mehr Lohnanteile versichert werden, was besonders Teilzeitbeschäftigten und Personen mit tiefen Einkommen zugutekommt.
Brigitta Bernet betont in diesem Zusammenhang: «Es ist nicht alles schlecht an dieser Reform, aber wir müssen die Reform als Gesamtpaket anschauen und beim Gesamtpaket hat es eben einige Probleme.»
BVG-Reform gegen Arbeitslosigkeit im Alter?
Was Marc Rüdisüli und Leandro Aeschbacher ebenfalls betonen, ist, dass die Anpassungen bei den Altersgutschriften einen positiven Einfluss auf die Arbeitslosigkeit im Alter haben werden. Bei den ältesten Arbeitnehmer:innen betrug der BVG-Abzug, der bisher von Arbeitnehmer:in und Arbeitgeber:in geleistet werden musste, 18 Prozent (zum Vergleich: bei den jüngsten Arbeitnehmer:innen betrug dieser Abzug nur 7 Prozent). Neu beträgt dieser Abzug nur noch 14 Prozent. Das heisst, ältere Arbeitnehmer:innen werden zukünftig für Arbeitgeber:innen finanziell wieder etwas attraktiver.
Hier widersprechen die beiden Gegner:innen der Reform: Zwar befürworten sie die Senkung der Abzüge für ältere Generationen, bezweifeln jedoch, dass diese Massnahme tatsächlich die Anstellungschancen der ältesten Generationen verbessert. Zudem kritisieren sie die höheren Lohnabzüge für jüngere Generationen (von 7 Prozent auf 9 Prozent) – sie zahlen mehr ein, erhalten aber letztlich tiefere Renten, so Brigitta Bernet.
Der Knackpunkt: Die Senkung des Umwandlungssatzes
Auch wenn verschiedenen Aspekte der Reform von den Gegner:innen kritisiert werden, ist wohl die Senkung des Mindestumwandlungssatzes von 6.8 Prozent auf 6 Prozent das zentralste Problem der Reform. Durch die Senkung des Mindestumwandlungssatzes erhalten Rentner:innen weniger Rente für das gleiche angesparte Kapital. Wie im Beispiel oben aufgeführt, würde eine Rentnerin mit einem Sparkapital von 100’000 Franken zukünftig statt 6’800 nur noch 6’000 Franken pro Jahr erhalten. Diese Veränderung betrifft Personen, die ausschliesslich obligatorisch oder Obligatoriums nah versichert sind. Durch das Überobligatorium liegt der reale Umwandlungssatz im Durchschnitt bereits heute deutlich unter 6 Prozent.
Laut Brigitta Bernet würde dieser Aspekt der Reform besonders Arbeitnehmer:innen über 50 Jahren und die Mittelschicht treffen, da diese Gruppen oft höhere Beiträge leisten und somit stärker von der Senkung betroffen sind. Gleichzeitig fehlt bei der Pensionskasse auch nach der Reform ein Teuerungsausgleich, was dazu führt, dass zukünftige Renter:innen insgesamt weniger Geld zur Verfügung steht.
Was ist ein Teuerungsausgleich?
Wenn die Lebenshaltungskosten steigen (Inflation), sorgt der Teuerungsausgleich dafür, dass die Menschen sich weiterhin die gleichen Güter und Dienstleistungen leisten können wie zuvor. 2023 betrug der Teuerungsausgleich für Arbeitnehmer:innen in öffentlichen Institutionen 2,5 Prozent. Bei anderen Arbeitnehmer:innen entscheidet der Arbeitgeber selbst, wie hoch der Ausgleich ausfällt. Rentner:innen erhielten keinen Teuerungsausgleich über die Pensionskasse, jedoch über die AHV durch den Rentenmischinidex, der alle zwei Jahre angepasst wird.
Für Marc Rüdisüli ist die Senkung des Umwandlungssatzes ein notwendiges Übel, um die Finanzierung der 2. Säule langfristig und nachhaltig zu sichern. Es sei besser, dass alle ein kleineres Stück vom Kuchen erhalten, als gar keinen Kuchen, argumentiert er.
Alle möchten eine sichere Rente
Trotz der Differenzen bei der konkreten Ausgestaltung der Reform teilen alle Beteiligten ein zentrales Ziel: eine sichere und verlässliche Altersvorsorge für die gesamte Bevölkerung. Während die Marc Rüdisüli und Leandro Aeschbacher die Reform als notwendige Anpassung an die veränderten Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnisse sehen, sind Léa Dubochet und Brigitta Bernet der Meinung, dass die aktuellen Vorschläge nicht weit genug gehen oder gar zu Ungerechtigkeiten führen könnten. Doch in einem Punkt sind sich alle einig: Die Sicherung der Renten muss im Mittelpunkt stehen. Die Frage bleibt, wie dieser Anspruch in einem sich wandelnden Umfeld bestmöglich umgesetzt werden kann.
Politpodien von UND: Brisant, kontrovers und fair
UND Generationentandem lanciert vor eidgenössischen Abstimmungen politische Debatten für Menschen aller Generationen. Nationale Persönlichkeiten verschiedenster politischer Couleur treffen aufeinander – moderiert und organisiert durch unsere freiwillig Engagierten. «So fördern wir den Dialog der Generationen zu gesellschaftspolitisch relevanten Themen», erklärt der Initiant und Geschäftsleiter von UND Generationentandem, Elias Rüegsegger.
Partizipativ, digital und innovativ – so lassen sich die Podien beschreiben: Das Publikum bringt sich via Mentimeter in die Diskussion mit ein. Via Livestream können ZuschauerInnen aus der ganzen Welt teilhaben. Die Podien stehen später als Video- und Audiopodcast auf den verschiedenen Plattformen zum Nachhören bereit