Das Politpodium zum Nachschauen und Nachhören
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«Hast du selbst strukturellen Rassismus erlebt?», «in welchen Bereichen gibt es strukturellen Rassismus?», «wie stark hast du dich schon mit deinen Privilegien auseinandergesetzt?» und «wo steht Thun bei der Bekämpfung von Rassismus?»: Mit diesen vier Fragen wir das Publikum an der Veranstaltung «Struktureller Rassismus in Thun – eine Spurensuche» begrüsst, die im Rahmen der Thuner Aktionstage gegen Rassismus am 22. März 2024 im Kompetenzzentrum Thun-Oberland (KIO) stattfand.
Als Einstieg in das Podiumsgespräch stellen Tabea Arnold, Vorstandsmitglied von UND Generationentandem, und Annina Fröhlich, die Leiterin des KIO, die Antworten des Publikums vor. Was heraussticht: Struktureller Rassismus wird insbesondere in den Bereichen Bildung und Arbeit bemerkt.

Damit übergeben sie das Wort an Tabea Keller (24), der Moderatorin des Abends, die dieses Resultat auch gleich mit Zahlen bestätigt: 27 Prozent der gemeldeten rassistischen Vorfällen, passierten im Bildungsbereich. Sie verspricht, dieses Thema mit ihren Gästen zu vertiefen.
Ihre Gäste sind:
- Pascal Altenburger (54), Tanzschaffende und Kindergärtnerin mit einem Hintergrund in Sozialanthropologie, Tanz- und Theaterwissenschaften sowie Gender Studies, betonte, dass struktureller Rassismus in Institutionen wie Theatern tief verwurzelt ist.
- Aisa Martinez (39), Projektleiterin Diversitätsvermittlung beim Museum Schloss Burgdorf, hob hervor, wie das Museum nach neuen Stimmen sucht und sich mit Kolonialismus auseinandersetzt.
- Arbër Shala (30), Multimedia-Producer und -Publizist beim SRF, analysierte die Repräsentation der albanischen Community in den Medien und betonte die latenten rassistischen Tendenzen in der Berichterstattung.
Hinter den Kulissen
Der Titel dieser Veranstaltung lautet «Struktureller Rassismus in Thun – eine Spurensuche». Doch worüber sprechen wir überhaupt, wenn wir von «strukturellem Rassismus» sprechen?
Pascale Altenburger veranschaulicht mit folgendem Beispiel aus dem Theater: «Es gibt die Annahme, dass mit mehr Diversität auf der Bühne das Problem des Rassismus gelöst sei. Jedoch verbirgt sich Rassismus in den institutionellen Strukturen. Wer entscheidet über das Programm? Wer sind die Reinigungskräfte im Theater? Wer besucht die Aufführungen? Wer wird wirklich repräsentiert?»
«Wer wird wirklich repräsentiert?»
Pascale Altenberger

Auch Aisa Martinez betont die Bedeutung von echter Repräsentation und geht dabei auf ihre persönliche Arbeit im Museum Schloss Burgdorf ein. Sie sagt: «Das Museum sucht nach neuen Stimmen und beschäftigt sich intensiv mit dem Thema Kolonialismus. Es ist wichtig, nicht nur auf Museumsfachpersonen und Kurator:innen zu setzen, sondern auch Stimmen aus der Bevölkerung einzubeziehen. Unsere Projektgruppe ist äusserst vielfältig, sowohl in Bezug auf Alter, Herkunft als auch politische Meinungen. Hier geht es darum, eine neue Perspektive zu bieten.»
«Es ist notwendig, dass sich Museen mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen.»
Aisa Martinez
Sie betont ausserdem, dass die Schweiz zwar keine eigenen Kolonien hatte, aber dennoch Einflüsse des Kolonialismus in der Gesellschaft spürbar sind. Es ist aber nicht notwendig, die Museen zu dekolonisieren, so wie das zum Teil gefordert wird, sondern vielmehr, dass sich die Museen mit ihrer Herkunft auseinanderzusetzen und die echten Geschichten der ausgestellten Objekte erzählen und nicht irgendwelche Stereotypen. Das Ziel von Museen sollte es sein Stereotypen aufzubrechen und eine andere Perspektive einzunehmen.
Arbër Shala, der sich im Rahmen seiner Masterarbeit mit der Repräsentation der albanischen Gemeinschaft in den Medien auseinandersetzte, betont: «In den letzten 20 bis 30 Jahren wurde die Vielfalt in den Medien etwas grösser. Dennoch sind rassistische Tendenzen auch dort oft latent vorhanden, nicht offen gezeigt oder ausgedrückt, sondern eher in subtilen Einstellungen, Vorurteilen oder Strukturen manifestiert.»

Eine unlösbares Problem?
Struktureller Rassismus bleibt oft verborgen und ist schwer zu erkennen, da er sich in den gesellschaftlichen Normen und Institutionen versteckt. Ein Beispiel dafür ist die fehlende Vielfalt in Schulbüchern, in denen «Personen of Color» (POC) oftmals höchstens als stereotypisierte Figuren dargestellt werden – zum Beispiel als «Bösewicht». Wenn ein Lehrmittel dann mehr Repräsentation aufweist, sind die Reaktionen sehr positiv. Das zeigt, wie wichtig Vielfalt in Schulbüchern, aber auch in anderen Medien, eigentlich wäre.
Obwohl dieser strukturelle Rassismus existiert, wird er selten ausreichend thematisiert. Laut Pascale Altenbruger ist das auch, weil viele Menschen sich davor scheuen, über Rassismus zu sprechen – aus Angst, als Rassist:in bezeichnet zu werden. als rassistisch bezeichnet zu werden. Dies führt dazu, dass die Einbindung von Rassismus in den Lehrplan als schwierig betrachtet wird, da es wie eine unlösbare Problem erscheint. Genau deshalb ist es so wichtig, wie sie betont, bewusst nach Lösungsansätze zu suchen und zwar unter Einbezug von Betroffenen.
Grundsätzlich sind sich die Podiumsgäste einig: über Rassismus, das eigenen rassistische Verhalten und die eigenen rassistischen Strukturen sollte viel mehr gesprochen – auch wenn es unangenehm ist.
Rassismus melden!
gggfon – Gemeinsam gegen Gewalt und Rassismus ist ein Informations- und Beratungsangebot von Gemeinden aus dem Raum Bern und Burgdorf zu den Themen Rassismus und rassistische Diskriminierung, Gewalt im öffentlichen Raum und Rechtsextremismus.
Das gggfon will…
– ein Zeichen gegen Gewalt, Rassismus und Rechtsextremismus setzen
– die Öffentlichkeit für die Thematik sensibilisieren
– ermutigen, Zivilcourage zu zeigen
– sich gegen diskriminierende Äusserungen und Handlungen engagieren
Aktionstage gegen Rassismus 2024
Die zweiten Thuner Aktionstage gegen Rassismus finden vom 16. bis 24. März 2024 statt. Der Anlass will alle Thunerinnen und Thuner dafür sensibilisieren, dass Rassismus und rassistische Diskriminierung überall vorkommen. Die Stadt Thun ist überzeugt, es muss unbedingt auch ausserhalb der grossen Städte gegen Rassismus vorgegangen werden. Denn gemäss Zahlen des Bundes ist rund ein Drittel der Bevölkerung in der Schweiz von rassistischer Diskriminierung oder Gewalt betroffen.
Bereits 2023 nahmen wir mit einem Podium «Ich bin nicht RassistIn, aber…» teil und auch 2022 beteiligte sich die Stadt Thun an den Aktionstagen. UND Generationentandem hat damals das Podium «Politische Teilhabe für alle» organisiert.