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Am 17. Mai 2023 lud Und Generationentandem im Bistro des Gymnasium Thun, Standort Schadau, zum Politpodium «Warum so wütend? Auswirkungen von Hate Speech auf Individuum und Gesellschaft» ein. Zwei Tage zuvor sollte in Stäfa, Zürich, zum zehnten Mal ein Gender-Tag stattfinden. Bei diesem Event sollten Schülerinnen und Schüler der 2. Sekundarschule über Geschlechterrollen, Gleichberechtigung und Sexualität aufgeklärt werden. Jedoch musste der Tag aufgrund von Hass-Nachrichten und Drohungen abgesagt werden. Diese wurden der Schulleitung zugesandt, nachdem der SVP-Politiker Andreas Glarner die Einladung zum Gender-Tag auf Twitter veröffentlicht hatte.
Dieser Vorfall ist nur einer von vielen, der beweist: Das Problem von Hetze und Hate Speech ist hochaktuell.
Was ist ist Hate Speech?
Hate Speech (deutsch: Hassrede) bezeichnet Äusserungen, die Hass, Diskriminierung, Vorurteile oder Gewalt gegenüber bestimmten Personen oder Gruppen aufgrund ihrer Rasse, Religion, ethnischen Zugehörigkeit, Geschlecht, sexuellen Orientierung oder anderen geschützten Merkmalen fördern, provozieren oder verbreiten. Hate Speech zielt darauf ab, Feindseligkeit und Ablehnung zu erzeugen und kann dazu führen, dass bestimmte Gruppen oder Individuen stigmatisiert, verletzt oder angegriffen werden.
Sie verfolgen alle dasselbe Ziel
Drei Menschen diskutierten am Politpodium «Warum so wütend? Auswirkung von Hate Speech auf Individuum und Gesellschaft» über das Thema: Angel Okaside (19), Präsident des Jugendparlaments Kanton Bern und engagiert bei der SVP Thun, Merita Shabani (31), stellvertretende Chefredaktorin bei baba news und Leiterin eines Workshops zu Hate Speech bei baba academy, und Judith Bühler (43), Gründerin des Vereins JASS und Forscherin an der ZHAW zu den Themen Radikalsierung, Extremismus und Hate Speech.
Im Vorfeld wurden den Co-Moderatorinnen Amina Roçi (22) und Rebekka Flotron (28) mehrfach die gleiche Rückmeldung zu dieser Besetzung gegeben: «Was hat ein SVP-Politiker auf einem solchen Podium zu suchen?».
Während die Gäste dieses Politpodiums sicherlich nicht alle am gleichen Ort auf dem politischen Spektrums stehen, waren sie sich beim Thema dieses Abends mehrheitlich einig: Hate Speech ist ein Problem, das schwerwiegende Auswirkungen auf Gesellschaft und Demokratie hat und deshalb bekämpft werden muss.

Erlebst du Hass online oder offline? Hier findest du einige Ressourcen:
– Pro Juventute: https://www.projuventute.ch/de/eltern/medien-internet/hassrede
– #Netzambulanz: https://netzcourage.ch/netzambulanz/
– Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus: https://www.gra.ch/vorfall-melden/
– report online racism (Meldeplattform von der EKR): https://www.reportonlineracism.ch/
– Pink Cross: https://www.pinkcross.ch/de/unser-einsatz/politik/hate-crime
– LGBTQI Helpline: https://www.lgbtiq-helpline.ch/de
Hate Speech und das Internet
Vielen ist Hate Speech hauptsächlich aus dem digitalen Raum bekannt, obwohl Hate Speech natürlich auch vor der Erfindung des Internets verbreitet war. Judith Bühler und Merita Shabani weisen in diesem Zusammenhang auf den Holocaust hin.
«Das Problem wird aber natürlich durch die rasante Verbreitung, die durch das Mitmach-Internet ermöglicht wird, stark vergrössert», erklärt Judith Bühler und ergänzt: im Internet können sich Gleichgesinnte einfach organisieren und Angriffe planen, sie sind anonym, meistens haben ihre Angriffe aufgrund der unklaren Rechtslage in der Schweiz keine Konsquenzen. In diesem Zusammenhang sei es aber auch wichtig zu verstehen, dass dieses Problem von einer enorm kleinen Minderheit verursacht wird. Judith Bühler rechnet vor: 80–90 Prozent der InternetnutzerInnen produzieren keine Inhalte, von den restlichen 10–20 Prozent verbreiten nur 3 Prozen Hate Speech. Das bedeutet, dass insgesamt nur 0,03 Prozent der InternetnutzerInnen diese Menge an Hass verbreiten.
«Das Problem wird aber natürlich durch die rasante Verbreitung, die durch das Mitmach-Internet ermöglicht wird, stark vergrössert.»
Judith Bühler
Und was motiviert diese 0.03 Prozent? Judith Bühler unterscheidet zwischen drei Typen von InternetnutzerInnen, die Hate Speech verbreiten:
- Der Troll: versucht durch negative Aktionen grösstmögliche Aufmerksamkeit auf sich ziehen und zielt darauf ab, Empörung auszulösen und die Debatte entgleisen zu lassen. Gegenmittel: ignorieren.
- Der Glaubenskrieger: hat feste Überzeugungen, erobert Plattformen, um seine Ideologie zu reproduzieren, nutzt Aggression als Stilmittel. Gegenmittel: löschen, blockieren.
- Der Wüterich: teilt aggressive Inhalte, oft aber aufgrund von Frust oder Stress. Gegenmittel: sachlich und ruhig antworten.

Angel Okaside erzählt dazu, dass er die NutzerInnen, die ihm hauptsächlich auf den sozialen Medien Hate Speech zukommen lassen, klar als «Trolls» identifiziert, die ihn in erster Linie aus Langeweile angreiffen. Er hat gelernt, dass Ignorieren tatsächlich das effizienteste Mittel ist, um gegen solche Menschen vorzugehen.
Hass ist keine Meinung
In einigen Kreisen wird Hate Speech als Teil der Meinungsäusserungsfreiheit betrachtet, was die Einordnung von Hate Speech heikel und komplex macht. Dazu sagt Merita Shabani: «In der Theorie ist eine rechtliche Einordnung von Hate Speech weder heikel noch komplex. Laut Bundesverfassung endet Meinungsäusserungsfreiheit da, wo die Würde des Menschen verletzt wird. Hate Speech verletzt eindeutig die Würde der betroffenen Menschen.» Schwierigkeit ergeben sich jedoch bei der Umsetzung, insbesondere im digitalen Raum, erklärt Merita Shabani, da die gesetzgebenden Organe in der Schweiz den einzelnen Plattformen überlassen, sich um Hate Speech zu kümmern, und nicht proaktiv gegen Hate Speech vorgehen. Deshalb gebe es auch nur wenige Präsedenzfälle in der Schweiz.
«Meinungsäusserungsfreiheit endet da, wo die Würde des Menschen verletzt wird. Hate Speech verletzt eindeutig die Würde der betroffenen Menschen.»
Merita Shabani
Arbër Shala (29), Mitarbeiter im SRF Newsroom, erklärt in einem Interview wie SRF auf den verschiedenen Kanälen mit Hate Speech umgeht:
Wenn man Hate Speech erfährt
Angel Okaside engagiert sich bei der SVP Thun, sieht aber als Person of Colour (POC) für viele nicht wie ein typischer SVP-Politiker aus. Das führt dazu, dass er auf den sozialen Medien immer wieder mit Hass konfrontiert wird. «Ich lernte damit umzugehen, meistens antworte ich nicht mehr auf Hassnachrichten. Das sind sowieso nur Trolls. Ich habe aber eine höfliche Standardantwort, die ich manchmal verschicke.» Er kenne aber auch Menschen, bei denen sich die anhaltenden Hassnachrichten auf die Psyche ausgewirkt hat. «Die haben sich dann aus den sozialen Medien zurückgezogen.»

Er erzählt von einem Beispiel, dass ihm Angst machte: Er erhielt Drohungen, dass sie sein Haus, in dem sien ältere und kränkliche Mutter lebt, mit Eier bewerfen würden. Angel Okaside sagte dazu: «Wenn ich selbst betroffen bin, macht es mir nichts aus. Wenn sie aber meine Familie angfreiffen, dann trifft es mich schon.»
«Wenn ich selbst betroffen bin, macht es mir nichts aus. Wenn sie aber meine Familie angfreiffen, dann trifft es mich schon.»
Angel Okaside
Als Vorbereitung auf dieses Podium haben die Co-Moderatorinnen Amina Roçi und Rebekka mit einigen Menschen über Hate Speech gesprochen. Hier findet ihr einige Ausschnitte aus den Gesprächen:
Anja, 27: «Ich war, als ich noch jünger war, Teil einer Multiplayer-Gaming-Community – ich war die einzige Frau. Mein damaliger Freund war auch dabei, deshalb machte es mir anfangs nichts aus. Die Sprache war immer etwas aggressiv, zum Teil homophob und oft sexistisch. Nicht immer direkt gegen mich, aber auch. Jedes Mal, wenn sie der Meinung waren, dass ich etwas falsch gemacht hatte, hörte ich Ausrücke wie: Du verdammte Bitch, oder Weiber sind halt eben zu nichts zu gebrauchen, du solltest lieber in der Küche bleiben… Ich habe dann einmal gesagt, dass ich das nicht in Ordnung finde. Die Antwort war, auch von meinem Freund: Sei nicht so sensibel. Trotz des Unwohlseins blieb ich damals, im Alter von 19 Jahren, noch mehrere Jahre in dieser Community, weil ich dachte, dass es eben so sein müsse. Nun bin ich Teil einer Community, in der solche aggressive Sprache nicht toleriert wird.»
Chris, 29: «Ich war im Zug von Bern nach Thun. Eine Person sass im Abteil, das für RollstuhlfahrerInnen reserviert war. Ich wies die Person höflich darauf hin. Beim Aufstehen hörte ich ihn murmeln: Warum muss ein solcher Krüppel überhaupt Zug fahren? Ich konnte keine Antwort darauf geben und seitdem bin ich immer nervös, das Rollstuhlabteil für mich zu beanspruchen. Ich habe sogar schon darauf verzichtet, um keine Konfrontation zu provozieren.»
Martina, 42: «Das ist schon eine Weile her und es war das einzige Mal, dass mir so etwas passiert ist. Aufgrund der Coronamassnahmen mussten wir den Flohmarkt, den wir in der Turnhalle geplant hatten, absagen. Wir haben diese Information mit einer entsprechenden Erklärung im Gemeindeblatt kommuniziert. Als Gemeindepräsidentin erhielt ich daraufhin mehrere E-Mails, alle mit falschen Namen unterschrieben. Ich habe nicht sofort auf die erste E-Mail geantwortet, sondern erst auf die zweite. Ab diesem Punkt eskalierte die Situation und ich erhielt Nachrichten mit expliziten Beschreibungen von Gewaltakten. Ich habe dies der Polizei gemeldet und zusammen mit einer Psychologin habe ich der Person geantwortet. In meiner Antwort habe ich detailliert beschrieben, wie mich die Nachrichten verängstigt haben. Danach hörten die Nachrichten auf.»
Luc, 34: «Jedes Mal, wenn ich auf Instagram etwas Politisches poste, erhalte ich wütende Kommentare, manchmal sogar Gewaltandrohungen. Normalerweise nehme ich das nicht wirklich ernst, da es meistens von gelangweilten Jugendlichen stammt, die nichts Besseres zu tun haben. Bei einer Nachricht bemerkte ich jedoch, dass das Profil einem etwa 14-jährigen Jungen gehörte. Er beschrieb, wie er mich in einer Hintergasse in Bern – einer Gasse in der Nähe meiner Wohnung – aufsuchen und verprügeln würde. Das hat mich schockiert, nicht weil ich Angst hatte, dass er es tatsächlich umsetzen würde, sondern einfach weil er noch ein Kind war. Ich habe ihm geantwortet: «Willst du mich wirklich verprügeln?» Der Junge hat offensichtlich nicht erwartet, dass auf der anderen Seite dieses Profils ein echter Mensch ist. Er hat sich entschuldigt und wir hatten einen guten Austausch darüber. Ich hoffe, dass ihm das etwas gelehrt hat.»
Hate Speech schliesst aus
«Diese Beispiele zeigen, wie Hate Speech ausschliessen kann», bringt Judith Bühler ein, nachdem die Erfahrungen von Chris und Anja vorgelesen wurden.
Hate Speech ist daher auch eine Gefahr für die Demokratie. Menschen, insbesondere Mitglieder von Minderheiten und Frauen, zögern aufgrund anhaltender Hate Speech zurück, sich öffentlich zu äussern. Im vergangenen Jahr trat beispielsweise eine Zürcher Kantonsrätin zurück, nachdem sie monatelang online und offline rassistisch und sexistisch beleidigt worden war.
Umdenken, Verlernen
«Niemand wird mit dem Hass auf andere Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe, Ethnizität, Sexualität oder Geschlechtsidentität geboren, Hass ist gelernt und muss deshalb auch wieder verlernt werden», sagt Judith Bühler. Für Merita Shabani ist klar, was zum Verlernen von Hass beitragen kann: «Diversität muss mehr gezeigt und diversen Menschen eine Stimme gegeben werden,dann wird es einfach normal, dass es halt unterschiedliche Menschen, Kulturen und Lebensstile in unserer Gesellschaft gibt».
«Diversität muss gezeigt und diversen Menschen eine Stimme gegeben werden, dann wird es einfach normal, dass es halt unterschiedliche Menschen, Kulturen und Lebensstile in unserer Gesellschaft gibt.»
Merita Shabani
Für Judith Bühler und Angel Okaside sind Sensibilisierung und Aufklärung zentrale Instrumente gegen Hate Speech. Nur liegt liegt dabei die grösste Herausforderung darin, diejenigen Menschen zu erreichen, die Sensibilisierung und Aufklärung benötigen. Sprich: Die Menschen, die Hate Speech auch verbreiten.

«Es werde viel bei Jugendlichen gemacht», sagt Judith Bühler. Im Rahmen der baba academy bietet Merita Shabani zum Beispiel Workshops an Schulen an. Die Workshops zielen darauf ab, SchülerInnen (sowie auch die Lehrpersonen, wie sie betont) über die Auswirkungen von Diskriminierung und Hate Speech aufzuklären. Dass der Workshop von einer Person mit Migrationshintergrund, die potenziell selbst von Diskriminierung und Hate Speech betroffen sind, geleitet wird, ist dabei zentral.
«Diese Workshops sind wichtig», betont Judith Bühler, «aber es sind nicht die SchülerInnen (oder Lehrpersonen), die hauptsächlich Hate Speech verbreiten». Eine Untersuchung des von Judith Bühler gegründeten Vereins JASS zeigt, dass es hauptsächlich weisse Männer über 50 Jahre sind, die Hate Speech verbreiten. Und wie erreicht man diese Menschen? Laut den Gästen besteht eine Möglichkeit darin, dass bereits sensibilisierten Menschen, die zum Beispiel den Workshop von baba news besuchten, als MulitiplikatorInnen wirken und ihre Mitmenschen über die Auswirkungen von Hate Speech informieren. Darüber hinaus sind natürlich auch die Medien, die verschiedene Social-Media-Plattformen, die gesetzgebenden Organe und die Politik gefragt.
