Ich treffe die beiden Moderatorinnen des Erzählcafés, Elisabeth Jost (68) und Margrit Roth Stadler (76), bei Margrit zu Hause. Auch Barbara Tschopp, die bereits an vielen Erzählcafés teilgenommen hat, ist dabei. Das erste Café fand im April 2021 via Zoom statt. Die weiteren dann im UND-Raum.
Tabea Arnold: Was ist ein Erzählcafé?
Margrit: Im Erzählcafé wird über ein vorgegebenes Thema gesprochen und man kommt dabei auf die eigene Lebensgeschichte zurück. Alle TeilnehmerInnen sollen zu Wort kommen, ohne Monologe. Die Beiträge sollen weder kommentiert noch korrigiert werden.
«Das Ziel ist, Menschen aus verschiedenen Lebenssituationen zusammenzubringen, um sich auszutauschen.»
Elisabeth Jost
Elisabeth: Ohne therapeutischen Anspruch. Ein Teilen von Lebensgeschichten zu einem alltäglichen Thema.
Margrit: Das Erzählcafé hat eine feste Struktur: Eintauchen in die Vergangenheit – über die Gegenwart – zum Ausblick in die Zukunft.Zum Abschluss gibt es Kaffee oder Tee und die Gelegenheit, nachzufragen, oder das Thema zu vertiefen.
«Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell man aufgrund eines einfachen Themas so viel über die Lebensgeschichte von anderen erfährt.»
Margrit Roth Stadler
Lohnt sich ein Beusch im Erzählcafé?
Elisabeth: Weil du mit anderen Menschen in Kontakt kommst. Du hörst zu und wirst gehört. Du triffst vielleicht neue Leute oder lernst Menschen von einer anderen Seite kennen.
Margrit: Ich bin immer wieder freudig erstaunt, wie schnell man aufgrund eines einfachen Themas so viel über die Lebensgeschichten von anderen erfährt.
Einsamkeit ist aktuell ein grosses Thema. Kann hier das Erzählcafé einen Beitrag leisten?
Margrit: Ich denke ja, absolut. Es war grossartig, wie die Leute aus ihrem Schneckenhaus herauskamen.
Elisabeth: Ich möchte hier jedoch einwenden, dass das Erzählcafé nicht für einsame ältere Menschen gedacht ist, damit sie unter Leute kommen und von sich erzählen können. Das Ziel ist, Menschen aus verschiedenen Lebenssituationen zusammenzubringen, um sich auszutauschen. Das Erzählcafé lebt von den unterschiedlichen Erfahrungen der TeilnehmerInnen.
Barbara: Wir verbinden das Erlebte im Elternhaus, in der frühen Kindheit und Jugend mit einfachen Gegenständen. Wenn wir an diese bestimmten Gegenstände denken, werden die Erlebnisse aus der eigenen Vergangenheit wieder in Erinnerung gerufen und so entstehen plötzlich spannende Geschichten.
Elisabeth: Auch lustige! Oder Geschichten, die man so noch nicht gehört hat. Und viele schöne Anekdoten.
Barbara: Ja, es ist eine sehr gute Gelegenheit, an Geschichten zu kommen, an die man sonst nicht gekommen wäre. Beim gemeinsamen Spaziergang spricht man meistens nur über aktuelle Themen.
Momentan sind Erzählcafés allgegenwärtig. Hat das Erzählcafé eine Zukunft?
Margrit: Mir ist aufgefallen, dass gerade auch bei Projekten wie «Wohnen im Alter» Erzählcafés regelmässig angeboten werden.
Elisabeth: Sie sind Mode geworden. Es hängt stark von der Moderation ab, auf welche Art sie durchgeführt werden. Manchmal geht es um aktuelle Inhalte, oder eben um Lebensgeschichten. Verschiedene Schwerpunkte sind möglich. Mir ist es jedoch wichtig, nicht nur ältere Menschen anzusprechen, sondern offen für alle zu sein.
Ist euch ein Moment der letzten Erzählcafés besonders in Erinnerung geblieben?
Margrit: Ich sehe immer noch die Situationen oder Orte, die bei den Themen «Der Stuhl» – oder «Der Herd» – beschrieben wurden. Dort wo man sich einst wohl fühlte, oder sich an Schönes erinnert.
Elisabeth: Einzelne Geschichten erzählen wir hier nicht. Denn das ist eine eiserne Regel: Was im Erzählcafé gesagt wird, bleibt dort.
«Es soll Tiefgang haben, kein Getratsche sein.»
Margrit Roth Stadler
Margrit: Das Schöne daran ist, dass so auch ganz persönliche Dinge geteilt werden können. Man darf darauf vertrauen, dass darüber nicht irgendwo weitergeschwatzt wird; es soll Tiefgang haben, kein Getratsche sein.
Barbara: Durch diesen Tiefgang lernen wir uns besser kennen. Ganz automatisch entstehen Sympathien.