Die Schülerin Jorina Scheidegger (16) besorgt die Einkäufe für Margrit Roth Stadler. Ihre Eltern sind zu Coronazeiten zu 100 Prozent beschäftigt. Deshalb ist Jorinas Mithilfe im Haushalt gefragter als sonst. Zudem ist sie ab 8 Uhr früh vor dem Computer anzutreffen, wo ihre Anwesenheit per Bestätigungsmail für jede Lektion kontrolliert wird. Viel Zeit hat sie also nicht übrig. Dennoch ist sie dem Aufruf gefolgt und geht einkaufen.
Grossartiges Hilfsangebot
Margrit Roth Stadler (73)
«Ich liebe dich, SPONTANEITÄT! – Einkaufstasche schnappen und auf zum kurzen lustvollen Ausflug in den Bio-Laden. Mich inspirieren lassen vom Angebot und einen kleinen Schwatz halten!» so trällerte ich bis anhin fröhlich vor mich hin. Dies änderte schlagartig mit dem 16. März. «Grauhaarige und Risikogruppen sollten nicht mehr selbst einkaufen gehen», verkündete das BAG. «Das darf doch nicht wahr sein!», das war mein ungläubiger Protestsong.
Darauf flimmerten Hilfsangebote der jungen «UND»’s über mein Handy. Das fand ich grossartig. Die Ernüchterung auf mein Dankeschön und den Applaus an die Jungen folgte auf dem Fuss: «Bitte nehmt die Hilfe auch an – nicht nur euphorisches Bedanken!» Das sass.
Kurz darauf kam der Anruf der 17-jährigen Jorina. Sie erkundigte sich liebenswürdig nach meinem Befinden und bot mir ihre Hilfe an. Ich war echt gefordert, nahm aber das Angebot erst mal fröhlich an und erstellte eine kurze Fleischbestellung. Den Ernst der Situation erkannte ich aber erst, als mir Jorina das Päckli von der Metzgerei überreichen wollte. Sie – die Zuverlässigkeit in Person – betonte, dass sie das Säckli bloss oben berührt habe – klaubte ein Sterilium-Fläschli hervor, netzte ihre Hände und stellte mir das Plastiksäckli auf den Boden vor der Haustüre. Alsdann macht sie einen Schritt zurück auf die Strasse.
Bewegungslos stand ich da – ich hatte mir die Übergabe des Bestellten ja noch gar nicht überlegt. «Pandemie – Risiko – in Richtung Pest und Cholera, ja nicht infizieren und infiziert werden!» Ich verlor kurz die Fassung – und mein Gehirn erarbeitete in Lichtgeschwindigkeit, wie ich Jorina das Geld übergeben könnte. Der Einfachheit halber legte ich ein Nötli auf den Boden, auf dass meine junge Helferin den Schein aufheben, ihn desinfizieren und sich wieder von mir entfernen konnte. Die nächsten Einkäufe ging ich dann etwas lockerer an. In der Zwischenzeit bin ich selbst Sterilium-Besitzerin geworden und habe mich an die neue Lebensform gewöhnt.
Wer weiss, vielleicht vermisse ich ab nächster Woche das persönliche Einkaufengehen gar nicht mehr so sehr – hingegen Jorina!
Auf jeden Fall will ich Dir sagen: «ES GROSSES MERCI VIUMAU, liebe Jorina, für Deine guten Dienste!
Auch Mara Ludwig (18) kauft für SeniorInnen ein, für fünf Parteien. Drei davon sind Mitglieder von UND Generationentandem. Mara hatte eigentlich vor, Theater zu spielen, unter anderem bei den Tellspielen. Nach den Absagen wollte sie die gewonnene Zeit sinnvoll einsetzen und einen Beitrag leisten. Ein- oder zweimal pro Woche ist sie unterwegs. Für diesen Zweck baute sie ihr Velo zu einem Einkaufsmobil um. Ihre Einkaufstour dauert rund fünf Stunden, von 10 Uhr bis 15 Uhr. Sie findet, Bewegung tue ihr gut.
Sprung über den Autonomie-Schatten
Gaby Jordi (69)
Am Tag, als der Bundesrat das Notrecht aussprach, veränderte sich unser Alltag in einem Bereich besonders krass: «Bleiben Sie zu Hause!» Die Risikogruppe wurde damit angehalten, bis auf Weiteres ihre Einkäufe auszulagern. Tatkräftige Einkaufsunterstützung zu finden war absolut kein Problem, unsere – ehrlich gesagt meine – Einkaufshoheit aus der Hand zu geben schon eher. Ich kam mir vor, als würde ich mich nackt ausziehen beim Preisgeben unserer wöchentlichen Einkaufsliste. Seit jenem Zeitpunkt ist eine aussenstehende Person in unsere Einkaufseigenheiten involviert: Sie schleppt ein-, manchmal auch zweimal pro Woche unsere Einkäufe vor unsere Haustüre. Sie denkt mit, wundert sich, staunt oder ärgert sich, wenn ein bestimmter Artikel nicht auf Anhieb gefunden werden kann. So meine Gedanken. Oder anders ausgedrückt: Ich möchte der mir Hilfe leistenden Person so wenig «Umstände» wie möglich verursachen, denn ich bin es gewohnt, für mich selber zu sorgen.
Alles halb so schlimm
Alles halb so schlimm. Mit Mara, Maturandin, mir bereits aus dem Generationentandem vertraut, bekommt unser Einkaufsdilemma ein Gesicht: Ab sofort hat Mara das Zepter über unsere Einkaufsliste übernommen. Diese ist in unseren Augen sehr ausgeklügelt und in der uns vertrauten Sortimentseinteilung geordnet. Wie erwähnt, möglichst wenig Umstände! Wenn unsere Liste trotzdem Unklarheiten provoziert: Mittels WhatsApp-Rückversicherung oder Telefon konnte bislang jedes Problem gelöst werden.
Kreative Einkaufsfee
Mara ist eine äusserst kreative Persönlichkeit. Dies zeigt sich auch im Umbau ihres Velos für Grosseinkäufe. Inzwischen sind – wenn ich richtig gezählt habe – vier Körbe (zwei seitlich, einer hinten, einer vorne) montiert, denn unsere Einkaufsfee betreut zwei oder drei weitere Adressen mit ihrer Dienstleistung.
Liebe Mara: Dein unkompliziertes Wesen, deine Offenheit, dein Humor – all das hat mir geholfen, über meinen Autonomie-Schatten zu hüpfen und zu lernen, dass mir kein Stein aus der Krone fällt, für eine längere Weile Hilfe anzunehmen.
Wir bedanken uns herzlich für deine Solidarität.
Eine neue Freundin: die Vorsicht!
Fritz Zurflüh (66)
Februar – die Zahlen der täglich Neuinfizierten stiegen exponentiell an. Wie das Virus breitete sich die Angst vor dem Virus aus. Vorsicht war geboten, Rückzug: «Bleiben Sie zu Hause!», war das Gebot der Stunde. Edith und ich nahmen das auch ernst und profitierten vom Angebot einer herzlichen Maturandin, für uns wöchentlich einzukaufen. Wir überlegten uns die täglichen Menüs und stellten zum ersten Mal im Leben akribisch einen Einkaufszettel für eine ganze Woche zusammen. Wenn wir etwas vergassen, fehlte es dann halt. Eine neue Erfahrung!
Seither sind Wochen ins Land gezogen. Wir finden uns in der neuen Situation besser zurecht und realisieren, dass diese wohl oder übel für eine kaum absehbare Zeit zu einer neuen Normalität wird! Und da stellt sich uns die Frage: Welche Selbstständigkeit holen wir uns zurück, ohne unverantwortbare Risiken einzugehen? Welche näheren Freunde integrieren wir wieder «auf eine neue Weise» in unser Leben, wo bleiben wir weiterhin virtuell im Kontakt? Wir beginnen unser Leben neu zu gestalten…
«Bleiben Sie zu Hause!», war das Gebot der Stunde
Fritz Zurflüh
Wir haben einen Biobauern gefunden, der Hauslieferungen macht. Was er uns nicht bringen kann, kaufen wir wieder selber ein. Als Erfahrung behalte ich vor allem die erlebte Hilfestellung und Solidarität der Jungen in Erinnerung – und wie schnell eine alltägliche Tätigkeit wie Einkaufen zu einer existenziellen Frage werden kann. Das macht bescheiden und dankbar!