Politpodium zum Nachschauen und Nachhören
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Das grosse Publikum und Podiumsgäste am vierten Klimaforum von UND Generationentandem im Stadtratssaal des Thuner Rathauses sind bereits gut unterwegs: Sie konsumieren bewusst, sind massvoll mobil, ernähren sich vernünftig. Und doch… reicht das, um die Grenzen des Wachstums einzuhalten? Was können wir als Einzelne zusätzlich unternehmen? Können wir überhaupt etwas bewirken als Einzelne? Co-Moderator Fritz Zurflüh (69) übergibt das Wort dem Gastreferenten.
Input: Wachstumszwang
Prof. Dr. Mathias Binswanger (60), lehrt und forscht zu Volkswirtschaft, Umweltökonomie und Glück an der FHNW, lieferte als Einstimmung ins Thema die nötige Theorie zu unserem Wirtschaftssystem, wie er sie in seinem 2019 erschienenen Standardwerk Der Wachstumszwang dargelegt hat: Rein ökonomisch gesehen, brauche es kein Wachstum mehr. Auch werde der Mensch mit noch mehr Gütern nicht noch glücklicher. Aber Unternehmen bräuchten Wachstum zum Überleben. Fliesse das Geld nicht, gingen Unternehmen Konkurs und Arbeitsstellen verloren. Es folge ein Konsumschwund und damit die wirtschaftliche Abwärtsspirale.
«Wachstumszwang liegt nicht an den Menschen, auch nicht an der Gier der Kapitalisten. Es liegt eben am System.»
Mathias Binswanger (60)
Und weiter: Da wir nicht mit Sicherheit wissen, wo unsere planetaren Grenzen liegen, werde weiter gefeilscht, wo, wie viel und was möglich ist. Die Lösung liege im Entkoppeln von Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch. Doch «davon sind wir noch weit entfernt, global wird es weiter steigen», so Mathias Binswanger.
Weder die Podiumsgäste noch Lea Schütz (20) Moderatorin dieses Generationenforums, lassen sich von dieser trüben Ausgangslage einschüchtern. Gewandt stellen sich die Gäste den Fragen der geschickten Moderatorin.
Müssen alle suffizient leben?
Alle Podiumsgäste sind sich einig. Den eigenverantwortlichen Verzicht braucht es unbedingt, um der Klimakrise zu begegnen. Ueli Hagnauer (71), früher Hausarzt in Thun und im PZM und Mitglied der Klimagrosseltern, will seinen Grosskindern eine lebenswerte Erde hinterlassen und Mathias Binswanger doppelt nach: «Verzicht ist auch ein Weg zum Glück: Wieder einmal wirklich Hunger spüren auf ein feines Essen.»
«Wir brauchen einen Wandel, denn Wachstum ist weder für den Planeten noch für den Menschen gut.»
Magdalena Erni (19)
Magdalena Erni (19) Co-Präsidentin der Jungen Grünen Schweiz und Studentin der Volkswirtschaftslehre mahnt: Die planetaren Grenzen sind bereits um das 19fache überschritten, wir leben in einem um 2 Grad wärmeren Klima. «Wir brauchen einen Wandel, denn Wachstum ist weder für den Planeten noch für den Menschen gut» und verweist auf die Umweltverantwortungsinitiative der Jungen Grünen.
Finden wir das richtige Mass und wenn ja, wie?
Jeder einzelne kann mithelfen, da ist sich Ueli Hagnauer sicher: Nicht für jeden Rasen braucht es einen Benzinrasenmäher, nicht für jede Strecke ein Auto. Auch mit dem Velo und lokalem Einkaufen lässt sich gut leben. Natalie Jacot (31), Geschäftsleiterin und Inhaberin von OHNI Thun dem Unverpackt-Laden, setzt auf Verhaltensänderung: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier und wenn er etwas immer wieder macht, ist es kein Verzicht mehr, eher eine Veränderung. Solche Veränderungen lassen sich bloss langsam und in kleinen Schritten herbeiführen. Im OHNI beobachtet sie, dass treuen KundInnen ihre Gewohnheiten geändert haben und nun einen neuen Lebensstil pflegen.
«Verhaltensänderung, dann ist es nicht mehr Verzicht.»
Natalie Jacot (31)
Mathias Binswanger bleibt skeptisch: Nischen schaffen sei gut, doch die funktionierten nur im Kleinen und nur dank der traditionellen Wirtschaft, die investieren und wachsen muss. Und dann gibt es immer noch das Killerargument der einen: Wir würden ja korrekte Produkte kaufen, aber es gibt zu wenige. Und die Killerantwort der anderen: Wir würden ja korrekte Produkte herstellen, aber die Nachfrage ist zu klein.
Braucht es politische Massnahmen oder ein neues Wirtschaftssystem?
Ja, es braucht Politik. «Hey, ihr müsst die Ölheizungen in den nächsten 5 Jahren ersetzen!», das wäre laut Magdalena Erni mal eine starke Massnahme, denn es pressiert. Politische Massnahmen wie etwa auch eine Solarpflicht auf allen Dächern seien stärkste Hebel und wir als Stimmbürger könnten erst noch etwas dazu sagen. «Abstimmen!», ruft sie in den Saal und das Publikum klatscht.
Ueli Hagnauer, pensionierter Hausarzt, wundert sich, dass selbst ausgezeichnete ÖkonomInnen das aktuelle Wirtschaftssystem für klimaschädlich halten. Wie kann es sein, dass sie keine gescheite Idee für ein besseres System entwickeln? Wären börsenkotierte Unternehmen Medikament, so hätten die sehr starke Nebenwirkungen.
Mathias Binswanger stimmt zu und gibt den Ball an die Universitäten weiter, die mit den Publikationsanforderungen andere Anreize schaffen. Aber Potential sähe er in laufzeitbegrenzten Aktien, die unlimitierten Spekulationen vorbeugen könnten.
Passt Suffizienz in unsere Zeit?
Suffizienz, der künstliche Verzicht, passt nicht in unsere Zeit, die von Wachstum und Effizienz geprägt ist. Und auch die Idee, anstelle immer mehr vom Gleichen qualitativ Besseres herzustellen, verfängt nicht, denn sie widerspricht unserer Logik, wie dieses Beispiel zeigt: Auch langlebige Kleider müssen vor der Mode kapitulieren.
Ja, was denn nun?
Viele gute Ansätze, die zu Ende gedacht, nicht das gewünschte Resultat bringen. Das Publikum ist etwas ernüchtert. Macht Konsum denn glücklich? Mehr mache nicht glücklicher und in unserem gesättigten Land bleibe das Glück konstant, antwortet Glücksforscher Mathias Binswanger.
Magdalena Erni holt noch einmal aus: «Jede und jeder kann aktiv werden, sich politisch engagieren und/oder bei sich selbst beginnen Es darf nicht an finanziellen Verhältnissen scheitern.»
Natalie Jacot und Ueli Hagnauer sehen Veränderungen im Verhalten. Das sei beruhigend. Auch Mathias Binswanger sieht einen Wandel und freut sich über junge Menschen, die sich Sinnfragen stellen. Es gehe in die richtige Richtung.
Mehr machen aus unserem Wohlstand
Wir haben in unserem Land (noch) alles, was wir zum guten Leben brauchen. Damit geht uns zwar ein gemeinsames Ziel verloren, wir gewinnen jedoch eine Chance: Zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte muss man sich ernsthaft mit der Frage beschäftigen, worum es denn am Ende geht. Und das liege wohl auf der Hand, meint Mathias Binswanger: «Machen wir mehr aus unserem Wohlstand.»
Apéro riche von OHNI
Ein feines und wunderhübsch angerichtetes Apéro-Buffet, ausgerichtet von Natalie Jacot und dem Team vom OHNI Der Unverpacktladen Thun, rundete den gelungenen Abend ab.
Das Generationenforum – bereits zum vierten Mal im Zeichen der Klimakrise
Viermal im Jahr ist Generationenforum (zum Jahresprogramm). Seit 2019 gehören die Doppelveranstaltungen zu einem Thema zum Programm von UND Generationentandem. An zwei aufeinanderfolgenden Abenden laden wir zu Podium und Workshop. Das Generationenforum ist als Nachfolge des vormaligen Seniorenrates der Stadt Thun entstanden. Hinter den Kulissen bereitet eine generationendurchmischte Gruppe die Generationenforen thematisch vor und organisiert alles in freiwilligem Engagement.
Das Generationenforum behandelt seit 2019 pro Quartal jeweils wiederholend die Themenbereiche: Neue Arbeitswelt, Klimakrise, Teilhabe und psychische Gesundheit. Im Forum kurz nach Frühlingsbeginn geht es um die Klimakrise.
2019 riefen die Stadt Thun und viele andere Städte den Klimanotstand aus. Der Thuner Stapi, Engagierte des Klimastreiks und StadträtInnen diskutierten: «Klimanotstand – und dann?». 2021 fragten wir «Tut Thun genug für den Klimaschutz?», 2022 Wie kann es jetzt schnell gehen? und 2023 «Ist genug genügend?»