Manuela: Du sag mal, Werner, was ist für dich das Wichtigste in einer guten Freundschaft?
Werner: Ich denke, in erster Linie ist es Offenheit. Dass wir uns so begegnen können, wie wir sind, und uns so als Person akzeptiert und geschätzt fühlen dürfen.
Manuela: Würdest du sagen, dass du in deinem Leben bisher viele solcher Freundschaften geführt hast, in denen das möglich war?
Werner: Nein, ich hatte nie viele Freundschaften. Leute, die ich mag und die mich mögen, gibt es viele. Aber echte Freunde hatte und habe ich wenige. Aber das ist mir ganz recht so.
Manuela: Ich finde das eine sehr schöne Antwort, weil ich mir kürzlich Gedanken darüber gemacht habe, wie schnell wir jemanden als Freund:in bezeichnen, den oder die wir noch gar nicht wirklich kennen. Jemanden zu mögen, ist da erst der Anfang, quasi der Grundstein. Danach braucht es Zeit und gegenseitiges Kennenlernen. Wie würdest du denn unterscheiden zwischen Leuten, die du magst und Freunden?
«Freundschaft ist ja auch etwas, das über die Zeit wächst.»
Werner Kaiser
Werner: Die Grenze zwischen Freunden und Leuten, die ich mag, ist nicht so scharf. Es gibt Schattierungen. Freundschaft ist ja auch etwas, das über die Zeit wächst. Man freut sich über das Gemeinsame. Und man lernt, die Andersartigkeit des andern zu akzeptieren und später sogar als Bereicherung zu schätzen.
Manuela: Ja. Für mich liegt der Unterschied wohl vor allem in der Tiefe der Verbindung. Leute, die ich mag, sind Menschen, mit denen ich mich gerne austausche und Zeit verbringe. Freunde hingegen sind Menschen, mit denen ich mich sicher fühle, die mich wirklich kennen und umgekehrt. Es braucht Zeit und gemeinsame Erlebnisse, um diese Tiefe zu entwickeln. Irgendwie fühlt es sich wie ein kleines schönes Wunder an, wenn es passt und sich beide Seiten diese Zeit nehmen und sich diese Tiefe entwickeln kann.
Werner: Tiefe ist ein schönes Wort für das, was in einer Freundschaft entstehen kann. Und daraus wächst auch Verlässlichkeit. Ich weiss dann, dass auch Differenzen die Beziehung nicht gleich gefährden. Ich werde nicht in Frage gestellt oder ausgelacht, wenn ich ungeschickt oder hilflos bin. Und wenn ich in Not bin, kann ich mich auf den Freund, die Freundin verlassen. Und das natürlich gegenseitig.
«Irgendwie fühlt es sich wie ein kleines schönes Wunder an, wenn es passt und sich beide Seiten diese Zeit nehmen und sich diese Tiefe entwickeln kann.»
Manuela Bamert
Manuela: Ja, Verlässlichkeit und auch Beständigkeit – nicht im Sinne von täglichem Kontakt, sondern im Gefühl und der offenen und wohlwollenden Haltung dem anderen und der Freundschaft gegenüber. Anhand des bisher Besprochenen, würdest du sagen, dass du dir selbst ein guter Freund bist?
Werner: Das ist nun die schwierigste Frage. Ich glaube, ich bin es mehr als auch schon. Und es darf ruhig weiterwachsen. Hier schliesst sich gleich eine andere Frage an: Braucht es bei der Selbstachtung nicht auch Selbstkritik? Und in der Freundschaft freundschaftliche Hinweise auf Fehlhaltungen?
Manuela: Doch, absolut. Wir sind ja alle zumindest teilweise betriebsblind für unsere Denk- und Verhaltensmuster und brauchen es einen uns wohlgesinnten Spiegel im Aussen, der uns auch mal darauf aufmerksam macht, wenn wir uns danebenbenehmen. Selbstreflexion im stillen Kämmerlein ist sonst – zumindest bei mir – manchmal nur ein Drehen um die eigene Achse.
Werner: Und wenn wir dann all das gelernt haben, in der Freundschaft und mit uns selbst, da dürfen wir uns doch gewaltig freuen!
Wunderbare Lektüre!