Wer hätte gedacht, dass im Schloss Schadau, ganz oben unter dem Dach, noch ein Künstler-Atelier Platz gefunden hat? Eine lange Wendeltreppe steigen wir hoch, um uns mit zwei Künstlern zu treffen. Ihre Kunst: Poetry Slam.
Poetry Slam? Übersetzt bedeutet das so etwas wie Dichter-Wettstreit. Da kommt mir gleich Wolfram von Eschenbach in den Sinn und der Wettstreit der Minnesänger im Mittelalter. Diesen Wettstreit gibt es auch heute wieder, in einer neuen Form. Und er geht so vor sich: Ein knappes Dutzend «Slammer», wie sie heissen, haben einen poetischen Text vorbereitet, speziell für die Bühne geschrieben, und tragen ihn nacheinander vor. Jury ist das meist junge Publikum selber.
Komfort ist nicht versprochen
Schon an der englischen Sprache erkennt man, wie modern die Bewegung ist. Erst seit etwa zwanzig Jahren ist der Poetry Slam in der Schweiz bekannt. An den Veranstaltungen treten meist junge «Slammer» vor jungem Publikum auf. Um die Poeten uneingeschränkt bejubeln zu können, stehen die Besucher eines Wettbewerbs in der Regel. Als Jugendliche oder junge Erwachsene gefällt einem die lockere Stimmung. Doch je älter man wird, desto mehr widerstrebt einem der Gedanke, eingeengt in warmen, stickigen Räumen über mehrere Stunden zu stehen. Wer an Poetry Slams Sitzgelegenheiten sucht, wird nicht überall fündig. Die einzige Alternative zum Stehen: der Boden. Komfort ist damit nicht versprochen. Am besten fragt man direkt nach einem Stuhl, denn nicht nur Respekt, sondern auch Hilfsbereitschaft wird an den Veranstaltungen vorausgesetzt. Seit einiger Zeit ist das allbekannte Lokal Mokka in Thun dank der Nachfrage mit Stühlen ausgerüstet, wenn einer der halbjährlichen Poetry Slams stattfindet. Dies ermöglicht es den Veranstaltern, ein breiteres Publikum zu erreichen.
Ein junger und ein alter Slammer
![Hans – Bild: Jana Sofie Liebe](https://cdn-und.s3.eu-central-1.amazonaws.com/images/2017/07/12115521/DSC07168-683x1024.jpg)
Hans Jürg Zingg (73): Mit seinen 73 Jahren fällt Hans Jürg Zingg aus dem Rahmen des Poetry Slams. Eine ganze Perlenreihe von Kunstformen ging voraus, bevor er sich als Slam Poet betätigte. Schon als Gymnasiallehrer blieb er nicht bei seinen Lektionen. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer inszenierte er Schultheater, schrieb Cabarets und Lieder. Erste Bühnen waren Kleintheater und private Feste. Immer schrieb er auch gerne Satirisches. In diesem Genre wirkte er in der Satiresendung «Kaktus» am Radio mit. Nach seiner Pensionierung suchte er einen neuen Weg, um sein künstlerisches Talent wirken zu lassen: Im Buch «My Wörtersack» veröffentlichte er seine berndeutschen Gedichte. Erst 2012 nahm er Kenntnis von der Slambewegung. Seither tritt er regelmässig in dieser Szene auf. wka
![Remo Rickenbacher. – Bild: Jana Sofie Liebe](https://cdn-und.s3.eu-central-1.amazonaws.com/images/2017/07/12115522/DSC07158-683x1024.jpg)
Remo Rickenbacher (31): Zum Poetry Slam kam er, als er während seiner Gymnasialzeit einen Fernsehbeitrag über den damals noch eher unbekannten Poetry Slam sah. Gepackt von diesem Format, organisierte er die ersten «Wettkämpfe» mit seinen MitschülerInnen. Damals moderierte er hauptsächlich. Erst 2006 nach dem Gymnasium fing er an, selber Texte zu schreiben. Schnell rutschte er in die U20-Szene rein. Neben seinem Philosophie- und Deutschstudium widmete er sich seinem Hobby. Zehn Jahre später wurde aus dieser Berufung ein Beruf. Heute kann Reto Rickenbacher von den Auftritten, der Moderation, den Lesungen und der Organisation von Wettkämpfen leben. Auch Schulbesuche und das Durchführen von Workshops gehören zu Remos Job. mwe