
Ein Hocker, eine Bank mit Decke drüber. Betonwände, gestrichen in gedeckten Farben. Eine senkrecht angebrachte gelbe Leuchtstoffröhre gibt der Szene so etwas wie einen Rahmen. Mittendrin ein Stuhl mit hoher Lehne, auf dem nacheinander acht Menschen zwischen 60 und 88 Jahren Platz nehmen und jungen Menschen aus ihrem Leben erzählen.
Wer jetzt schon die Augen rollt, liegt völlig falsch. Nichts da von «mein Sohn/meine Tochter nimm Platz…». So wie Lebensweisheiten früher eingeleitet wurden, meist vorgetragen in erinnerungsträchtigem Interieur, was uns gleich die Ohren auf Durchzug schalten liess.
Die wohltuend karge und dennoch gemütliche Szenerie lässt uns fokussiert bleiben und die acht älteren Menschen sind allesamt wirklich cool und haben etwas zu sagen, was Junge sich anhören sollten. Die fünfteilige Videoreihe LebensNICEheiten wurde speziell für ein junges Publikum geschaffen und nach der Idee von Josefine Bauer (34), freie Journalistin beim Mitteldeutschen Rundfunk mdr, produziert von der Kooperative Berlin im Auftrag mdr <next>.
LebensNICEheiten zu fünf Fragen
Die fünf grossen Fragen lauten: Was macht das Leben aufregend? Was machen Rollenbilder mit uns? Wie überwinde ich eine Krise? Welcher Job passt zu mir? Was macht die grosse Liebe aus? Dazwischen werden in den Kurzvideos laufend Folgefragen zum Thema eingeblendet.
Die Antworten sind unkonventionell, lustig, überraschend, frech und lassen Lebenslust, Übermut, und auch viel Zufriedenheit sowie Zuversicht spüren. Dies trotz der oft schwierigen Schicksale, die hin und wieder durchschimmern. Die fünf Videos, sind alle ungefähr eine kurze Viertelstunde lang und in der Mediathek der ARD nachzuschauen.

Die Menschen vor der Kamera
Da sitzt etwa ein zarter Grauhaariger in zünftiger Lederjacke und zotteligem Schal in Pink, der sich einst nach Kalkutta zu Mutter Teresa aufmachte. Ein edler Sechzigjähriger im roten Hemd zu schwarzen Haaren, der bei der Frage nach dem Aufregendsten im Leben von seiner Orgie berichtet. Oder die eher etwas konventioneller ausschauende Waltraut, die mit 88 Jahren von Hamburg aus zu einem Fussmarsch mit Ziel Bodensee aufbricht. Dass sie bei Hannover aufgeben musste, fand sie nicht schlimm: «Man muss das wegstecken.» Die konsequent in rostroten Tönen eingefangene Carlotta (77), die mit 40 erblindete und heute Sex als ihr schönstes Hobby nennt, denn da könne man weder stolpern noch hinfallen, denn: «Man liegt ja schon!»
Da traut man schon mal seinen eigenen Ohren nicht. Und wie es gefilmt, wie die Musik unterlegt ist… kurz, ich war begeistert und wollte mehr wissen: Wie es zur Reihe kam, wer diese Josefine Bauer ist, was sie angetrieben hat und wie es nun weiter geht. In der Mail an die Leipziger Journalistin, wollte ich vor allem wissen, wie denn nun Alt und Jung zusammen ins Gespräch kommen? In der ARD-Mediathek werden wohl weder genügend Junge noch Alte stöbern? Was ist zu tun? Die Antwort kommt ziemlich postwendend, inklusive Angebot zum Videocall.

Kampf um Reichweite in den Sozialen Medien
Josefine Bauer, freie Journalistin beim mdr, reichte ihre Formatidee für das Innovationsfeld Konstruktiver Journalismus am virtuellen Pitchday des mdr <next> 2020 unter dem Titel «Omas LebensNICEheiten» ein. Sie kündigte an, die Videostaffel in den Sozialen Medien zu veröffentlichen, um das junge Zielpublikum zu erreichen. Die Jury wählte ihren Beitrag für eine weitere Förderung aus, weil er einen erfrischenden Brückenschlag zwischen Alt und Jung darstelle und zeigte sich neugierig, auf welchem Weg die Videos die jungen Menschen erreichen werden.
Genau dies stellt sich als Knackpunkt heraus. Josefine Bauer erzählt, dass es ohne eine eigene Präsenz auf den Sozialen Medien schwierig sei, einen Dialog zu schaffen. Deswegen ist es das Ziel der Journalistin, für eine eventuelle weitere Staffel einen eigenen Kanal für LebensNICEheiten zu etablieren. Dafür sucht sie derzeit noch gemeinsam mit dem MDR geeignete Partner.
Die fertigen Videos sind jetzt exklusiv in der ARD-Mediathek abrufbar und wurden in einer Kurzform zusätzlich im MDR Nachmittagsprogramm gesendet und beworben. Ein sehr wichtiger Punkt sei es, dass die Videos in der Mediathek von der Zielgruppe aufgefunden werden. Dafür wurden passende PartnerInnen, zum Beispiel UND Generationentandem, angeschrieben.

Zukunftsthema Generationendialog
Schon immer habe sie sich für ältere Menschen interessiert, erzählt Josefine Bauer. So spreche sie mit ihrer Oma zwar auch, aber nicht ausschliesslich über Kuchenrezepte. Mit Oma habe sie gute Gespräche über Beziehung und Alltagsthemen. Sie stellt in ihrem Umfeld fest, dass junge Menschen wenig Kontakt mit älteren Menschen haben und wenn, dann selten für einen echten Austausch. «Haben die ihre Oma schon mal gefragt, wie sie es so hat oder hatte mit der Liebe?», fragt sich Josefine Bauer. Ihre Oma jedenfalls erzähle ihr schon mal was und das töne dann gar nicht so anders, als sie es hätte selbst erleben können.
So sei ihr die Idee zu LebensNICEheiten gekommen. Junge können Älteren zuhören und allenfalls von ihnen lernen. Oder wie sich ihre Protagonisten ans Publikum wenden: «Lass sie erzählen, nimm, was dir passt, du machst dein Ding sowieso!»
Der Generationendialog ist ein Zukunftsthema und ausserdem ein gutes Beispiel für Konstruktiven Journalismus: Alle Altersgruppen sind angesprochen und können gemeinsam etwas bewegen.
Quatschen mit Alten? Echt jetzt? werden die Jungen sich fragen. Ja, echt jetzt, zum Beispiel wie in LebensNICEheiten. Wobei: die Filme sind auch für die Alten ein gutes Beispiel für den Austausch, sei es intergenerationell oder untereinander.
Was ist Konstruktiver Journalismus?
Konstruktiver Journalismus will ein adäquates Bild der Realität zeichnen. Zusätzlich zu den Kernaufgaben des klassischen Journalismus (Faktenwissen rund um «was?, wer?, wann?, wo? warum?») befasst sich der konstruktive Journalismus mit der Folgefrage «wie weiter?».
Eine Aneinanderreihung negativer Nachrichten bestätigt den Konsumenten in seiner Hilflosigkeit und erzeugt Druck, der Empörung Ausdruck zu verleihen (Hasskommentare).
Die Ausrichtung auf positive Nachrichten wirkt unglaubwürdig und beschönigend. Konstruktive Berichterstattung kann die Gesellschaft nicht unmittelbar verändern, doch sie vermittelt den Medienkonsumenten ein positives Erlebnis und kann vertrauensbildend wirken.
Oh, so tolle Staffel! Danke, habt ihr mich darauf aufmerksam gemacht 🙂