Grossartig der Ort der Veranstaltung: Die Aula Magna der Universität Freiburg. Grossartig der Aufmarsch von rund 300 Interessierten. Überwältigend die Anzahl der ungefähr 20 Referent:innen. Auf dem Gebiet des Wohnungswesens wird viel geforscht. Am Ende des Tages schwirrte wohl etlichen Teilnehmer:innen der Kopf wegen all der Zahlen und grafischen Darstellungen. Schon nur deshalb kann und soll dieser Bericht nicht umfassend sein.
Die anerkannten Fakten
Die demografischen und gesellschaftlichen Entwicklungen sind eindeutig:
- Wir werden älter. Die Vereinsamung ist ein Problem.
- Wohneigentum ist (zu) günstig gegenüber dem, was Mieten kosten.
- Ältere Leute verharren aus verschiedenen Gründen im Bekannten, obwohl sie nicht glücklich sind mit den aktuellen Lebensumständen. Viel Wohnraum und manchmal noch einen Garten in Schuss zu halten, ist eine Überforderung.
- Die Singularisierung nimmt zu. Dies betrifft vor allem ältere Frauen, die oft in (zu) grossen Häusern oder Wohnungen leben. Viele von ihnen würden gerne umziehen, wenn bezahlbarer Wohnraum vorhanden wäre.
Die Gegebenheiten des Wohnungsmarktes erschweren jedoch einen Wechsel. Doch einen Lösungsansatz für diese Probleme bieten generationengerechte Wohn- und Lebensräume.
Pioniere in der Wohnpolitik
Im Verlauf der Tagung wurden Städte wie Biel, Basel und Zürich als Vorbilder für fortschrittliche Wohnpolitik hervorgehoben. Für mich kam jedoch gegen Schluss das Beste: das Referat von Nicole Decker und ihre Aussagen in der Diskussionsrunde. Sie ist seit 2011 Leiterin des Amts für Wohnungswesen des Kantons Neuenburg.
Dort ergreifen der Kanton und die Gemeinden Massnahmen, damit alle eine passende Wohnung zu vernünftigen Preisen mieten können. Dazu muss der Bestand an öffentlichen Gebäuden gezielt erhöht werden. Projekte für nachhaltige Nachbarschaften mit sozialer und generationenübergreifender Vielfalt werden gefördert und unterstützt, um auch die Spekulationen im Immobiliensektor einzudämmen. Zudem sind Massnahmen zur finanziellen Unterstützung sowie Staatsgarantien zur Förderung des gemeinnützigen Wohnungsbaus geplant.
Bei bestehenden Gebäuden mit Sanierungsbedarf liegt der Fokus auf der Schaffung geeigneter Wohnungen für Senior:innen. Diese sollen zwei bis drei Zimmer umfassen, zwischen 50 und 70 Quadratmeter gross sein, in der Nähe von ÖV und Einkaufsmöglichkeiten liegen und bei Bedarf Betreuung sowie einen 24-Stunden-Alarm bieten. Ziel ist es, älteren Menschen ein möglichst langes, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Im Kanton Neuenburg wurden bereits Hunderte solcher Wohnungen realisiert, weitere befinden sich im Bau, und für viele sind Baugesuche eingereicht. Bis 2030 sollen 1.800 solcher Wohnangebote entstehen.
Wenn Senior:innen aus ihren zu gross gewordenen Häusern und Wohnungen ausziehen, wird Platz für Familien frei.
Im Vergleich zu Neuenburg gibt es in Freiburg offenbar noch erheblichen Nachholbedarf. Zwar verfügt die Stadt über grosse Landreserven, beklagt sich jedoch über mangelnden Handlungsspielraum. Als Nicole Decker darauf hinweist, dass das Baurecht durchaus Spielraum lasse, da man die Abgabe von Land an Bedingungen knüpfen könne, erntet sie Szenenapplaus im Saal.
Herausforderungen und innovative Ansätze
Die Tagung bot auch Einblicke in weitere zukunftsweisende Projekte und Studien:
Perspektiven aus der ETH-Wohnform-Studie
Gemäss Leonie Pocks Filmbeitrag zur ETH Wohnforum-Studie «Generationenwohnen in langfristiger Perspektive» braucht es mindestens 50 Wohnungen, damit «zuhause alt werden» strategisch angegangen werden kann. Ein ausgewogener Wohnungsmix spielt dabei eine entscheidende Rolle. Dieser ermöglicht es, dass Bewohner:innen bei sich ändernden Platzbedürfnissen – etwa nach Trennungen – problemlos innerhalb des Wohnblocks umziehen können. Ebenso wichtig ist die sorgfältige Gestaltung der Übergänge zwischen privatem, halb öffentlichem und öffentlichem Raum, um Konflikte zu vermeiden.
Gemeinschaftsbildung als Schlüssel
Ein Filmclip zur Giesserei Winterthur beleuchtet die Bedeutung von Gemeinschaftsbildung. Ein junger Mann erklärt, wie wichtig es sei, dass Neuzuzüger:innen schnell die anderen Hausbewohner:innen kennenlernen – und nicht erst, wenn es zu Konflikten kommt.
Erwartungen und Realität
Heidi Kaspar, die die ETH Wohnforum-Studie präsentierte, betont die Notwendigkeit eines «Richtigen Erwartungsmanagements», das idealerweise bereits vor dem Umzug beginnt. Es sei wichtig, keine unrealistischen Erwartungen an jüngere Bewohner:innen zu richten, wie etwa die Betreuung älterer Mitbewohner:innen. Beziehungen entstünden vielmehr meist zwischen Menschen ähnlicher Altersgruppen.
Ein zentraler Gemeinschaftsraum sollte leicht zugänglich und vielfältig nutzbar sein. Dabei gilt: Weniger ist mehr – zu viele Gemeinschaftsräume sind nicht zielführend.
Die «Wohnkarriere» im Lebenszyklus
Dr. Holger Hohgardt und Selina Lehner von der ZHAW School of Management and Law führen das Konzept der «Wohnkarriere» ein. Während wir nach dem Auszug aus dem Elternhaus im Laufe unseres Lebens zunehmend mehr Wohnfläche benötigen, sinkt der Platzbedarf später häufig wieder – beispielsweise nach Trennungen, dem Auszug der Kinder oder aufgrund nachlassender Kräfte. Dennoch findet ein «Downsizing» nur selten statt. Der Zimmerüberschuss steigt mit zunehmendem Alter, da es an attraktiven Anreizen fehlt, aus zu gross gewordenen Wohnungen oder Häusern auszuziehen. Massentaugliche Lösungen, um dieses Problem anzugehen, sind bisher nicht in Sicht.
Modellprojekte und innovative Bauweisen
Jude Schindelholz vom Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) stellt drei Modellvorhaben des Bundes vor. Eines davon, Habitat 4 Generations, zielt darauf ab, auch der vierten Generation – Menschen im «Zweiten Alter» ab 75 Jahren, die oft fragil und vulnerabel sind – zu ermöglichen, möglichst lange zuhause zu bleiben.
Ein zentraler Bestandteil ist ein «Agiler Ansatz» in der Architektur, bei dem Wohnformen flexibel gestaltet werden, um sich den Bedürfnissen der Bewohner:innen kontinuierlich anzupassen.
Erfolgsbeispiele: Westfeld Basel und Pro Senectute
Bis 2027 sollen im Westfeld Basel rund 1.200 Menschen ein neues Zuhause finden. Die Bewohner:innen setzen sich aus 65 Prozent Schweizer:innen, 27 Prozent Europäer:innen und 8 Prozent Personen anderer Kontinente zusammen. Alle Altersgruppen sind vertreten. Zusätzlich sind 10.000 Quadratmeter für Gewerbeflächen vorgesehen. Im LeNa-Haus, einem Teilprojekt mit 90 Wohnungen in Universalmiete, beträgt der private Wohnraum pro Person nur 32 Quadratmeter. Dafür gibt es gemeinschaftliche Einrichtungen wie ein Badezimmer mit zwei Badewannen.
Ein weiteres Vorzeigeprojekt ist das Habitat et Vie de Quartier der Pro Senectute, das speziell auf die Bedürfnisse von Senior:innen ausgerichtet ist. Bauliche Anpassungen – wie Einstiegstüren bei Badewannen, Haltegriffe, das Entfernen von Schwellen oder Rampen mit einer maximalen Neigung von 6 Prozent – ermöglichen ein barrierefreies Leben. Ergänzt wird das Angebot durch Nachbarschaftshilfe und professionelle soziale Begleitung.
Diese Massnahmen tragen dazu bei, dass ältere Menschen im Durchschnitt fünf Jahre länger in ihrer vertrauten Umgebung bleiben können, bevor ein Umzug in ein Alters- oder Pflegeheim notwendig wird. Dies bedeutet nicht nur einen erheblichen Gewinn an Lebensqualität, sondern auch eine Einsparung der hohen Altersheimkosten für diesen Zeitraum.