Am 25. September 2022 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung über 4 Vorlagen ab:
- Änderung des Bundesgesetzes über die Verrechnungssteuer
- Massentierhaltungsinitiative
- Änderung des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV 21)
- Zusatzfinanzierung der AHV durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer
1. Verrechnungssteuer (Stärkung des Fremdkapitalmarktes) mit ihrer komplizierten Terminologie
Elias Rüegsegger, er moderiert die Runde, zeigt den Teilnehmenden ein Video zur Verrechnungssteuer.
Das Problem: «Die Verrechnungssteuer stellt insbesondere bei Obligationen ein Hindernis dar. Nach geltendem Recht unterliegen inländische Obligationszinsen der Verrechnungssteuer von 35 Prozent. Der Abzug trifft alle Anlegerinnen und Anleger gleichermassen.»
Nach dem Video braucht es Begriffserklärungen: Zum Beispiel was sind Obligationen?
Eine kurze Antwort: Wie es der Name schon sagt, ist eine Obligation eine Verpflichtung. Der Herausgeber der Obligation erhält von einem Anleger Geld zu gegenseitig vereinbarten Bedingungen und verpflichtet sich, das Kapital am Ende der Laufzeit zurückzuzahlen und den Anleger mit einem Zins zu entschädigen.
Warum will man überhaupt mehr Obligationen in die Schweiz bringen?
Diese Frage bleibt offen…
Die Abwägung: Viele Fragen sind noch offen. Warum will man mehr Obligationen in die Schweiz bringen? Wo wird das Geld versteuert, wenn jemand Dividenden in Deutschland erhält, wenn es keine Rechnungsteuer mehr gibt? Die Verrechnungssteuer könnte auch einen Vorteil für grössere Konzerne werden.
Die Schlussfolgerung: Bei der Verrechnungssteuer bleibt also eine Verunsicherung zurück. Kaum jemand in der Runde weiss, was sie abstimmen werden, denn die Vorlage ist zu kompliziert, umständlich und ungenau formuliert.
2. Massentierhaltungsinitiative – Nein zu mehr Importen
Lea Schütz stellt uns die Vorlage vor.
(Massentierhaltung bedeutet: technisierte Tierhaltung in Großbetrieben zur Gewinnung möglichst vieler tierischer Produkte.)
Die Ausgangslage: Die Schweiz hat eines der weltweit strengsten Gesetze zum Schutz der Tiere. Würde und Wohlergehen von Tieren sind geschützt. Der Bund fördert mit Subventionen zudem landwirtschaftliche Produktionsformen, die besonders naturnah, umwelt- und tierfreundlich sind.
Das Problem: Obwohl viele Menschen gegen Massentierhaltung sind, stammen immer mehr Fleischprodukte aus Grossbetrieben, die den Grundbedürfnissen der Tiere nicht entsprechen können und möchten. In diesen Grossbetrieben werden Tiere als Produkte betrachtet: Hühner werden in 30 Tagen hochgemästet und geschlachtet, Kühe müssen heute fast doppelt so viel Milch produzieren wie früher und anatomische Veränderung beinflussen den Gesundheitszustand von Zuchtschweinen in der Massentierhaltung.
Die Forderung der Initiative: Der Bund soll deshalb strengere Mindestanforderungen festlegen für eine tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den Zugang ins Freie, die Schlachtung und die maximale Gruppengrösse pro Stall. Diese Anforderungen müssen mindestens den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen und alle Landwirtschaftsbetriebe müssen sie bei der Tierhaltung einhalten. Ausserdem fordet dir Initiative, dass nur noch Tierprodukte importiert werden dürfen, die ebenfall den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 entsprechen.
Die Abwägung: Niemand kann grundsätzlich etwas gegen die Ideen hinter dieser Initiative haben, sagt ein Teilnehmer in die Runde. Aber die Umsetzung, die sorgt schon für Diskussionen… Hier die Argumente, die von den Teilnehmenden der Politrunde eingebracht wurden:
Pro:
- In der industrielle Tierhaltung wird Würde und Wohlergehen nicht gewährleistet.
- Tierische Produkte sollte man sowieso stark reduzieren oder gar vermeiden, die Initiative lenkt in die richtige Richtung.
- Die Tierhaltung ist eine ethische Frage. Fleisch und tierische Produkte sollte man als Luxusprodukte deklarieren (Und vielleicht als solche besteuern? – eine Diskussion für einen anderen Tag).
- Das Ziel ist, weniger Fleisch zu konsumieren, mehr Bioprodukte kaufen.
- Die Landwirtschaft muss sich endlich verändern – die Umsetzung ist jedoch nicht einfach.
Contra:
- Die Würde und das Wohlergehen der Tiere ist bereits jetzt streng geregelt (die Schweiz hat die strengsten Regeln in Europa) und der Biostandart so hoch in der Schweiz, dass es nicht sinnvoll ist, dieser Initiative zuzustimmen.
- Eine Abnahme des Fleischimportes könnte zu Fleischmangel führen.
- 3300 Betriebe müssten entweder die Tierhaltung stark reduzieren oder ihren Hof ausbauen, das ist für manche Landwirtschaftsbetriebe finanziell zu aufwändig.
- Der Fleischpreis könnte explodieren, dann wäre wieder die schlechter situierte Bevölkerung betroffen. Bioprodukte sind teuer, nicht jeder kann sich das leisten. Wie erkennt man, dass ein Produkt wirklich ein schweizerisches Bioprodukt ist?
Schlussfolgerung: Viele Teilnehmende sind von den Inhalten der Initiative eigentlich überzeugt, obwohl wohl allen klar ist: «Sie chund eh ned düre!»
3. Stabilisierung der AHV – kann ganz schön emotional werden
Dora Kaiser stellt die zweiteilige AHV-Reform vor.
Die Ausgangslage: Bei der AHV muss endlich etwas unternommen werden, denn die Kassen sind bald leer. Am 25. September 2022 stimmt die Schweizer Stimmbevölkerung deshalb über einen weiteren Reformvorschlag der AHV ab.
Das Problem: Die finanzielle Stabilität der AHV ist in Gefahr, weil geburtsstarke Jahrgänge das Pensionsalter erreichen, und dazu steigt die Lebenserwartung.
Was ändern die Gesetzesvorlagen: Die Vorlage sieht sowohl Einsparungen als auch Mehreinnahmen vor. Einerseits erfolgt eine Erhöhung der Mehrwertsteuer zu Gunsten der AHV. Andererseits gilt ein einheitliches Rentenalter von 65 Jahren für Männer und Frauen. Das Rentenalter der Frauen wird schrittwiese erhöht. Die Erhöhung wird mit Ausgleichmassnahmen abgefedert. Ausserdem bringt die Reform mehr Flexibilität. Diese Reform besteht aus zwei Vorlagen. Sie sind miteinander verknüpft. Wenn eine der beiden abgelehnt wird, scheitert die ganze Reform. Das Problem der AHV wird mit diesen Vorlagen nicht grundlegend gelöst. Die AHV soll aber stabilisiert werden. Die Renten sollen mindestens für die kommenden zehn Jahren sichergestellt werde.
Die Abwägung: Alle wissen es: Die AHV muss reformiert werden. Doch warum müssen schon wieder die Frauen einen Kompromiss eingehen? Eine spannende Vorlage auf jeden Fall, was spricht dafür, was spricht dagegen?
Pro:
- Die Frauen sind heute mehr in qualifizierten Berufen tätig, sie sind auch in höheren Lohnklassen, deshalb ist eine Angleichung des Rentenalters zeitgemäss.
- Frauen haben eine längere Lebenserwartung, sie profitieren also schlussendlich länger von den AHV-Renten.
- Viele jungen Männer wollen am Familienleben teilnehmen und wenn möglich reduziert arbeiten. Das frühere Argument, dass Frauen aufgrund ihrer Haus- und Carearbeit mehr leisten, aber weniger verdienen, ist also nicht mehr gleich aktuell.
- Schon im zehn Jahren gibt es mehr AHV- BezügerInnen als AHV- EinzahlerInnen, die Finanzierung muss also irgendwie gewährleistet werden.
Contra:
- AHV- Reform auf dem Buckel der Frauen? Erst wenn die Gleichstellung der Frauen in der Arbeitswelt (Lohnvorsprung der Männer) erreicht sei, kann man über die Gleichstellung der Geschlechter beim Rentenalter diskutieren.
- Welche Rolle spielt die 2. Säule bei der AHV-Reform?
- Frauen arbeiten häufiger Teilzeit, weil die Kinderbetreuung sehr oft durch die Frauen gewährleistet wird.
- Diese AHV-Reform würde dem Staat erlauben, das Rentenalter schrittweise zu erhöhen.
Die Schlussfolgerung: Ein paar wenige werden sicher JA sagen, einige werden NEIN sagen und erstaunlich viele – vorallem Junge – sind unentschlossen. Aber grundsätzlich denken alle: Es ist wohl die beste schlechte Lösung für die prekäre aktuelle AHV-Situation.