Erzähle uns deine eigene Geschichte zum Leben angesichts der «zweiten Welle». Wir sammeln Gedanken und Geschichten. Zeigen aber auch, wie der Verein mit der aktuellen Situation umgeht. Die Ergebnisse publiziert die Redaktion laufend.
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Geduld im Advent
(oder: adventliche Geduld?)
Viel Zeit und bislang unbekannte Talente treiben mich an, die Spuren meiner Vorfahren aufzustöbern. Ich stürze mich nichtsahnend in die Tücken der Genealogie. Dabei erfahre ich adventliche Überraschungen. Sie lassen mich hoffen.
Text und Bilder: Gaby Jordi (69)
Jetzt soll es sein, es gibt kein Entrinnen, keine Ausrede – ich mach mich hinter das, von dem mich bislang einzig der Name faszinierte: die Genealogie. Mit den wieder rapide steigenden Covid-19-Fallzahlen kommt die Zeit zurück in meinen Alltag. Ich kehre zurück in die Häuslichkeit, meine Agenda ist leer.
Die Wurzeln rufen
Warum Genealogie? Meine Wurzeln gehen zurück auf zwei Familienstämme (Hiltbrand und Mani) im Diemtigtal. Meine beiden Urgrossväter wanderten Ende des 19. Jahrhunderts aus ihrer Heimat aus Richtung Deutschland. Sie gehörten zu den vielen Wirtschaftsflüchtlingen, die damals diesen Schritt wagen mussten. Zum Teil wurden sie dazu mit einem verlockenden behördlichen «Anstossbatzen» zur Auswanderung verleitet. Wie sich dies im Falle meiner beiden Urgrossväter verhielt, weiss ich nicht.
Beflügelt durch verschiedene Radiobeiträge im November (Auslandschweizer 1945 – So erinnert sich die SRF-Community an die Rückkehr nach dem Krieg – Kultur – SRF) gab es kein Halten mehr für mich: Jetzt gilts ernst. Zuerst müssen Cousins und Cousinen dran glauben. Ich löchere sie mit Fragen nach noch vorhandenen Dokumenten und Erinnerungen. Wie sich herausstellen sollte, haben wir – also die Nachkriegsgeneration – es verpasst, sich nach den Lebensgeschichten unserer Gross- und Urgrosseltern zu erkundigen. Der letzte Zeitzeuge der Mani-Seite verstarb vor drei Jahren. Die Familie meiner Grosseltern (sie entstammt einem Hiltbrand-, er einem Mani-Stamm) entschied sich 1945 für die Rückreise in die Schweiz. Meine Mutter, damals 19 Jahre alt, unternimmt diesen Schritt bereits 1946 als Erste der Familie. Sie bereitet die weiteren Schritte für die nachkommenden Familienmitglieder vor. Nach der für alle Schweizer Rücksiedler verordneten Quarantäne – meine Mutter verbringt diese in Rheinfelden – findet sie im Tessin eine Anstellung in einem Hotel. Diesem Aufenthalt verdanke ich wohl meinen Taufnamen Gabriella. Nach der Ankunft meiner Grosseltern in der Schweiz, 1947, lebt die Familie im Raum Bern.
Geduld, Geduld
Zurück zur Genealogie. Dass mich die Ahnenforschung, von der ich zuvor null Ahnung hatte, dermassen packen könnte, hätte ich mir nie zugetraut. All die Voraussetzungen, die diese Arbeit erfordert, glaubte ich ausserhalb meines «Talent-Körblis»: Geduld, Geduld und nochmals Geduld! Akribisches Durchforsten von digitalisierten Taufrodeln in deutscher Kurrentschrift, sich durch bereits bestehende Familienstammbäume auf einschlägigen Plattformen durchklicken, Frust aushalten, wenn vermeintliche Spuren ins Nichts verlaufen. Dazu gehören jedoch auch ungläubiges Staunen, wenn sich eine Fährte auftut, deren Verfolgung zum Erfolg führt. So passiert bei einer meiner Urgrossmütter, deren Name ich zufällig auf einer privaten Webseite fand, erstellt von einem ihrer Nachfahren. Ich kontaktierte diese Person und es war, als würde sich der lange vernebelte Ahnenhimmel öffnen und die lang vermisste Sonne durchscheinen. Und ja, es ist meine (deutschstämmige) Urgrossmutter! Sie heiratete 1890 meinen Mani-Urgrossvater. Der Ahnenstamm dieser Urgrossmutter lässt sich jetzt bis ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. Meine Kontaktperson stellte mir die entsprechenden Unterlagen zur Verfügung. Darunter befindet sich sogar die «Trauanzeige» meiner Urgrosseltern. Wie Weihnachten und Ostern zusammen, kam es mir vor – ein Riesengeschenk aus der Vergangenheit, deren Erforschung für mich immer mehr an Bedeutung gewinnt.
Es geht weiter
Die Arbeit wird mir nicht ausgehen. Jetzt gilt es herauszufinden, wohin die erwähnten Urgrosseltern sich bewegten, denn zwischen dem Ort der Heirat und dem Geburtsort meines Grossvaters sowie meiner Mutter und deren Brüder herrscht weiterhin kilometerweite Unklarheit.
Es bleibt spannend. Aber meine Ahnung in Sachen Genealogie ist nicht mehr Ahnen-los.
Wir können Krise!
Bis dahin nannten wir ihn «Novemberblues». Inzwischen hat er mutiert. Wie Dillsenf und Blinis zur Weiterbildung beitragen oder in die Einkaufserschöpfung führen.
Jetzt weiss ich, dass ich in diesen grau-trüb-nebligen Novembertagen nicht am üblichen «Novemberblues» leide, dessen Symptome wie folgt beschrieben werden:
- Lustlose, gedrückte und niedergeschlagene Stimmung länger als zwei Wochen, tritt besonders wegen Lichtmangels in den Herbst- und Wintermonaten auf
- Vermehrte Müdigkeit und Gefühl, trotz ausreichendem Schlaf nicht erholt zu sein
- Erschöpfung und schnellere Ermüdbarkeit
- Antriebsmangel
- Interessensverlust
- Appetitlosigkeit oder vermehrte Heisshungerattacken
- Sozialer Rückzug
Gemäss WHO sind meine Symptome auf die «pandemic fatigue» zurückzuführen. Nun, diese Definition hilft mir nicht wirklich weiter, doch immerhin darf ich meinen Zustand anders benennen.
Das Virus hat keine Beine
Dem Lock Down entronnen im Frühsommer, wiegten wir uns in vermeintlicher Sicherheit, glaubten gar, das Virus eingedämmt zu haben. Anders erklären sich mir die opulenten Sommerpartys nicht. Der Sommer war schön, unbeschwert, fast virusbefreit, man gönnte sich ein paar Tage Ferien, wo immer man sich willkommen fühlte. Und jetzt? Wir können nicht Krise! Selbstverständlich sind wir uns gewohnt, meistens alles unter Kontrolle zu haben. Das Virus hält dem jedoch entgegen und gibt uns deutlich zu verstehen, dass uns die Kontrolle längst entglitten ist. Vergessen haben wir, was Bundesrat Alain Berset kürzlich in einem Interview, zu dem ihn Lernende eingeladen hatten, sagte: «Das Virus hat keine Beine» – wir verbreiten es.
Kommt dazu, dass sich das Virus ins eigene nähere Umfeld schleicht. Es gibt bestätigte positive und negative Fälle im familiären Bereich oder im Freundeskreis. Wir hören von Quarantäne-Erlebnissen, die nicht unter Wellness-Auszeit abgehakt werden können. Kurz: Nervig aufreibende, manchmal auch bedrückende Erlebnisse – vor allem für alleinlebende Menschen.
Gottesdienst digital
Ich helfe in der Kirchgemeinde Strättligen als Freiwilliger, zusammen mit anderen, Gottesdienste gestalten, Bibeltexte und Gebete lesen, Abendmahlsdienste leisten usw. Aber auch Berndeutsches vor der adventlichen Lichterwand in der Markuskirche vortragen und anderes mehr. Leider macht uns Corona immer wieder einen Strich durch die Rechnung. So auch jetzt wieder: Gottesdienste live fallen aus, Berndeutsch steht auf der Kippe. Was tun? Digital heisst das Zauberwort. Zusammen mit dem Verantwortlichen für das Kirchenradio werden die Gottesdienste digitalisiert, das heisst: alle Texte werden aufgenommen, dann mit der entsprechenden Musik und Liedern von Hans Stalder zu einem Gottesdienst zusammengefügt, den du nun auf dem BeO-Kirchenradio hören kannst. Wir haben gerade erst den für Sonntag, 1. November, geplanten Gottesdienst in der Kirche Allmendingen aufgenommen. In den nächsten Tagen kannst du ihn auf dem BeO-Kirchenradio hören. Auf kibeo kannst du dich einklicken. Es gibt viel zu hören.
Text: Andreas Steinmann (76)
Fund anno 2020 (Stilbild)
Bild: Walter Winkler (81)
Teil-Lockdown mit Buch und Pemmikan
Auch die Frankfurter Buchmesse, mit Kanada als Gastland, war seltsam. Sie fand mit einigen wenigen Auserwählten, die sich mit und vor Bildschirmen trafen, statt.
Normalsterbliche wie ich waren via Livestream und Videopodcasts dabei.
Und wie ich dabei war und was ich erlebte!
Feuer und Flamme wurde ich für den erstmals auf Deutsch zu lesenden kanadischen Autor Christian Guay-Poliquin und sein berückendes Buch «Das Gewicht von Schnee», Hoffmann und Campe, 2020.
Ein Generationentandem, ein älterer und ein jüngerer Mann, sind in Kanadas hohem Norden in unwirtlicher Weite gestrandet. Die beiden sind auf Gedeih und Verderb aufeinander angewiesen, denn der unaufhörlich fallende Schnee, ein wochenlanger Stromausfall und Krankheit verhindern ihre Rückreise. Die beklemmende und «wattierte» Schneestille, die Unabwendbarkeit ihrer Situation, der Hunger nach Kontakten und später auch ganz realer Hunger sprechen aus den kargen Sätzen. Kurze Kapitel, stets überschrieben mit der Schneehöhe. So heisst denn der Kulminationspunkt «Zweihundertsiebenundvierzig», dann geht es langsam gegen den Frühling zu und endet bei «Sieben».
Glaubt ihr mir, dass ein Buch, in dem eigentlich herzlich wenig passiert (mal abgesehen von einigen Krächen der beiden Herren, einstürzenden Dächern und vergeblichen Fluchtversuchen), einen derartigen Sog ausüben kann? Bitte tut’s und versucht, an das Buch zu kommen!
Es sind nicht bloss die meisterliche Erzählweise und die knappe Sprache. Es ist auch die mit unserer momentanen Lage vergleichbare Situation, die fesselt: Gefangen in Schneemassen, in mehr oder weniger komfortabler Unterkunft, gefangen in Träumen vom Ausbrechen oder von Menschen, die man gerne sähe oder Dingen, die man gerne hätte. Ungewissheit, wie lange das so bleibt, ob es jemals wieder besser kommt. Hadern, sich fügen, wieder aufbegehren und auch beinahe geniessen. Es gibt ein gutes Ende – vielleicht auch dank Pemmikan.
Pemmikan? Das ist gedörrtes Büffelfleisch, mit viel Fett zu Kugeln geformt, und gilt als Snack oder Notvorrat der Cree in Kanadas Norden. Die modernere Variante gibt`s auch vegan und süss!
Buch und/oder Snack = Überlebenshilfen?
Text: Heidi Bühler – Naef (67) Bild : C. Guay – Poliquin, Cover, Hoffmann und Campe
Es ist wieder fünf vor oder fünf nach zwölf
Die Corona-Situation im Kanton Bern ist unterdessen recht dramatisch. Bei der ersten Welle war als alles neu, vielleicht sogar «interessant» und ganz sicher von grosser Solidarität begleitet. Nun bei der zweiten Welle werden unsere Solidarität und unsere Ausdauer auf eine ganz neue Probe gestellt.
Es ist wieder fünf Minuten vor oder nach zwölf Uhr. Die Pandemie gibt den Takt vor – wir müssen reagieren. Der Vorstand hat bereits am Donnerstag, 23. Oktober 2020, entschieden die anstehenden Veranstaltungen nicht mehr physisch durchzuführen, sondern digital via Livestream oder Zoom. Gestern Freitagnachmittag dann verschärfte der Kanton Bern das Corona-Regime und verhängte einen quasi-Shutdown. Es entlockt uns ein müdes Lächeln, dass nun Veranstaltungen auch offiziell ab 15 Personen verboten sind.
«Wir müssen reagieren»: Der Vorstand bei seiner Sitzung
letzten Donnerstag. – Selfie: Vreni von Känel
Singen zwischen den Weinbergschnecken
Etwa 25 Menschen singen gemeinsam! Der erste UniSono-Abend im KulturGarten, ein voller Erfolg.
Kreatives Redaktionstreffen
im Glashaus
Die AutorInnen und FotografInnen von UND fanden sich zum Teamtreffen im Glashaus des KulturGarten ein. Ideen zum nächsten Schwerpunktthema «Himmel und Hölle» wurden entwickelt. Dazu gehörte auch ein feines Mittagessen!
Bild oben: Mara Ludwig
Wie geht es dir? Die erste physische Veranstaltung!
Das Format «Wie geht es dir?» machte heute den Anfang: Die erste Veranstaltung, die wieder live stattgefunden hat. Zehn Menschen kamen zusammen und diskutierten über ihr persönliches Befinden.
Bilder: Darleen Pfister
Text: Peter Gerber
Covid-19 mit den Augen
einer 78-Jährigen
Du bist ungebeten zu uns gekommen.
Nun bist du da und wir müssen dich akzeptieren.
Weltweit hast du vielen Menschen das Leben genommen,
ich frage dich: WARUM?
Sie wären gerne noch bei uns geblieben.
Den Reichsten der Welt hast du die Konti gekürzt.
Mit dem Geld, das du ihnen genommen hast,
hätte man den Ärmsten der Welt helfen können.
Wären sie früher erwacht, hättest du nicht kommen müssen,
um uns so viele Sorgen zu bereiten.
Bitte Covid19 rüttle noch weiter an den Reichsten und Mächtigsten
dieser so kaputten Welt.
Damit sie erwachen, alle Kriege und das Elend auf Erden beenden.
Wir hätten genug für alle, wenn die Güter der Welt gerechter verteilt wären.
Text: Isabella Desax (78), Bild: Walter Winkler (81)
Poetry zu Corona
CORONA,
schöne Krone,
Kugel, Krake,
cooler Knaller
komm nicht zu mir
lieber zu ihr, zu ihm,
NEIN, zu niemand hier.
Machst mich krank,
bescherst mir
Kummer,
Kampf und Koller!
Also, verreis, zieh ab
sonst
mach ich schlapp.
Text: Telsche Keese (82), Bild: Giulia Ravasio (28)
SeniorInnen machen Radio auch in Zeiten der Epidemie
Der Lockdown Anfang März hat das Seniorenradio Radio Silbergrau vor ziemliche Probleme gestellt. Zu Hause bleiben und trotzdem Interviews und Berichte aufnehmen – beides geht einfach nicht! Wir mussten deshalb neue Wege gehen. Hanspeter hat also Gedichte gesucht, die zum Thema passen, und diese rezitiert; Bugi hat eine Glosse zur Toilettenpapierhamsterei gestaltet, und ich erzählte von Ereignissen zum Ende des Zweiten Weltkrieges, wobei ein Sprecher die näheren Umstände aus historischer Sicht beleuchtet hat. Jedes von uns hat seinen Part bei sich zu Hause aufgenommen und geschnitten. Die roh geschnittene Aufnahme schickten wir unserem Techniker Roland. Der hat dieses Puzzle dann zu fertigen Beiträgen zusammengesetzt. Die Musik zur Sendung hat unsere Musikredakteurin Erika in ihrem riesigen Archiv zusammengesucht. Nachdem schliesslich alles in unsere Dropbox gestellt worden war, konnte auch die Moderatorin Susanna zu Hause ihren Text verfassen und aufnehmen. Diese Aufnahme ging wiederum zu Roland, der die einzelnen Beiträge, die Musik und die Moderation miteinander verbunden hat. Ufff….. wir mussten in dieser Zeit unsere Komfortzone verlassen und viel Neues lernen. Aber heute sind wir alle stolz darauf, dass wir einen Weg gefunden haben, um unser Radio weiterleben zu lassen.
Text und Bilder: Charlotte Häfeli (81)
Zugfahrt von Thun nach Chur – eine surreale Reise
Am 22. April musste ich wegen einer familiären Angelegenheit nach Chur. Aufgrund von Covid 19 nahm ich den 9.04 Zug ab Thun, da ich dem Berufsverkehr ausweichen wollte. Nach einem Fussmarsch staunte ich, wie wenig Leute am Bahnhof waren. Drei Bahnpolizisten stiegen mit in den Zug. Ich war in meinem Wagen oben alleine. Plötzlich beschlich mich ein mulmiges Gefühl. In Bern schien der Bahnhof tatsächlich noch verlassener. Ich stieg um und machte ein Foto des Perrons in Bern und vom Zugabteil (siehe Bilder). Beim Umsteigen in Zürich begegnete ich einigen Reisenden. Schon verrückt, was ein so kleines, für das Menschenauge unsichtbares Virus bewirken kann: Wo sich normalerweise zu jeder Zeit grosse Menschenmengen tummelten, waren jetzt nur Vereinzelte unterwegs. Ein kurzer Zug, normalerweise als Regionalzug eingesetzt, war als ICE nach Chur angeschrieben. Das genügte aber auch für die wenigen Nasen, die darin Platz nahmen.
Am Zürichsee, entlang den vielen Badeplätzen, sah ich trotz sonnigem Prachtwetter nur vereinzelte Personen, die spazierten, lasen oder sich sonnten. Nach dem See stellte ich schmunzelnd fest, dass ich viel mehr Kühe zu sehen bekam als Menschen. Als ob sich die Menschheit um 95 Prozent reduziert hätte! Auf grünen Wiesen weidete eine Herde Kühe nach der anderen, seltener Schaf- oder Ziegenherden. Dazwischen Felder, davon mehr als üblich brach liegend. Manchmal sah ich einen Bauern auf dem Feld oder jemand, der mit dem Velo oder zu Fuss unterwegs war. Nach Ziegelbrücke blickte ich auf die leere Autobahn, die im Glarnerland nahe an der Bahnlinie liegt. So entstand das dritte Foto. Arbeiter auf der Autobahn hatte es erstaunlich viele. Ja, die Bauarbeiter müssen ja arbeiten, Corona-Krise hin oder her. Ausgerechnet körperlich so hart arbeitende Menschen hätten eine Ruhepause verdient! Auf der knapp dreistündigen Fahrt fragte ich mich, wie das mit der Krise weitergeht. Wie lange dauert sie noch? Was geschieht bei den Lockerungen in fünf Tagen? Gibt es bei uns Menschen ein nachhaltiges Umdenken, was ich mir wünsche? Dass wir besser zu unserer Umwelt schauen und alle die Klimakrise ernst nehmen? Sind wir doch alle auf diesem Planeten auf eine gesunde Natur- und Tierwelt angewiesen!
Kurz vor zwölf Uhr stieg ich in Chur aus und sah, dass um die Mittagszeit etwas mehr Leute unterwegs waren. Erfreut sah ich meine Schwester winken, als ich aus der Unterführung trat. Ihr vertrautes Gesicht zu sehen tat mir richtig gut nach dieser eigenartigen Reise.
Text und Bilder: Anita Bucher (57)
Freiwillig
oder unfreiwillig
Als der Risikogruppe zugehörend und auch noch ziemlich handicapiert (nach einer Rücken-OP, die nicht so gut verlaufen ist), humpelte ich die letzten Wochen immer etwas im Quartier herum in der Art Neufeldstrasse–Lüssliweg retour. Theoretisch wusste ich ja, dass die Strassen und Gassen in der Stadt leer sind, dass die Geschäfte und Restaurants alle noch geschlossen haben. Und Banken und Optiker, coronabedingt, alle erst um 10 Uhr öffnen. Gestern musste ich wieder einmal in die Stadt, da ich im Spital einen Termin hatte. Ich humpelte also vormittags um 10 Uhr so durch das Bälliz Richtung Spital. Alles still, alles leer. Bis auf ein paar wenige Passanten schien die Stadt fast wie ausgestorben. Diese fast absolute Leere kann einem schon aufs Gemüt schlagen. Zum Glück bin ich ein Mensch, der Stille und Ruhe gut aushalten kann und meinen Humor nicht so schnell verliere. Aber erzwungene Stille und Ruhe sind schon etwas ganz anderes als freiwillig gewählte. Ich gehe selten in ein Restaurant, trinke meinen Kaffee oder mein Bier meist daheim. Aber gestern hätte ich viel darum gegeben, in einer Freiluftbeiz im Bälliz ein Bier trinken zu dürfen – Corona machte mir einen dicken Strich durch die Rechnung. Trotzdem ist es wichtig, dass wir uns weiterhin an die Regeln des BAG halten – unsere Regierung macht einen guten Job.
Text: Andreas Steinmann (76),
Bild (Bern): Andrea Blatter (39)
Bucketlist: Was wir alles tun wollen, wenn Corona vorbei ist
Was möchtest du unbedingt noch erleben? Diese Frage diskutierten Jung und Alt am Mittwochabend – wie inzwischen gewohnt via Videokonferenz. Natürlich wollen alle das Ende der Coronazeit erleben. Aber wir haben uns auch über ganz andere und persönliche Punkte auf unseren Bucketlists unterhalten. Was? –Bucketlist?, das fragte eine ältere Teilnehmerin. Wir definierten das so: Eine Liste der Dinge, die man vor seinem Tod unbedingt noch machen möchte.
Hanna – schon über 70 Jahre alt – möchte unbedingt noch einen Gleitschirmflug machen. Lara möchte eine Katze – und eine eigene Bibliothek. Fritz möchte die Kirche reformieren – und virtuos auf dem Schwyzerörgeli spielen. Barbara, die schon immer gerne reiste, möchte noch einmal mit bunten Fischen in der Lagune vor Mombassa im warmen Indischen Ozean schwimmen. Peter möchte einmal wunschlos glücklich werden. Bald-Pensionär Tinu möchte nach seinem letzten Arbeitstag einen Schaukelstuhl kaufen und dann eine Woche lang «einfach nichts müssen». Und Gaby bemerkt irgendwann schliesslich: Ich habe gar keine Bucketlist, ich mache einfach das, was auf mich zukommt.
Möchtest du auch mal ganz unverkrampft mit verschiedenen Menschen über ein Thema sprechen? Dann schau hier vorbei und klick dich dazu – mit einem Glas Rotwein wie Elias oder mit einer Stange, wie Barbara.
Morgenrot
und Erziehung
Sie ist nun abwassertauglich, bringt Kindern Regeln bei, schwelgt im Morgenrot, harrt der weitern wissenschaftlichen Wirrnisse, die sie verursacht und freut sich über ihren Erziehungseinfluss. Corona, flüchtig, ungekrönt, erfreut.
Dieser Tage durfte sie erfahren, dass sie nun auch abwassertauglich ist. WissenschaftlerInnen sind ihr unter Wasser auf der Spur und können so ihrer potenziellen Fitness nachspüren. Mit einer solchen Tiefseeverfolgung hat sie nun gar nicht gerechnet. Ihr Spielraum wird enger – sie immer mehr zur Gejagten.
Worüber sie sich ausgesprochen freut, ist ihr Einfluss auf die Erziehung. Seit der Wiedereröffnung der Schulen in Dänemark ist zu vernehmen, dass die Schüler sich ruhiger verhalten und die nötigen Hygienemassnahmen diszipliniert einhalten. In den in kleinere Gruppen aufgeteilten Klassen können die Lehrer – absolut nachvollziehbar – ihre Aufmerksamkeit einem jeden Kind individueller zukommen lassen. Darauf wäre die Ungekrönte nun nie gekommen. Und sie ist gespannt, wie sich’s dann ab dem 11. Mai in der Schweiz anlässt. Die Frage, von wo die fehlenden Lehrkräfte für diesen Zusatzaufwand hergezaubert werden, lässt sie grübelnd zurück.
Apropos Kinder: Die Wiedereröffnung der Grundschulen auf den
11. Mai wird heiss diskutiert. Jetzt, wo WissenschaftlerInnen sich intensiver ihrer Infektionswirksamkeit bei Kindern widmen, wird vermehrt Kritik laut, wonach Studien um und mit Kindern schlicht verpennt worden seien. Daran wird nun intensiv gearbeitet. Bei Tests haben sie keinen Unterschied in der Virenlast zwischen verschiedenen Altersgruppen nachweisen können. «Bei der Beurteilung der Ansteckungsgefahr in Schulen und Kindergärten müssen die gleichen Annahmen zugrunde gelegt werden, die auch für Erwachsene gelten», schreiben die Forscher. Und jetzt? Grosseltern bleiben weiterhin im zweifelnden Grübeln: EnkelInnen umarmen – ja /nein ? Weiss nicht – Wissenschaft: Bitte ankreuzen.
Seit der letzten Pressekonferenz des Bundesrates von Ende April sonnt sich die ungekrönt Flüchtige offiziell im Morgenrot. Nein, nicht in der Schweizer Landeshymne. Der Wirtschaftsminister verkündete mit stolzem Optimismus, er sehe «Morgenrot am Wirtschaftshimmel». Dabei gibt’s doch die Bauernregel: Morgenrot, schlecht Wetter droht! Sie hofft das Beste für die Wirtschaft, der Kapitalismus kuscht nicht vor ihr. Deshalb: Leute haltet euch an die Hygienemassnahmen! Ansonsten fällt der Ferientraum, das «Bebaden der heimischen See-, Fluss- und Badeanstalten» buchstäblich ins Wasser.
Text: Gaby Jordi (69), Bilder: Walter Winkler (80)
Alles öffnen
auf Teufel komm raus?
Jetzt treten sie wieder auf den Plan: die Libertären, die sowieso keinen Staat wollen, die Besserwisser, Hobby-Epidemologen, radikalen Impfgegner, die Politiker und die, die sowieso schon immer alles gewusst haben. Sie demonstrieren, bilden Menschenketten, ganze Familien halten dabei Händchen. Sie alle wollen sich die «Diktatur» der Regierung nicht länger gefallen lassen. Der Bundesrat kann ihnen nun nichts mehr recht machen. Alles öffnen ist die Devise. Auch ich wäre froh, wenn das Coronavirus schon bald gekillt wäre. Wie gerne würde ich schon lieber heute als morgen wieder unter die Lebenden gehen: selber einkaufen, einen Schwatz halten, jemanden in die Arme nehmen. Das ist für mich das Schwierigste, keinen direkten Kontakt mehr mit meinen Mitmenschen haben zu dürfen.
Aber, die Realität ist nun mal anders. Das Virus wird uns noch lange verfolgen. Das sagen uns auch die Wissenschaft und die Berater des Bundesrats. Eigentlich müsste der Lockdown noch länger anhalten, damit die gefürchtete zweite Welle gebremst oder gestoppt werden kann. Die viel beschworene Freiheit und Eigenverantwortung, es sind schöne Worte. Wenn sich dann herausstellen sollte, dass die Befürworter einer strengeren Lösung doch Recht hatten, was dann? Ist dann unsere Landesregierung wieder gut genug, um die Kohlen aus dem Feuer zu holen?
Ich vertraue jedenfalls dem Staat, dem Bundesrat und seinen wissenschaftlichen Beratern mehr als den ganz oben Genannten.
Text: Andreas Steinmann (76), Bild: Giulia Ravasio (28)
Die Risikogruppe
wird unbequem
Die Verantwortlichen üben sich im Spagat und wagen den Hochseilakt.
Täglicher Zahlensalat und Corona-Babys.
Als sie sich vor einigen Monaten aufmachte, die Welt aus den Fugen zu heben, war sie sich nicht bewusst, mit welchen Anfeindungen sie sich konfrontiert sehen würde. Inzwischen weiss sie, dass RenterInnen systemrelevant sind. Also als KonsumentInnen, SteuerzahlerInnen, Enkelkinder-BetreuerInnen sind sie durchaus geschätzt. Doch jetzt, in den Fängen ihres Viren-Netzes als Risikogruppe tituliert, werden sie unbequem: Wegen deren gesundheitlicher Verletzlichkeit fährt die Wirtschaft einen Milliardenverlust ein. Die mit Notrecht beauftragten Verantwortlichen versuchen den Spagat zwischen Wirtschafts-, Wissenschafts-, politischen und gesellschaftlichen Interessen auszuhalten. Ein Hochseilakt, der jederzeit schief gehen kann. Zunehmend wissen alle alles besser – aber keine/r weiss es genau. Doch ohne genau wird sie nicht zu bändigen sein – das ist nun mal so. In über 1000 Studien setzen sich weltweit Viro- und Epidemiologen mit ihr und der Wirkung ihrer gefürchteten Tröpfcheninfektion auseinander. Eine Statistik löst die andere ab. Hat da überhaupt noch wer den Überblick über den Zahlensalat? Zahlen sammeln, neu «büschelen» und der Politik als «Entscheidungsmenü» vorsetzen. Das kommt ihr vor, wie das Suchen nach der Nadel im Heuhaufen.
Apropos Viro- und Epidemiologen: Kann ihr jemand erklären, weshalb es einzig oder – sagen wir es etwas abgeschwächter – vor allem deren männliche Vertreter prominent in die Medien schaffen? Ihrer Meinung nach liessen sich bestimmt ebenso kompetente weibliche Vertreterinnen finden. Oder gilt die männliche Sicht immer noch als die kompetentere? Honi soit qui mal y pense.
Eine erfreuliche Nachricht vermochte sie in diesen Tagen doch noch zu erreichen: Es werden Corona-Babys gezeugt. Ja, so ist das Leben: Der Mensch kommt, der Mensch geht…
Text: Gaby Jordi (69), Bild: Andrea Blatter (39)
Wenn der Frühling webt sein Band
Mit rosaweissen Farben
Süss verzaubert unser Land
Und wir nicht müssen darben
Webt er uns ein wenig Glück
In unsere Gedanken
Führt uns in der Zeit zurück
Und lässt uns innig danken
Für die wunderbaren Zeiten
Die wir durften leben
Zuversicht mög uns geleiten
Und innern Frieden geben
Bild und Text: Ursula Wagner (67)
«OK, Boomer»
Gerade in der jetzigen Zeit können Jung und Alt häufig Meinungsverschiedenheiten haben. Maurizio Piu (20) hat sich mit der Phrase «OK, Boomer» und Altersdiskriminierung auseinandergesetzt und Personen verschiedener Generationen dazu befragt. Elisabeth Jost (66) meint zum Beispiel, dass das Recht auf freie Meinungsäusserung nicht abhängig von Faktoren wie Alter, Geschlecht oder Bildungsstand sei. Lesenswert!
Murmeliger Schlaf
und Amselgruss
Corona-Krise entpuppt sich als insprierender Zeit-Raum.
Was Pestos, Pizokels und fehlender Blattschmuck
damit zu tun haben, erfahrt ihr weiter unten.
Den zügigen Spaziergang frühmorgens im nahen Wald lassen wir uns als Risikogruppen-Mitglieder nicht nehmen. Erstens können wir bei dieser Aktivität die Distanzregel bestens einhalten, zumal uns zu so früher Stunde nur wenige Passanten begegnen. Diese sind meist begleitet von ihren Vierbeinern oder es sind hastig vorbeieilende JoggerInnen. Zweitens erspart uns dieser behördlich noch nicht verbotene Auslauf den Griff zur Schlaftablette, beziehungsweise: Er beschert uns einen murmeligen Schlaf. Weiter entdecken wir immer neue Rundgänge in einem Gebiet, das zwar direkt vor unserer Haustüre liegt, doch bislang von uns verschmäht wurde. Oder frei nach Goethe: Warum denn in die Ferne schweifen? Sieh, das Gute liegt so nah.
Doch, doch: Bei all dem Chaos-Katastrophen-Szenario, das uns die Corona-Krise beschert: Es zeigen sich Kostbarkeiten, welche hoffentlich viele von uns mitnehmen können – in die Zeit NACH Corona. Zum Beispiel: Uns begrüsst beim Start in den frühmorgendlichen Marsch gleich um die Ecke auf einem Baum eine Amsel. Wegen des noch fehlenden Blattschmucks können wir die Amsel gut beobachten. Sie sitzt immer auf dem gleichen Baum, ganz zuoberst, als wollte sie sich einen Überblick über das Chaos unter ihr verschaffen. Ob es immer dieselbe Amsel ist? Das will ich jetzt einfach glauben. Sie will uns begrüssen und wir nehmen ihren Gruss wohlwollend wahr. Zu unseren Entdeckungen gehören ein Moosgebiet sowie ein Amphibienlaichgebiet von nationaler Bedeutung. Auf unseren Waldrundgängen im fast menschenleeren Wald spüren wir Bärlauch in Hülle und Fülle auf. Daraus entstehen Pestos, Bärlauchchnöpfli, Pizokels – natürlich selbstgemacht, ein wahrer Schmaus. Man hat ja Zeit, sich dafür Zeit zu nehmen.
So entpuppen sich unsere frühmorgendlichen Waldrundgänge als inspirierender Zeit-Raum. Ohne Hektik entwickeln wir eine neue Wahrnehmung für Verdrängtes.
Text: Gaby Jordi (68), Bild: Mara Ludwig (18)
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Stay positive and solidaric
Skeptisch war ich als mein Sohn nach der Ankündigung der Corona-Massnahmen zu Hause auftauchte und uns seine Idee eines «Familienbeitrags fürs Durchhalten» schilderte.
Sich lustig machen über die Tatsache, dass weltweit massenweise Leute krank werden und sterben – das geht gar nicht, empörte ich mich. Und überhaupt: Was ist mit den Urheberrechten des Songs, den wir nutzen werden? «Vertraue mir, Mami. Mit dem Song ist alles geregelt, der Film dient der Förderung des Optimismus und der Solidarität, er soll Zuschauer bei guter Laune halten», versprach der Sprössling.
Nicht ganz überzeugt, aber mit dem Willen keine Spielverderberin zu sein, begleitete ich meine Liebsten als Kamerafrau. Rätsel für ZuschauerInnen:* Welche Szenen im Film zeigen konkrete Corona-Massnahmen in der Schweiz?
- Was darf man nicht tun?
- Was kann / soll / muss man manchmal tun?
- Was sollte man auf jeden Fall tun?
Die Drehorte wurden am Tag danach abgesperrt. Ob wegen der unerlaubten Filmcrew-Aktivitäten oder planmässig – das werden wir wahrscheinlich nie erfahren.
Na ja, flexibel zu sein heisst, trotz anfänglicher Skepsis den verwendeten Ohrwurm tagelang zu summen und immer wieder das Filmchen anzuklicken.
*Auflösung des Rätsels:
- Man darf nicht in die Hände niesen
- Je nach Situation kann, soll oder muss man Schutzmasken, Handschuhe usw. tragen
- Man soll auf jeden Fall optimistisch bleiben und sich solidarisch verhalten
Generation Lockdown:
Wie fühlst du dich im Moment?
Arbër Shala (26) hat im Rahmen einer kleinen Projektarbeit mit einigen UND-Mitgliedern über die aktuelle Situation gesprochen und nach ihren Befindlichkeiten, Hoffnungen, Ängsten und Wünschen gefragt.
Den Audiobeitrag kannst du hier hören:
Coronakrise
im Generationendialog
Zoé Kammermann (20) und Telsche Keese (82) haben zusammen einen spannenden Beitrag verfasst. Die aktuelle Situation und vergangene, ähnliche Umstände. Wie schwierig es ist, die Familie nicht sehen zu dürfen. Die apokalyptischen Szenen, die der Virus auslöst. Aber auch die individuelle Freiheit und die Chance auf einen Neuanfang in der Wirtschaft. Verschiedene Aspekte werden im Beitrag diskutiert, der hier gelesen werden kann.
Illustrationen: Giulia Ravasio
Drei Wochen Covid19-Hausarrest und einige Tage mehr
Nach meinem Kurzurlaub in Spanien war plötzlich alles anders. Ich freute mich sehr auf mein Zuhause, denn das Hotel in Valencia war nicht gerade so, dass ich gerne dort geblieben wäre. Meine Wohnung betrat ich nichtsahnend. Ich wusste noch nicht, dass ich ab sofort inhaftiert war. Grund dafür sei ein gefährlicher Virus, den ich vielleicht aus Spanien mitgebracht hätte. Dabei hatte es bereits mehr als genug davon in der Schweiz. Dafür hätte ich nicht nach Spanien reisen müssen.
Meine VIP-Einzelzelle besteht aus Wohn-, Schlafzimmer, Bad und Küche. Sogar Seesicht ist mir gegönnt. Damit ich nicht mit den übrigen Häftlingen in den Hof muss, hat meine Zelle einen grossen Balkon, wo ich hie und da frische Luft schnappen kann. Dieser Luxus war mir nicht von Anfang an bewusst.
Kühlschrank, Tiefkühler und Schränke waren gut gefüllt. Kochen müsse ich selber, wurde mir mitgeteilt. Wenn ich etwas benötigen sollte, würde es mir vor die Wohnungstüre gestellt. Dieses Angebot nahm ich wohl oder übel gerne an. So hatte ich immerhin Kontakt zur Umwelt.
Nach einer Inspektion der vorhandenen Lebensmittel beschloss ich, so lange wie möglich von dem Vorrat zu leben und teilte dies den Aufsehern mit. Die Aufseher sind rührend und fragen immer wieder, wie ich mit der Situation fertig werde. Auch die Mithäftlinge, welche Ausgang mit Beschränkung haben, boten ihre Dienste an. An dieser Stelle möchte ich allen HelferInnen meinen herzlichsten Dank aussprechen. Wirklich toll diese Hilfe und zu wissen, nicht allein zu sein.
Nach drei Wochen lang Kühlschrank und Schränke plündern, hatte ich genug! Mein Körper verlangte nach frischem Gemüse und Salat. Eine kurze Mitteilung an die Aufseher und schon wurde mein Wunsch erfüllt.
Nun geht das Leben weiter. In welcher Form und wie lange dauert der Jetzt-Zustand? Was wird anders sein? Was werden wir daraus lernen? Das sind Gedanken, die sich eine Seniorin heute macht.
Wir leben im Paradies, nur ist es vielen Menschen noch nicht richtig bewusst. Was muss noch geschehen, bis es alle merken?
Nochmals herzlichen Dank an alle HelferInnen und freundlichen Leute, die hie und da ein Lächeln verschenken. Auch für die lustigen und aufmunternden WhatsApp-Mitteilungen danke ich von ganzem Herzen.
Text: Isabella D., Bild: Walter Winkler (80)/ Hundertwasser
«U plötzlech …»
oder: Die angeri Syte vor Medaille
No vor churzem si d Züüg gstosse vou gsi mit Lüt. Dür d Bahnhöf hei sech waberndi Mönschemasse düregwälzt u vor luter Gstungg het me nume no Chöpf gseh. Vieli mit chline wisse Stöpsle i de Ohre oder mit grosse Über-Ohrhörer uf em Chopf, um sech bi sövu erzwungener Nöchi en eigete Ruum z verschaffe u sech vo de angere rundume abzgränze. Bewäutigung vom Dichtestress.
Sit em 17. März isch uf ei Schlag Rueh ig‘chehrt. E Rueh, wo sech dr eint oder die angeri scho lenger drna gsehnt het, aber wahrschindlech doch de nid eso. Nid sone gschpänschtegi Rueh, wo jitz uf de vorhär so beläbte Plätz oder ide Pärk azträffe isch. Ob sech d Vögu i de Stedt ächt wundere, dass es so stiu worde isch?
Es Bonmot vom Blaise Pascale het grad wieder mau Hochkonjunktur. Är het gseit, ds ganze Unglück vo de Mönsche chiem daderhär, dass sie nid ruhig imne Zimmer u mit sich aleini chönni blibe. Es munzigs Virus zwingt üs hüt derzue und nid aui haute das glich guet us. Mir wärde drum kreativ, wie me dene vier Wäng cha entflieh und sech trotzdäm mit angerne cha träffe, jitz haut virtuell u dank em wäutwite Datenetz. Zoom u Skype buume.
U wieder hei d Mönsche Chopfhörer uf. Dasmau, um elei vor em PC deheime es Konzärt im Internet z lose, e virtuelli Museumsfüehrig mitzmache oder sech im Zoom-Meeting besser z ghöre. Dasmau si die Chopfhörer nid derzue da, sech abzgränze und ufs Eigete z fokussiere, sondern sech mit angerne z verbinde oder öppis zäme z erläbe. Bewäutigung vor soziale Isolation.
D Wäut steit Chopf u aus isch plötzlech echlei angers. I bi gspannt, was mir aus no für angeri Site u Müglechkeite wärde entdecke!
Text: Barbara Rüetschi (51), Bild: Walter Winkler (80)
Swissness pure dienstags
um 19.00 Uhr
Beflügelt von Applaudier-Aktionen für Heldinnen und Helden des Corona-Alltags, wagte ich den Versuch, ein Nachbarschaftssingen in meiner Umgebung einzuführen. Die drei Blocks der Überbauung, in der ich wohne, sind U-förmig gegeneinander platziert, mit einem grossen Rasen in der Mitte – beste Bedingungen, um von den Fenstern und Balkonen aus miteinander zu kommunizieren. Am vergangenen Samstag verteilte ich in 76 Briefkästen ein Schreiben mit meiner Vision des gemeinsamen Singens und dem Aufruf an Musiker unter uns, kurze Konzerte zum Zuhören oder Mitsingen zu offerieren. Prompt bekam ich einige begeisterte Zusagen, eine davon von einem Alphornbläser, der schon in den vergangenen Jahren die Nachbarschaft zu «Konzerten beim Grill» einlud.
Am 21. März hat die Alphornvereinigung Pilatus Kriens alle Alphornbläser aus dem gesamten Alpenraum aufgerufen, dienstags um 19.00 Uhr von ihren Gärten und Balkonen aus zu musizieren. Vergangenen Dienstag spielte also Andi Vögeli bereits mit unzähligen Gleichgesinnten aus der Schweiz, Deutschland, Österreich und sogar aus Amerika. Geplant sind ähnliche 1-Mann/Frau-Konzerte, so lange die Corona-Massnahmen dauern. Am letzten Märzabend erhielt er nun viel Aufmerksamkeit und einen grossen Applaus von Anwohnern. Danach schrieb eine Teilnehmerin des Nachbarschaftschats’ «Vielen Dank Andi, das war eine schöne Abwechslung!… und wenn wir jetzt dem nächsten Anrufer sagen können, wir seien soeben von einem Konzertbesuch zurückgekommen…hahaha.»
Wie sich das gemeinsame Singen entwickelt? Da lasse ich mich überraschen. Die Reaktionen auf meine Einladung waren sehr unterschiedlich: Begeistert von der Idee sind 15 Prozent der Angeschriebenen, 10 Prozent finden sie toll aber:
- wollen sich nicht festlegen und werden nur gelegentlich mitsingen,
- sind beruflich zu stark eingespannt,
- fühlen sich von verschiedenen Chats überschüttet und wünschen keinen neuen,
- haben keinen Bedarf,
- möchten ihre Ruhe haben.
Eine Partei empfindet das Projekt als aufgesetzt. Die Anderen haben sich nicht geäussert. Dass es sich aber lohnt, auch mit wenigen Mitstreitern etwas gemeinsam zu unternehmen, beweist mir die Antwort einer älteren Nachbarin (mit der sich nur analog kommunizieren lässt): «Dabei sein ist schöner, als allein zu sein.»
Filme von Hans-Urs Hofer zum Alphornspiel:
https://www.youtube.com/watch?v=g99IdZQFsrI – alphorn 1 mattenstrasse 18x 31.3.2020
https://www.youtube.com/watch?v=lXMg_hqXjUk – alphorn 2 mattenstrasse 18x 31.3.2020
PS. Spitzt eure Ohren dienstags um 19.00 Uhr – vielleicht erklingt auch in eurer Umgebung ein Alphorn?
PPS. Mein Nachbar Hans-Urs Hofer singt für seine italienischen Freunde:
https://www.youtube.com/watch?v=HLOVn3RyLSg CANTARE CONTRA CORONA
Text und Bild: Barbara Tschopp (68)
Geschlossen
Bis auf Weiteres oder bis auf weiteres geschlossen? Der Duden empfiehlt «bis auf Weiteres», alternative Schreibung «bis auf weiteres». Das heisst übrigens vorerst, vorläufig. Viele Menschen werden unter diesen vom Bund angeordneten Schliessungen leiden.
Wer bezahlt die Mieten, die Gehälter usw.? Die AHV wird es dann auch merken.
Walter Winkler (80, Fotos) und René Mathys (66, Text)
Der Konsumist und
der Pandemiker
Der Konsumist poltert:
Wenigstens verkaufen uns die orangen Riesen noch was zum Futtern. Die riesigen Buffets auf den Luxusdampfern und die exquisiten Weine in Degustationskellern sowie die Blumen für unsere geschundenen Seelen fehlen uns heute aber gewaltig.
Meine First Lady hat Shopping-Entzugserscheinungen. Gestern rannte sie – nur mit einem roten Hut bekleidet – durch die Wohnung und schrie eine Stunde lang: «Ich habe nichts anzuziehen! Ich habe …» Ich leimte ihr ein Cocktailkleid aus WC-Papier zusammen.
Der Catwalk durch die leeren Strassen wurde zum Desaster: Der Scheissregen klebte ihr mein Kunstwerk an ihren Body. Spülen bitte!
Der Pandemiker räsoniert: Alle hoffen auf die Chemiekeule gegen den Bösewicht, denn Viren sind zu klein, als dass die aufgebotene Armee sie erschiessen könnte.
Egozentrische Staatsverführer meinen, sie und ihr Volk seien auserwählt und blieben verschont. Die allerkleinsten Lebewesen entmachten die Grössenwahnsinnigen schonungslos. Fluchen und Twittern hilft nichts, meine Herren. Lassen Sie einen Rat der Weisen an die Schalthebel!
Viren sind wie Menschen und fast alle Lebewesen. Sie wollen leben und haben einprogrammiert, dass sie sich vermehren müssen. Nicht aus bösem Willen, sondern wegen diesen zwei Bedürfnissen rotteten Menschen Tausende Arten von Lebewesen aus.
Viren können auch töten, aber sich nicht bewusstwerden, was sie tun. Wir Menschen könnten es.
Und dann bescheidener und rücksichtsvoller leben. Ob wir das in den kommenden Wochen lernen werden? Hoffen ist naiv. Trotzdem könnte ja mal ein Wunder passieren. Es wäre an der Zeit!
Text und Bild: Jürg Krebs (Alter variierend)
Spezielle Massnahmen fordern spezielle Begrüssungsformen
Begrüssung im Schadaupark. Die Mitglieder des Petanque-Clubs Amical Thun treffen sich hier zum Spiel. Das ist heute wohl auch vorbei. Mit Anstand, Abstand und einem Lächeln berührt man sich nur mit den Ellbogen. Aber dieser Corona-Gruss ist mit der Abstandsregel von zwei Metern ebenfalls passé!
Walter Winkler (80, Fotos) und René Mathys (66, Text)
Ausgelesen Spezial: Corona –
und alles ist anders!
Das Gebot der Stunde heisst: Zu Hause bleiben. Hat man ein gutes Buch zur Hand, gibt es wirklich Schlimmeres – und gut sind unsere Tipps allesamt. Damit könnten sich Leseratten glatt an Hausarrest gewöhnen und, wer weiss, vielleicht auch Lesemuffel! Heidi Bühler-Naef (66) und Marlene Hiltpold (25) haben Vorschläge. Hier gehts zum Beitrag!
Und übrigens, Bücher kann man sich auch liefern lassen. 🙂
Neues aus dem KulturGartenSchadau
KGS: ein Projekt von UND Generationentandem. Der Gemeinschaftsgarten in der historischen Schadaugärtnerei in Thun ist vielfältiger Begegnungsraum. Menschen jeden Alters, NaturliebhaberInnen, Angehörige interessierter Gruppen und Institutionen gärtnern nach Grundsätzen der Permakultur und bringen ihre vielfältigen Interessen, Ideen und Fähigkeiten ein. Die Freude an der Begegnung und am gemeinsamen Tun in Thun steht im Vordergrund.
Yves Barth (29)
Geldwäsche
Geldwäsche: Verbot kurzfristig aufgehoben! Haltet euer Geld sauber, es könnte ein Virusträger sein. Diese humorvollen Bilder sprechen für sich. Heute tragen die VerkäuferInnen Handschuhe und sind froh, wenn die Leute mit der Karte bezahlen. Wer keine hat, kann übrigens auch eine Geschenkkarte kaufen und sich die Beträge auf dieser abbuchen lassen!
Walter Winkler (80, Fotos) und René Mathys (66, Text)
Die letzte Reise vor den Grenzschliessungen
Kurz vor dem allgemeinen Reisestopp, wie er nun wegen des Coronavirus gilt, begaben sich noch über dreissig Reisefreudige nach Kroatien. Über zehn Personen hatten sich da bereits abgemeldet. Sie mussten leider ihre Kosten selber bezahlen, da kein Reiseverbot des Bundes vorlag.
Die Reise führte uns via Italien und Slowenien. Um Risiken zu vermeiden, wurden bei den wenigen Stopps in Italien die Getränke rund um den Bus ausgeschenkt, dessen Toilette ebenfalls zur Verfügung stand; die Autogrills waren eh geschlossen, der Verkehr stark reduziert.
Slowenien zählte zu dieser Zeit – so wurde uns mitgeteilt – nur vier Ansteckungsfälle. Trotzdem war das Hotel sehr schwach besetzt. Eine Grenzkontrolle von Italien nach Slowenien fand damals noch nicht statt. Kroatien soll zu dieser Zeit nur zwölf Ansteckungsfälle ausgewiesen haben, trotzdem war Vorsicht angesagt. Die Einheimischen schienen sich mehr zu sorgen, so etwa auf der Insel Pag, wo unsere Gruppe etwas unverblümt gefragt wurde, ob wir ihnen das Virus aus der Schweiz bringen würden.
Dem Busbetreiber kann übrigens ein Kränzlein gewunden werden. Der Chauffeur war via Zentrale stets über die neuesten Entwicklungen im Bilde und konnte so sehr schnell auf allfällige negative Begebenheiten reagieren. Dies zeigte sich auch bei der Inangriffnahme der Rückreise: Diese führte über Slowenien, Österreich und teilweise Deutschland, dies ohne jegliche Überprüfung an den Grenzen. Dank des geringen Verkehrs, aber vor allem auch wegen des sicheren und umsichtigen Fahrstils unseres Chauffeurs, fühlten sich alle Passagiere gut aufgehoben und sicher. In der Zwischenzeit hat übrigens das Busunternehmen, und nicht nur dieses, alle Reisen bis zum 27. April komplett storniert. Die sich daraus ergebenden Probleme sind momentan noch unabsehbar!
René Mathys (66)
Die Tage aushalten
Beim täglichen einsamen Spazieren läuft Gaby Jordi an dieser improvisierten Bibliothek vorbei.
Gaby Jordi (68)
Hoffnige u Tröim
En eigete Duft, e nöji Wermi
ligen über em Seefäldquartier.
Es düecht my, u i gloube,
so geit’s o no angerne,
der Früelig stöng vor der Tür.
Der Früelig mit syne Hoffnige,
der Früelig mit syne Tröim;
me seit, är machi alles nöi,
’s fragt sech nume,
ob mir das würklech o wei.
D Angscht vorem Nöjie,
d Angscht vor Veränderige
bringen is doch mänggisch
schier ume Verstang,
früecher syg alles viil besser gsy,
hütt aber ghei d Wält usenang.
Usenang cha si gheie, d Wält,
das isch wahr,
we me nid scho im Chlyne probiert
enanger e chly besser z verstah
u geng meint:
I allei weiss, was rächt isch u stimmt,
für mi isch doch alles klar!
Der Früelig als Hoffnig,
der Früelig als Troum –
fö mir doch geng wider vo Nöiem aa;
u we’s üs scho nume im Chlyne glingt,
de blybe mir sicher nid stah
Andreas Steinmann (75)
Bild: Andrea Blatter (39)
UND-Runde ganz digital
Die UND-Runde ist eine Art Stammtisch von UND Generationentandem. Auch diese Veranstaltung musste der Verein einstellen. Doch damit wollen wir uns nicht abfinden. Heute haben sich 21 junge und ältere Menschen via Zoom zur digitalen Runde getroffen. Zuerst haben alle ihre Eindrücke und Gefühle im Kontext des Coronavirus ausgetauscht. Dann diskutierte die Runde die Fragen: Halten wir uns gut an die Massnahmen? Wie gehen wir mit den Einschränkungen um?
Einsatz im Kronen-Taxi
Ein Wagen im Stil des Corona: Nur mein Freund, ich und die «social distance». Wir befinden uns auf dem Weg zu unserem temporären Corona-Einkaufshilfe-Auto. Mein Vater ist mit seinen 67 Jahren in der Risikogruppe und braucht das geräumige Vehikel in nächster Zeit nicht. So können wir ganz unkompliziert unsere drei Einkaufslisten abarbeiten. Eine kurze für meinen alten Alten, eine kürzere für seine Zwillingsschwester
und eine lange für meine an Multipler Sklerose leidende Mutter. Das «Kronen-Taxi» kommt für die nächsten vier Wochen mit zu uns nach Hause und wird hoffentlich noch viele weitere Einkaufstüten mit ihren isolierten BesitzerInnen vereinen.
Corona, reisend, ungekrönt
Hält uns ein kleines, unsichtbares, angsteinflössendes, unfassbares Wesen den Spiegel vor? Flirrende Gedanken laden ein zum Nachdenken über unsere Gewohnheiten. Gaby Jordi hat geschrieben, Lisa Essig illustriert. Hier geht’s zum ganzen Text.
Technikhilfe online
und per Telefon
Die Welt scheint sich zwar langsamer zu drehen, doch Computer, Drucker, Social Media und das Smartphone werden wohl für uns alle in der nächsten Zeit einen grösseren Stellenwert in unserem Alltag einnehmen als üblicherweise. Probleme mit Computer, Drucker oder mit dem eigenen Smartphone gibt es aber leider auch zu den Zeiten des Coronavirus. Die Technikhilfe von UND Generationentandem funktioniert aber trotz Lockdown. Als Technikhelfer war ich heute zum ersten Mal nicht in der Wohnstube von Frau und Herrn Gerber, sondern online per TeamViewer und telefonisch mit den Hilfesuchenden in Kontakt. So konnte ich aus einigen Kilometern Distanz dennoch Probleme lösen, technische Fehler beheben und Fragen beantworten. Brauchen Sie technischen Support oder haben Sie eine Frage zu ihrem Gerät? Melden Sie sich bei UND Generationentandem und erhalten Sie die Technikhilfe aus der Distanz.
In der Schule
ohne Kinderlachen
Jetzt habe auch ich Zeit einen Kommentar zu schreiben. Natürlich sind bei uns an der Schule Zulg die Schulstuben leer, was für mich als «Vollherzblutlehrerin» nicht ganz einfach auszuhalten ist. In unserer Region gibt es keine Betreuungsengpässe. Die Kinder leben oft auf Bauernhöfen, es gibt immer etwas zu tun. Den sozialen Abstand zu den Grosseltern zu wahren, die oft im gleichen Haus oder im Stöckli nebenan wohnen, ist wohl nicht ganz einfach. Uns Lehrpersonen ist es ganz wichtig, dass wir die Kinder nun nicht mit zu vielen Aufträgen bombardieren und die Eltern so zusätzlich noch mehr Arbeit haben, denn auch in unserer Region arbeiten viele Mütter in der Pflege.
«Den sozialen Abstand zu den Grosseltern zu wahren, die oft im gleichen Haus oder im Stöckli nebenan wohnen, ist wohl nicht ganz einfach.»
So haben bei uns alle Kinder ein Päckli erhalten mit einem Springseil und einem Ball, tägliches Training braucht Zeit. Daneben müssen die Kinder regelmässig lesen und haben von uns einen Strauss an Ideen gekriegt, was man sonst noch tun könnte. Jedes Kind hat im Päckli auch einen vorfrankierten Brief für ein anderes Kind erhalten. Wer weiss vielleicht ergibt sich daraus eine Brieffreundschaft…?
Ich mache mir keine grossen Sorgen, dass die Kinder in den 12 Tagen bis zu den Frühlingsferien, so lange dauert es nur, viel Schulstoff verpassen. Ich hoffe sehr, dass die Kinder den erhaltenen Freiraum geniessen können, denn dieser fehlt mit einem eng strukturierten Stundenplan oftmals. Aus Langeweile entstehen die kreativsten Projekte. Für mich als Lehrerin ist es eher schwierig, die Leere auszuhalten, auch die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen sollte man ja bleiben lassen. Über Facetime,… zu kommunizieren liegt mir nicht besonders. Ich hoffe also sehr, dass dieser Ausnahmezustand nicht bist zu den Sommerferien dauern wird. Zurzeit habe ich noch genug zu tun mit Vorbereitungen für das neue Schuljahr. Jetzt ist ein guter Zeitpunkt auch einmal das Schulhaus aufzuräumen. Aber eben: Ein Schulhaus ohne fröhliches Kinderlachen ist einfach nicht lustig und ich freue mich sehr darauf, wenn ich alle Kinder wieder persönlich und mit Handschlag begrüssen darf.
Christine Leichtnam
Leere Welle zur Stosszeit
Eine leere Welle in Bern, dienstags um 8.15 Uhr. Wer zu Hause arbeiten kann, tut das. Nachdem der Bundesrat gestern die ausserordentliche Lage ausgerufen hat, hat jeder Pendler/jede Pendlerin nun ein Abteil für sich.
Normalerweise herrscht hier an der Schanzenstrasse um diese Zeit dichtes Gedränge.
Livia Thurian (25)
Hüten auf Distanz
Vorgestern per WhatsApp die Nachricht unserer Tochter aus Kopenhagen: leider sei eingetroffen, was wir alle befürchtet haben, sie muss die Woche Ferien bei uns abblasen. Wir werden sie und unsere kleine zehn Monate alte Grosstochter nicht sehen. Gestern Abend per WhatsApp die Nachricht unserer Schwiegertochter, dass sie versuchen, mit anderen «Hüeti-Personen» im Freundeskreis zurechtzukommen, damit wir Grosseltern geschützt sind. Die beiden Nachrichten, so gut sie auch gemeint sind, tun weh. So lange die beiden Kleinen nicht sehen, ist schwer.
So habe ich denn mit der App «Sprachmemo» heute Morgen für die vierjährige Grosstochter das erste Kapitel eines herzigen Kinderbuches aufgenommen und meiner Schwiegertochter geschickt. Die Kleine kann sich nun, während ihre Mama Homeoffice macht, sinnvoll «vertöörlen». Per Videobotschaft habe ich ausserdem kleine «Aazählvärsli» nach Dänemark gesendet. So bleiben wir alle in Verbindung. Ich bin getröstet.
Christine Buchs
Gespenstisch
Das Coronavirus hat meinen Kopf, meine Gedanken infiziert. Es legt einen Filter über meine Augen. Jeder Mensch, dem ich begegne, ist von einem Gespenst umgeben. Abstand halten! Keine Hände schütteln! Lieber nicht einatmen. Das Misstrauen kommt ganz automatisch und es verunsichert mich.
Und das Virus wirkt in zwei Richtungen. Ich selber bin vom Gespenst umgeben, für alle anderen könnte ich gefährlich sein. Jetzt einfach nicht husten! Was habe ich alles angefasst, seit ich zuletzt die Hände gewaschen habe? Soll ich mein kleines Fläschchen Desinfektionsmittel für das Smartphone nutzen oder für richtige Notfälle sparen?
Mir ist, als wäre das Coronavirus im Durchmesser zwei Meter gross statt 60 bis 140 Nanometer. Es wabert unsichtbar und unausgesprochen zwischen jedem sozialen Kontakt, den ich habe. Den wir alle haben. Aus Solidarität kapseln wir uns alle ab. Ist das nicht paradox? «Lasst uns jetzt zusammenstehen! – Aber bitte möglichst weit weg voneinander.»
Annina Reusser (25)
Lindas Coronafrisur
In unsere Pflegeinstitution haben wir die Weisung bekommen, keine Frisuren mehr zu tragen mit «fliegenden Haaren». Kein Pferdeschwanz, keine losen Hochsteckfrisuren. Weshalb jetzt alle Frauen mit langen Haaren die Coronafrisur trage.
Linda Hadorn (39)
Ein wertvolles Versprechen!
Eben habe ich mit verschiedenen älteren Mitgliedern im Alter von 65 bis 92 telefoniert. Etwas erschreckt hat mich, dass einige heute Morgen schon einkaufen waren. Mein Angebot für sie einzukaufen haben sie aber gerne angenommen. «Ich verspreche dir, ich gehe nicht mehr selbst einkaufen!», sagte mit eine langjährige ältere Kollegin zum Schluss des Telefonats.
Elias Rüegsegger (25)
Corona in der REHA
Ich bin seit neun Tagen in einer REHA in Montana. Anfangs gab es noch keine Massnahmen. Alle Therapien fanden statt, auch die in Gruppen. Wir assen alle zusammen im Restaurant, die Menschen aus fünf Etagen.
Seit drei Tagen essen wir in zwei Schichten: nicht mehr zu viert am Tisch, sondern zwei diagonal. Gruppen mit wenig Platz im Raum werden abgesagt. So zum Beispiel Gesprächsgruppen auf meinem Stock im Fernsehraum. In den medizinischen Trainingsraum wird nur eine kleinere Anzahl Menschen gleichzeitig reingelassen. Ich finde, alle MitarbeiterInnenn geben sich grosse Mühe die Massnahmen umzusetzen. Trotz Mehrarbeit bleiben alle stets freundlich. Mich ärgert es, wenn PatientInnen sagen «die spinnen, ils sont foux». Spaziergänge an der frischen Höhenluft tun gut und machen den Kopf frei.
Anita Bucher (56)
«Hänkersmahlzyt»
«Nid füredrücke, bitte, hinger aastah!» An diesem Samstag ist alles ein wenig anders im Selbstbedienungsrestaurant mit den drei grossen MMM. «Es dörffe uf ds Mal nume sövu Lüt yne, dass nie meh als 40 Persone dinne chöi ässe», gibt die freundliche junge Dame Auskunft. «Mir wärde sträng kontrolliert!» Das Tolle an der ganzen Sache ist, dass sich niemand aufregt, dass man sogar einen kleinen Schwatz abhält, bis man an der Reihe ist. Bei der Essensausgabe wird man zuvorkommend bedient. «Gits hütt en äxtra grossi Corona-Portion?», witzle ich.– «Ja», gibt der Koch, der offensichtlich den schwarzen Humor liebt, lachend Auskunft, «hütt gits d Hänkersmahlzyt.»
Andreas Steinmann (75)
Vollbremsung wirft uns
aus der Bahn
Gestern duckte ich mich vorbei an den wenigen Leuten auf der Strasse, da traf mich ein skeptisches Blinzeln und funkte:« Du, Grauhaarige, gehörst nach Hause.» Das traf mich, obwohl ich wusste, dass verfügt worden ist: «Wer betagt, gesund oder auf wackeligen Beinen unterwegs ist», sollte nichts riskieren. Und das alles nur wegen des geheimnisvollen Winzlings mit den roten Rosetten? Der «schöne Stern» bringt es fertig, dass die ganze Welt Kopf steht?
Inzwischen hat sich das Undenkbare ereignet, der gesellschaftliche Stillstand rund um die Welt ist da. Und jetzt? «Warten auf Godot», auf etwas, das kommt, heute, morgen oder in nächster Zeit. Auf das erlösende Medikament? Auch ich bin im Schwebezustand, warte gelassen und doch hellwach: «Corona, wehe du erwischst mich! Komm mir nicht zu nahe, verstehst du? Kill mich nicht!» Dann denke ich immer wieder, die Welt geht nicht unter. Es ist hart zu akzeptieren, dass ein heimtückischer, kleiner Virus unseren Alltag im Handumdrehen schachmatt setzen konnte. Keine schweren Waffen, keine Naturkatastrophen haben uns diese Situation gebracht. Werden wir endlich begreifen, dass die evolutionäre Natur ihre eigene Dynamik hat? Sie weckt uns aus unserer Selbstsicherheit. Es ist nicht das erste Mal. Dieser Herausforderung müssen wir uns wieder einmal stellen.
Es ist nun so. Wir sind alle miteinander ruhig gestellt. Ich fühle mich auch angebunden und dachte, ich wäre hungrig nach Zeit, um alles das zu tun, was mich sonst in Zeitnot so drückt. Wenn z. B. ein Termin mich antreibt, und ich zische: «Hätte ich nur noch einen Tag mehr!» Stattdessen sitze ich, lese Zeitung und trinke Kaffee und denke: Wie gut strukturiert Arbeit doch den Alltag. Es wird vorübergehen, allerdings, vor kurzem habe ich geglaubt, es gäbe nur Computerviren. Und nun DAS!
Telsche Keese (82)