Der Saal des Gymnasiums Thun füllt sich stetig, bis dann kurz vor 19 Uhr die ZuschauerInnen auf Treppen und Tischen Platz nehmen müssen, da alle Sitzgelegenheiten besetzt sind. Das Thema «Ehe für alle» bewegt die Gesellschaft.
Schwulen und Lesben wurde bis anhin immer und mitunter auch mit handfesten Drohungen vermittelt, dass ihre Lebensweise nicht okay sei, meint die Theologin Ann M. Dällenbach (53) zu Beginn. Der EVP-Politiker und Generalsekretär der Schweizerischen Evangelischen Allianz, Marc Jost, teilt den Wunsch nach Fairness für alle. Trotzdem sitzt er auf der Seite der Gegner. Für Uriel Seibert (30), Co-Präsident der *jevp sowie Grossrat des Kantons Aargau, stellt die unzureichende gesetzliche Ausgestaltung der Vorlage in Bezug auf die Samenspende ein Problem dar und ist sein zentrales Gegenargument.
Die Stellung der lesbischen Frauen in der Schweiz ist stark und Sabine Weber (52) setzt sich im Vorstand des nationalen Komitees «Ehe für alle» für die Gleichstellung der gesamten LGBTIQ Community ein. Zu ihrem Argument führt Sabine Weber noch aus, dass die erleichterte Einbürgerung oder auch der Zugang zur Samenspende mit der eingetragenen Partnerschaft nicht möglich seien. Auf der anderen Seite entgegnet Marc Jost, dass Mann und Frau als Individuum sehr wohl dieselben Rechte hätten. Trotzdem bestätigt er, dass bei den Partnerschaften eine Ungleichheit herrscht. Der Europäische Gerichtshof hat jedoch festgelegt, dass mindestens die Möglichkeit der eingetragenen Partnerschaft gegeben sein müsse, damit keine Diskriminierung herrsche. «Zwei Frauen oder zwei Männer können kein Leben zeugen und dieser Fakt hat einen Einfluss auf die Rechte», ergänzt Marc Jost zu diesem Thema.
«Zwei Frauen oder zwei Männer können kein Leben zeugen und dieser Fakt hat einen Einfluss auf die Rechte»
Marc Jost
Einen weiteren Gedanken zur eingetragenen Partnerschaft bringt Ann M. Dällenbach in die Runde: Wenn bei einer Wohnungsvermietung der Zivilstand angegeben werden müsse, sei dies gleichzeitig ein indirektes Outing und beeinträchtige somit die persönliche Freiheit. Die sexuelle Orientierung sei etwas Höchstpersönliches, was mit dem Bekennen zur eingetragenen Partnerschaft immer wieder offen dargelegt werden müsse.
Kindeswohl in gleichgeschlechtlichen Partnerschaften
Moderatorin Lara Thurnherr weisst darauf hin, dass es in Europa Länder gibt, welche die anonyme Samenspende für lesbische Paare anbieten. Somit werde mit der Vorlage eine Möglichkeit geschaffen, die ohnehin bereits bestehe.
«Es geht nicht darum, Homosexuelle zu diskriminieren, wenn es um die Samenspende geht. Dabei handelt es sich um eine ethische Fragestellung.»
Uriel Seibert (30)
Dennoch bringt Marc Jost einen wichtigen Punkt ein, und zwar, dass die Vorlage den Missstand nicht behebe, dass Kinder, gezeugt durch eine Samenspende aus dem Ausland, kein Anrecht darauf haben, Informationen zum leiblichen Vater zu erhalten. Genau aus diesem Grund ist es für Sabine Weber umso wichtiger, dass die Vorlage angenommen wird und lesbische Paare nicht im Ausland von einer Samenspende Gebrauch machen. So werde auch sichergestellt, dass dem Kind der Vater ab dem 18. Lebensjahr bekanntgegeben werden müsse. Bei einer Samenspende im Ausland steht die Frage der Illegalität im Raum und dabei rückt Sabine Weber Folgendes Statement ins Zentrum:
Verschiedene Analysen der Schweizer Ethikkommission haben ergeben, dass Kinder, welche in Familien mit gleichgeschlechtlichen Paaren aufwachsen, in ihrer Entwicklung nicht benachteiligt sind. Somit spricht sich die Kommission für die Annahme der Vorlage aus. Seibert ist mit der Kommission einverstanden. Homosexuelle Paare können hervorragende Eltern sein, um diese Thematik gehe es nicht. Vielmehr gehe es um die Frage, wie dem Kind ermöglicht werden könne, eine Beziehung zu den leiblichen Eltern aufzubauen. Aus den Argumenten von Uriel ist zu spüren, dass für ihn die Vorlage nicht weit genug geht.
«Kinder sind nicht illegal!»
Als Schlusswort zum Thema «Kindeswohl» bringt Marc Jost die erneute Ungleichheit zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren ein. Wenn Männer ebenfalls gleichbehandelt werden sollten, müsse die Leihmutterschaft ermöglicht werden. Dies sei jedoch in der Vorlage nicht inbegriffen. Mit dem Schlagwort der Ungleichheit nimmt Marc Jost auch zur Symbolik und Signalwirkung Stellung. Für heterosexuelle Paare bestehe erst die Möglichkeit auf eine Samenspende, wenn während über einem Jahr ungeschützter Geschlechtsverkehr stattgefunden habe und somit eine Unfruchtbarkeit festgestellt wurde. Mit der Vorlage werde die Verfassung geändert, was aus seiner Sicht nicht richtig ist.
Während des gesamten Podiums hatten ZuschauerInnen die Möglichkeit, Fragen zu stellen.
Mit der Fragerunde wurde der Abend beendet. Für einige ZuschauerInnen war dies jedoch noch nicht das Ende. Nach der Veranstaltung standen die TeilnehmerInnen des Podiums noch für Fragen zur Verfügung.
«Mit der Vorlage wird eine neue Ungleichheit geschaffen. Wären die Befürworter konsequent,
Marc Jost (47)
müsste auch eine Leihmutterschaft für schwule Paare ermöglicht werden.»
Würde die eingetragene Partnerschaft nicht für alle reichen?
Diese Frage erhielt einen kleinen Applaus aus dem Publikum. Die Ehe stelle eine Verbindlichkeit in der Gesellschaft dar und sei auch als Versprechen an die Kinder zu sehen. Dies nun aufzulösen, sieht Marc Jost nicht als richtigen Weg. Dem stimmt Sabine Weber nicht zu. Sie ist überzeugt, dass gleichgeschlechtliche Paare zuerst zur Ehe zugelassen werden müssen, um Ungleichheiten zu beseitigen. In einem nächsten Schritt könnten wir gemeinsam als Gesellschaft schauen, wie es weitergehen wird und ob die Ehe abgeschafft werden muss oder nicht.