Darleen Pfister (17): Aus meinem scheinbar unrealistischen Traum wurde Realität: Vor einem Jahr spielte ich mit dem Gedanken, einen Aufenthalt in der Romandie zu machen, um mein Französisch aufzupolieren und eine neue Welt kennenzulernen. Der Samen keimte, und nach einigen bürokratischen Hürden fand ich ein Gymnasium und eine Gastfamilie im wunderschönen Neuchâtel, die mir einen 6-monatigen Sprachaufenthalt ermöglichen. Seit meiner Ankunft in meinem kleinen Paris vergeht die Zeit wie im Flug. Jetzt ist Halbzeit; ich habe schon viel Schönes erlebt und nicht nur etwas über die französische Sprache gelernt.
Heinz Gfeller (71): Mein «Fall» liegt anders als deiner. Ich habe diese Sprache im Kindergarten in Bruxelles gelernt – schlagartig, meinten meine Eltern immer. Die sogenannte Naturmethode. Ich bin eindeutig Deutschschweizer, lebte aber von 4- bis 7-jährig in Belgien. Zwei Jahre danach fing es in Bern nochmals an mit Französisch. Schliesslich studierte ich das auch, absolvierte dabei noch ein Semester in Montpellier. Dann war ich Seminarlehrer, vor allem für Franz., trimmte da die angehenden LehrerInnen darauf, die Sprache ihrerseits zu unterrichten. Jährlich verbrachte ich mit einer Klasse eine Woche im Welschland. Ein Lebensthema, wie du siehst.
Hier einige Fragen, die wir uns – und gern auch den LeserInnen – stellen:
Wie kommen wir mit der fremden Sprache zurecht? Wird sie uns mal vertraut?
Können wir auf einen Stand kommen, der dem der Einheimischen gleicht? Etwa französisch denken, träumen? Wie fühlen wir uns als Deutschsprachige unter Romands?
Nehmen sie Rücksicht auf unser Können?
Was für ein Bild haben wir von den Romands? Sind sie von uns sehr verschieden?
Sind Fremdsprachen-Aufenthalte zu empfehlen?
Darleen: Das Französische wurde mir viel vertrauter. Ich verstehe immer mehr, auch wenn das Umfeld schnell spricht. Besonders für eine Bernerin ist das Redetempo ungewohnt. Auch die vielen Abkürzungen kann ich jetzt häufiger entziffern. Mühe machen mir trotzdem immer wieder meine KlassenkameradInnen, weil sie sehr unklar sprechen. Ich freue mich allerdings darüber, dass ich viel weniger überlegen muss und mich auch traue, zu reden. Ich vertraue auf meinen Wortschatz; ich lerne ihn zu nutzen, mich auch mit meinen einfachen Wörtern mitzuteilen.
«Immerhin ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich auf französisch denke und mir im Alltag mögliche Diskussionen ausdenke.»
Darleen Pfister (17)
Trotz meinen Fortschritten kann ich mir nicht vorstellen, nach einem halben Jahr an das Level der Einheimischen heranzukommen. Zu viel Vokabular ist mir noch unbekannt und auch dafür, alle passenden Präpositionen und Verformen zu finden, fehlt mir wohl die Zeit. Immerhin ertappe ich mich manchmal dabei, wie ich auf französisch denke und mir im Alltag mögliche Diskussionen ausdenke. Und wenn ich mal Deutsch spreche, versuche ich, es auf Französisch zu übersetzen. Geträumt habe ich aber meines Wissens noch nie in dieser Sprache.
Ich wüsste gerne, wie schnell man mich als Berndeutsche entlarvt. Gefreut hat mich aber auf jeden Fall die Bemerkung, dass ich kaum Akzent habe. Da mein Niveau anscheinend nicht schlecht ist, wird mit mir in ihrem normalen Tempo gesprochen. Einerseits freut mich das, andererseits verstehe ich viel weniger, als mein Gegenüber annimmt. Besonders merke ich das in meiner Klasse, wo die KameradInnen nicht viel Rücksicht nehmen. Ich wünschte mir, sie würden klarer sprechen und mich mehr in Gespräche einbinden. Denn bis ich verstanden habe, worüber sie diskutieren, sind sie schon beim nächsten Thema.

Ehrlich gesagt waren die Romands für mich nie wirklich anders als wir Deutschsprechenden. Durch meinen Aufenthalt in Neuchâtel fielen mir allerdings einige Unterschiede auf und ich merkte, dass sie doch etwas anders ticken.
Ich beginne bei den Essgewohnheiten: Nicht wie wir geniessen die Welschen häufig ein ausgedehntes Apéro, und das Dessert kann eher ausbleiben. Abgesehen von Käse, von dem eine Auswahl während der Mahlzeit bei meiner Gastfamilie nie fehlen darf. In meiner Klasse wird gerne und häufig das «Pain au chocolat» genossen, welches ich in Thun gar nicht kenne.
«In Diskussionen mit meiner Gastmutter fiel uns auf, dass die Welschen die Sprache zum Kommunizieren und die Deutschsprachigen sie zum Ausdrücken brauchen.»
Darleen Pfister (17)
In Diskussionen mit meiner Gastmutter fiel uns auf, dass die Welschen die Sprache zum Kommunizieren und die Deutschsprachigen sie zum Ausdrücken brauchen. Darauf kamen wir, als sie erzählte, dass sie andere gerne unterbricht, wenn sie den Sinn schon verstanden hat. Wozu sollte sie noch bis zum Schluss zuhören, wenn sie weiss, um was es geht? Laut ihr ist das bei vielen Welschen so, doch trotzdem möchte ich das nicht verallgemeinern.
Die Schule und der Unterricht sind auch total unterschiedlich: Meine Klasse traut sich, so lange nachzufragen, bis alle es verstanden haben. In Thun will man sich nicht blossstellen und die meisten melden sich kaum. Hier entstehen jedoch genau deshalb spannende Diskussionen, die allerdings weder effizient sind noch etwas mit dem Unterrichtsthema zu tun haben. Die SchülerInnen sind jedenfalls neugierig, was mir sehr gefällt. Ungewohnt sind der häufige Frontalunterricht, die wenigen Tests und die viele Freizeit. Mir fehlen die Gruppenarbeiten und die Selbstständigkeit.
«Ich lerne nicht nur eine neue Sprache, sondern auch eine neue Stadt, Schule und einen neuen Haushalt kennen.»
Darleen Pfister (17)
Verstärkt wurde jedenfalls meine Vorstellung, dass sie schlechter Englisch können. Auch Deutsch fällt ihnen schwer und sie sind erstaunt über mein Niveau in ihrer Muttersprache. Auf jeden Fall empfehle ich Fremdsprachen-Aufenthalte und finde es schade, dass diese Möglichkeit so selten genutzt wird. In unserem viersprachigen und kleinen Land! Ich lerne nicht nur eine neue Sprache, sondern auch eine neue Stadt, Schule und einen neuen Haushalt kennen. Diese Erfahrungen helfen mir, zu entscheiden, was ich einmal beruflich und privat will.

Heinz: Als Gymer-Lehrer musste ich diese Sprache ja beherrschen. Doch was heisst das? Meine Muttersprache ist Schweizerdeutsch, die Vatersprache sogar Berndeutsch; in ihr denke ich, träume ich wohl auch – sofern da geredet wird? Und schreiben tue ich automatisch auf Hochdeutsch. Französisch kann ich das alles auch – ausser träumen –, aber mit Vorbehalten, Anlaufschwierigkeiten, versteckten Unsicherheiten. Ein Beispiel: Soll ich mal auf französisch telefonieren, spreche ich mir das Gespräch zuerst für mich vor. Franzosen rätseln, woher ich komme, aus Belgien vielleicht; denn es läuft mir, aber irgendetwas ist doch. Als gut Trainierter merke ich selber, wo ich anstosse, mal einen Fehler mache. Bücher kann ich (fast) alle lesen. Aber Gedichte begreife ich, scheint mir, nur auf deutsch.
«Kann er den SchülerInnen (auch, ein bisschen) Freude machen?»
Heinz Gfeller (71)
Fürs normale Leben sind so hohe Ansprüche allerdings Unsinn, ich weiss. Ich soll doch verstehen können, möglichst viel, und mitmachen, mich selber äussern. In der Fremdsprachen-Didaktik, die ich selber vertrat, stand zuoberst: keine Hemmungen, sich getrauen, Schwächen nicht beachten; wenn’s irgend geht: Freude haben an einer Sprache. Zu meinem eigenen Unterricht fragte ich mich regelmässig: Kann er den SchülerInnen (auch, ein bisschen) Freude machen? Französisch ist eine schöne Sprache, gestehen viele Lernende doch zu – auch wenn sie den Franz.-Unterricht verdammen.
«Wir lernen Fremdsprachen, gebrauchen wir sie doch!»
Heinz Gfeller (71)
Wenn ich zu Romands gehe, höre ich häufig (ähnlich wie du), dass sie sich mit Deutsch schwer tun – was ich begreife. Dem Cliché, dass Deutschschweizer sich sofort den Anderssprachigen anzupassen suchen und in deren Sprache wechseln, entspreche ich natürlich. Ich bewerte diese Eigenheit indes positiv: Wir lernen Fremdsprachen, gebrauchen wir sie doch! Es ist offensichtlich, dass du jemandem schnell näher kommst, wenn du dessen Sprache verwendest. Die Romands, finde ich, sind Schweizer wie wir; und die Franzosen Europäer wie wir (politisch? – na ja). Ich nehme meistens mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede wahr, im Positiven wie im Negativen. Und an beidem erkenne ich jeweils, dass es darum geht, Andere zu verstehen (nicht nur sprachlich), meinen Horizont aufzutun.