
Was war die Motivation für dieses spezielle Projekt?
Regisseur Olivier Keller: Wir vom Theater Marie arbeiten mit verschiedensten Themen und versuchen unterschiedliche Formen von theatralischer Umsetzung, meistens arbeiten wir mit Text. In diesem Fall haben wir uns entschieden, die dritte Symphonie von Beethoven als Vorlage für ein Theaterstück zu nehmen. Es ist ein alter Traum von mir, zu überlegen, wie man eine Struktur aus der klassischen Musik verwenden kann, wie wenn sie ein Dramentext wäre. Welche Geschichten erzählt uns die Musik, was weckt sie für Emotionen? Gibt es auch einen dramaturgischen Bogen in der Musik eines klassischen Werkes? In Zusammenarbeit mit dem Orchester des argovia philharmonic haben wir uns für Beethovens «Eroica» entschieden.
Wir haben als Regieteam zusammen mit den Leuten aus der Dramaturgie, der Szenografie und der Vermittlung besprochen, wie wir an das Werk herangehen wollen. Als erster Schritt war klar, dass wir jemanden hinzuziehen mussten, der die Symphonie umschreibt für ein Kammerorchester von acht, neun Musikern. Ich kannte Bo Wiget bereits als Theatermusiker und wusste, dass er die Idealbesetzung ist, weil er sowohl klassische Musik versteht, als auch Theaterstrategien vom Improvisieren, Proben und Entwickeln kennt. Schon als er eine neue Komposition gemacht hatte, eine Interpretation dieser Symphonie, sprachen wir auch über eine mögliche Inszenierung. Die Frage stellte sich: Mit was für Bühnenmenschen arbeiten wir? Ist es ein Stück für zwei professionelle Schauspieler, ist es ein Stück für einen Monolog oder für eine grosse Gruppe DarstellerInnen? Es stand schon früh fest, dass wir möglichst keinen Text hinzufügen wollten. Und wir sprachen viel über «Eroica» – also das Heldenhafte.

Die HauptakteurInnen bleiben also in diesem Fall die Musiker?
Ja, die MusikerInnen sind sehr wichtig. Darum war klar, dass es keinen Orchestergraben geben würde, wo die MusikerInnen versteckt wären, und man nur ihre schöne Musik hören könnte. Wenn ich in einem klassischen Konzert sitze, empfinde ich dieses als sehr theatral. Ich sehe, wie die MusikerInnen auftreten, in welcher Reihenfolge, welche Konventionen sie haben, wie sie angezogen sind und wie sie spielen. Ein komplexes klassisches Musikstück zu spielen ist ein sehr theatraler Vorgang. Da wird mit grosser Konzentration jeder Ton gespielt. Man soll sehen, was die MusikerInnen machen, und sie werden kostümiert. Es war klar, dass es weitere Resonanz braucht, dass es nicht nur ein Konzert zum Schauen wird, das gut ausgeleuchtet ist, sondern wir wollten noch weitere Menschen dazu holen.

Wie hast du dich auf die Arbeit mit über 60-Jährigen vorbereitet?
Wir haben uns in der Diskussion früh entschieden, dass die Darstel
lerInnen ältere Menschen sein müssen. Wir sind immer wieder darauf zurückgekommen, dass das «Helden»-hafte, das Heroische, durch Menschen verkörpert wird, die schon viel erlebt haben, also Menschen, die noch physisch und psychisch gesund sind und teilnehmen an unserer Gesellschaft. Das sind doch Helden im Sinne dessen, was diese Welt von uns verlangt.
Was war das für eine Herausforderung?
Als erstes mussten wir herausfinden, was das für Menschen sind, die mit uns arbeiten möchten und sich für dieses Projekt interessieren. Wir haben Informationsveranstaltungen gemacht und das Ziel war, möglichst genau zu schildern, was wir vorhatten. Dadurch wollten wir Leute finden, die auch motiviert waren.

Gab es Schwierigkeiten?
Schwierig war zu vermitteln, was wir für Vorstellungen für dieses Projekt hatten. Wir haben uns bewusst nicht für ein Casting entschieden, da wir nicht sagen konnten, welche Typen wir genau brauchten. Wir haben uns absichtlich für LaiendarstellerInnen entschieden, mit oder ohne Theatererfahrung. Wir wollten diesen Menschen über sechzig begegnen und auch etwas von ihnen erfahren.
Was konntest du persönlich von dieser Zusammenarbeit mitnehmen?
Ich habe diese Aufführung sehr gern, sie ist so lebendig und farbenfroh, was mit den Kostümen, mit der Bühne und auch mit der Inszenierung zusammenhängt. Diese Symphonie immer wieder hören und sehen zu dürfen, ist ein Geschenk, das man sich als Theaterschaffender macht. Die Musik ist sensationell und die Menschen, die mitmachen, berühren mich jedes Mal wieder.
Was das Altern angeht, habe ich nach der Probezeit, kurz vor der Premiere festgestellt, dass ich glaube, weniger Angst davor zu haben, alt zu werden. Ich freue mich darauf, alt zu werden nach dem Vorbild der 21 SeniorInnen, die dabei sind.
Annemarie: Als eine der Seniorinnen habe ich im Sommer 2017 sechs Wochen lang improvisiert und geprobt. Es wurde viel darüber diskutiert, wer denn nun die Helden seien. Wir haben uns mit unseren persönlichen Helden auseinandergesetzt und heldenhaft schmerzende Gelenke, müde Füsse und schwere Beine ertragen. Die Probezeit hat uns «Alte» zusammengeschweisst und uns das Gefühl gegeben, dass ältere Menschen wertvoll und spannend sind. Die Vorstellungen in Aarau, Basel und Baden machten uns stolz, denn das Publikum war nicht nur von den hervorragenden MusikerInnen begeistert, sondern beklatschte auch uns enthusiastisch. Die «Berner-Fraktion» des Bewegungschors freut sich nun umso mehr auf die zwei Aufführungen im März 2019 in Wabern bei Bern.
Aufführungen in der «Heitere Fahne» in Wabern. Freitag, 8.3. und Samstag, 9.3. 20.00 Uhr. Jeweils um 19 Uhr findet eine Stückeinführung in Form eines Tisch-
gesprächs statt.
www.theatermarie.ch

Olivier Keller ist 1980 geboren. Er lebt in Bern und ist Vater von drei Kindern. Nach dem Gymnasium studierte er in Bologna, Bern und Stockholm Theaterwissenschaft, Nordistik und Geschichte. Seit 2012 gehört er zum Leitungsteam des Theater Marie. avo