Manuela: Du sag mal, Werner, spürst du schon den Frühling?
Werner: Nur momentweise. Wenn, wie jetzt, die Sonne die Landschaft verklärt. Oder wenn ich an einem Garten voll blühender Frühlingsblumen vorbeigehe. Aber für das grosse Frühlingsgefühl müsste es noch etwas wärmer sein.
Manuela: Ich habe mich heute Morgen beim Spazieren sehr über die blühenden Krokusse gefreut und spüre eine Vorfreude auf den Frühling. Dabei habe ich mir Gedanken über die Jahreszeiten gemacht, deshalb meine Frage. Kannst du dein «grosses Frühlingsgefühl» beschreiben? Es würde mich interessieren, wie sich das für dich anfühlt.
Werner: Der Frühling ist für mich unter anderem stark verbunden mit einem Gefühl der Freiheit. Wir sind nicht mehr eingepanzert in Mäntel und andere Stoffhüllen. Wir können hinaus ohne grosse Vorbereitung. Und der Himmel draussen ist weit und gross, er lädt ein zum tiefen Atemholen.
«Der Frühling ist für mich stark verbunden mit einem Gefühl der Freiheit.»
Werner Kaiser
Manuela: Das klingt sehr schön. Besonders das Gefühl von Freiheit spricht mich gerade sehr an. Ich verbinde den Frühling vor allem mit einem Gefühl der Leichtigkeit und mit bunten Farben – und diese zeigen sich mir zuallererst in Frühlingsblumen. Gibt es etwas, worauf du dich im herannahenden Frühling besonders freust?
«Ich verbinde den Frühling mit einem Gefühl der Leichtigkeit.»
Manuela Bamert
Werner: Dass das Leben sich aus der Stube ins Freie verlagert, auf den Sitzplatz, an den See, an die Sonne. Da kommen dann auch die frischen Farben der Blumen zur Geltung.
Manuela: Ich freue mich sehr auf spontane Begegnungen. Ich habe das Gefühl, dass sich zusammen mit den Blütenknospen auch die Herzen der Menschen wieder mehr öffnen und alle etwas mehr Freude empfinden, was bestimmt auch mit dem Wetter zu tun hat.
Werner: Ja, im Frühling öffnen sich nicht nur die Mäntel, sondern auch die Herzen. Nicht umsonst gilt der Frühling als die Zeit der Liebe.
Manuela: Deine Hündin freut sich bestimmt auch schon sehr aufs Rumtollen auf warmen Blumenwiesen?
Werner: Ganz bestimmt. Sie liebt es gar nicht, wenn es kalt und regnerisch ist.
Manuela: Mein Kater Yoshi ist da Sofi sehr ähnlich. Das merke ich gerade daran, dass er viel öfter draussen ist als noch vor ein paar Wochen.
Werner: In meiner Kindheit war das Frühlingsgefühl stark mit dem Barfussgehen verbunden. Der Frühling begann deshalb erst im Mai. Denn barfuss gehen durfte man nur in den Monaten ohne «r» im Namen, und da ist Mai der erste im Jahr.
Manuela: Was für eine schöne Kindheitserinnerung! Das hat mir gerade ein Lächeln aufs Gesicht gezaubert. Und wie witzig, dass das mit dem «r» in den Monaten so perfekt dazu passt! Ich erinnere mich daran, dass meine Mutter immer aufpassen musste, dass ich als kleines Kind den Osterglocken im Garten nicht die Köpfe abzwacke, weil ich die immer so schön fand und sie ihr schenken wollte.
Werner: Jetzt im Alter hat der Frühling auch etwas Aufmüpfiges. Eigentlich entspricht ja dem Alter eher der Herbst. Doch da stellt sich der Frühling quer und lockt uns, es mutig nochmals zu wagen.
Manuela: Das passt ganz gut – Freiheit hat ja auch etwas Aufmüpfiges, finde ich. Und das Locken, «es» – was auch immer das für einen selbst sein mag – mutig nochmals zu versuchen, hat auch etwas Spielerisches: «Komm! Auf ein Neues!»