Wir stellen uns ein Stammtischgespräch in der Dorfbeiz oder ein «Kafikränzli» in einer Badi vor: Die nicht mehr ganz jungen Leute diskutieren über die heutige Jugend: «Ja, denen fehlt es einfach an Lebenserfahrung», «Die sind einfach verwöhnt und zu faul» oder «Die haben es viel zu gut, die müssen erst mal unten durch, so wie wir damals!» – solch dumme Sprüche hört man oft. Doch haben sie denn einen Bezug zur Realität?
Generationenwechsel bei den «Profis»
Meine Generation lernt seit etwa 15 Jahren damit umzugehen, dass gewohnte Bezugspersonen – Hausärzt:innen, Steuerberater:innen oder IT-Spezialist:innen – in den Ruhestand gehen. Also begibt man sich auf die Suche nach neuen Vertrauenspersonen. Erst kürzlich musste ich selbst eine Augenklinik aufsuchen, ein paar Monate später folgten ein chirurgischer Eingriff und eine Krebstherapie. Schon am Telefon, an der Rezeption oder am Empfang treffe ich auf junges, ja zum Teil sehr junges Personal. Sie begrüssen mich hilfsbereit, freundlich und meist sehr kompetent.
«Junge Menschen haben die Energie und den Mut, die Welt zu verändern. Unsere Aufgabe ist es, ihnen Raum und Vertrauen dafür zu geben.»
Simone Weil, Philosophin
In der Klinik stehe ich dann einer Fachperson gegenüber, die durchaus meine Tochter oder mein Sohn sein könnte. Möglicherweise mit fremdländischem Namen, begrüsst sie mich in leicht gebrochenem Dialekt und benutzt Wörter und Begriffe, die mir vollkommen fremd sind. Trotz modernster Hörgeräte verstehe ich manches nicht. Hand aufs Herz: Da regt sich schon mal leises Misstrauen.
Jetzt habe ich zwei Möglichkeiten. Ich folge dem Misstrauen und lande gedanklich schnell auf dem Niveau des obigen Stammtischgespräches. Oder ich öffne mich, gebe der jungen Person eine Chance, höre gut zu und begegne dem Gegenüber auf Augenhöhe, mit Anstand und Respekt. Manchmal hilft es schon, wenn ich sie bitte, etwas langsamer zu sprechen.

Darleen Pfister, die sich für das Generationenmiteinander stark macht, ist eine politisch und sportlich sehr engagierte junge Frau. Sie hat erst kürzlich dafür plädiert, dass die ältere Generation nur einfach besser zuhören sollte. Das ist absolut korrekt – aber nicht ganz so einfach.
Kaum vergleichbare Lebenswelten
Wir «Wirtschaftswunder-Oldies» sind in einer vollkommen anderen Zeit aufgewachsen. Das digitale Zeitalter machte gerade erst erste Gehversuche. Röhren- und der Transistoren Technologie waren «State of the Art», Fax Geräte die neuste Errungenschaft. Radios füllten halbe Bücherregale und nur wenige Familien konnten sich einen Röhrenfernseher leisten. Die SBB baute in Bern zwei neue Gebäude für eine Computeranlage, die weniger konnte als ein leistungsfähiger Bürocomputer von heute.
Wir starteten ins Berufsleben mit der Erwartung, dass wir die gewählte Tätigkeit bis zum Ruhestand ausüben werden. Dringendes klärte man am schwarzen Tisch- oder Wandtelefon, für wichtige und verbindliche Anliegen schrieben wir Briefe und warteten geduldig auf eine Antwort.
Als der Technologie-Schnellzug Ende der 80er Jahre Fahrt aufnahm, konnten wir nicht immer folgen. Mit der Erfindung des Internets wurde es noch anspruchsvoller. Es ist darum auch verständlich, dass es ältere Menschen gibt, die den Massstab für die heutige Generation mit dem ihrer eigenen Zeit vergleichen. Aber: Die Lebenswelten sind schlicht nicht vergleichbar.
Positives in schweren Zeiten
Meine guten Erfahrungen mit jungen Menschen im Berufsleben basieren zu einem grossen Teil auf Gegebenheiten, die ich in einer schwierigen, gesundheitlich anspruchsvollen Lebensphase erlebt habe. In der Augenklinik, im Spital und im «Jugendtrainingslager» der REHA-Klinik traf ich auf viele aufgestellte junge Menschen: freundlich, fachlich gut ausgebildet, hilfsbereit und clever im Umgang mit den modernen Hilfsmitteln.
Wenn ich gut zuhörte, freundlich und präzise mein Anliegen formulierte, wurde ich meistens mit viel Geduld und einem Lächeln beraten und betreut. Es sind dabei unzählige positive Gespräche entstanden und ich habe sehr viel gelernt dabei.

Solche Erfahrungen habe ich auch in ganz anderen Lebensbereichen erleben dürfen: Bei der Technikhilfe von UND Generationentandem, in einem kreativen Beizli an der Schiffländte, in der SAC Hütte, beim Augenoptiker oder an vielen anderen Orten. Ich bin überzeugt, dass mein offener, unvoreingenommener Zugang zu jungen Menschen dazu beigetragen hat, dass ich das eingangs erwähnte Gejammer und Gemotze nicht verstehen kann. Dankbar und demütig, in einem Land zu leben, in dem so viele junge Menschen engagiert an einer lebenswerten Zukunft arbeiten.