
Margrit Spori (35)
– Verheiratet, zwei schulpflichtige Kinder
– Gelernte Floristin, Teilzeitanstellung Detailhandel
– Lebt seit zehn Jahren in Heiligenschwendi
– Aufgewachsen in Adelboden
Margrit Spori, haben Sie viele generationenübergreifende Begegnungen?
Ich bin Mitglied im Turnverein Steffisburg, wo 30- bis 75-Jährige mitturnen. Vor allem die älteren Frauen sind für mich Vorbild. So fit möchte ich im Alter gerne sein. In Heiligenschwendi bin ich aktiv engagiert beim monatlichen «Fiire mit de Chline» – ein schöner Begegnungsort für alle Generationen, vom Kleinkind bis zu den Grosseltern. Neu gibt es dank einer privaten Initiative jetzt einen Frauentreff für alle Altersgruppen im Café Sonnegg sowie eine Turngruppe im Schulhaus für Alt und Jung. Natürlich habe ich auch bei der Arbeit in Hünibach täglich Kontakt mit KundInnen jeden Alters.
Was macht die Lebensqualität hier für Sie aus?
Ich schätze die Ruhe hier oben und meinen grossen Garten mit Blumen und viel Gemüse. Die Kinder können einfach gefahrlos hinausgehen und geniessen hier viel Freiheit. Gleichwohl sind wir schnell im Oberland, aber auch in Thun, Bern oder Zürich.

Welchen Beitrag leistet die Gemeinde dazu?
Die Gemeinde unterstützt Anlässe wie beispielsweise «Schwendi (be)lebt». Alle EinwohnerInnen, auch ehemalige, waren eingeladen. Dort trafen sich Alt und Jung. Der älteste Teilnehmer war 102-jährig. Die Vereine konnten sich präsentieren, es gab einen gemeinsamen Brunch und Zeit für Gespräche, Erinnerungen, Begegnung. So etwas sollte öfter stattfinden. Die Leute haben «getankt» und sich von nahe erlebt, sich nicht nur beim Vorbeifahren zugewinkt.
Die Gemeinde organisierte auch einen Tag, wo Freiwillige gemeinsam auf dem Gemeindegebiet Neophyten entfernt haben. Das gemeinsame Tun verbindet und stärkt die Zugehörigkeit zum Dorf.
«Gemeinsames Tun verbindet und stärkt die Zugehörigkeit zum Dorf».
Margrit Spori
Auch die öffentlichen Anlagen wie die Brätlistelle und der Eulenweg werden gut gepflegt.
Das Gemeindeblatt gefällt mir sehr – persönliche Berichte, Bilder über vergangene Ereignisse und Ankündigung von Anlässen. Hier wäre es wünschenswerte, dass auch neue Angebote (Frauentreff, Turngruppe) via Gemeinde publiziert werden.
Was könnte die Gemeinde unternehmen, um die Lebensqualität ihrer BewohnerInnen noch zu steigern?
Es wäre schön, die Gemeinde würde mehr Anlässe initiieren oder das Bestehende, auch private oder «neutrale» Angebote für alle sichtbar machen und auf verschiedenen Kanälen kommunizieren. Die Gemeinde sollte stärker auf die Bevölkerung zugehen und offen Anliegen von ganz unterschiedlichen Menschen aufnehmen.
Das Thema Busanbindung für Ältere und Schulkinder sollte unbedingt konstruktiv gelöst werden, so dass alle EinwohnerInnen denselben Zugang zum ÖV erhalten und nicht wegziehen müssen.
Wo und bei welchen Anlässen halten Sie sich in Ihrer Gemeinde besonders gerne auf?
Ich schätze die gut gepflegten Wanderwege und bin sehr oft zu Fuss oder mit dem Bike in der Natur unterwegs. Ein Lieblingsort ist die Blueme mit dem Aussichtsturm – hier bin ich sicher jede Woche einmal. Auch an Schulanlässen wie Examen und Theater oder an Anlässen des Schiessvereins bin ich gerne dabei.

Begegnen sich die Menschen genügend?
Als ich hierherzog, fragte ich mich: «Wo sind bloss all die Menschen?». Erst mit der Einschulung der Kinder ergaben sich Kontakte und Anregungen. Die meisten Mütter, deren Kinder noch klein sind, kennen hier oben niemanden. Also ganz jung oder ganz alt zu sein, ist hier oben ein Problem. In Heiligenschwendi ergeben sich Kontakte über Vereine und die Schule – wer sich nicht anschliesst, hat kaum Begegnungen. Der Frauenverein hat ein vielseitiges Programm wie Seniorezmorge oder Reisen, aber die Jungen wollen dort nicht mitmachen. Hier müsste wohl etwas ganz Neues entstehen. Ganz sicher drohen ältere Menschen, besonders wenn sie nicht mehr mobil sind, zu vereinsamen.
«Den jungen Familien und Berufstätigen und ganz sicher den Alten droht in Heiligenschwendi die Vereinsamung, wenn sie nicht aktiv am Vereinsleben teilnehmen».
Margrit Spori
In der weitläufigen Gemeinde fehlt ein Ort, wo wir uns auch spontan und zufällig treffen können. Schade, dass es keine «Dorfbeiz» mehr gibt.
Die zunehmende Digitalisierung führt zudem dazu, dass die ältere Generation viele Informationen nicht mehr erhält. Sie kommen mit den Social Medias nicht klar und verpassen Neuigkeiten, die Ankündigung von Anlässen, können sich nicht in Chat-Gruppen austauschen, wie wir Jüngeren dies hier tun.
Wie beurteilen Sie den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Grundsätzlich ist das Zusammenleben im Dorf gut, aber wir wohnen ja auch nicht dicht gedrängt – da gibt es automatisch weniger Konflikte. Wer Gemeinschaft möchte und bereit ist, etwas beizutragen, findet sie auch. Auf politischer Ebene wünsche ich mir eine grössere Parteienvielfalt und mehr Offenheit für neue Ideen und Andersdenkende. Nur eine vielfältige Gemeinschaft ist wirklich lebendig und kann sich entwickeln.
Was spielen Vereine für eine Rolle?
In unserem «verzettelten» Dorf sind die Vereine sehr wichtig. Hier findet Begegnung ganz natürlich und wie von selbst statt – wir lernen uns bei gemeinsamen Aktivitäten kennen und es entstehen langjährige Beziehungen. Die Alten können den Jungen etwas zeigen und das tut allen Generationen gut.
«Im Verein findet Begegnung ganz natürlich und wie von selbst statt – wir lernen uns bei gemeinsamen Aktivitäten kennen und es entstehen langjährige Beziehungen.»
Margrit Spori
Das funktioniert im Schützenverein, im Skiclub oder im Tourismusverein. Dort sind Alt und Jung wirklich auf Augenhöhe und respektvoll miteinder unterwegs. Ich glaube, die Generation, die zueinander schaut, sich kümmert, ist erst am Entstehen.

Wo vermuten Sie zwischen den Generationen Berührungsängste oder gar Konflikte?
Da wir einander eher selten begegnen, haben wir auch wenig Konflikte – das Miteinander fehlt sicher. Auf der dichter bebauten Halte gibt es eher Nachbarschaftskonlikte, es braucht mehr Rücksichtnahme. Die Jungen sind beruflich ausgelastet, arbeiten auswärts und die Alten leben oft isoliert. Die Eltern von Schulkindern sind wohl am stärksten verbunden. Ich beobachte, dass eigentlich jede Altersgruppe für sich lebt und spontane Begegnungen fehlen. Ohne eigenes Zutun treffen wir uns nicht einfach zufällig im Dorf.
Jede Generation hat ihre Kompetenzen. Werden diese genügend genutzt?
Wer seine Kompetenzen einbringen möchte, der kann sicher etwas beitragen, beispielsweise im Verein oder in der Politik. Aber ich erlebe oft, dass ältere Leute davor zurückschrecken, ihr Können anzubieten oder Jüngere um Unterstützung zu bitten. Jüngere helfen gern. Das hat sich in der Pandemie gezeigt. Ich würde zum Beispiel einkaufen und wäre auch für einen Schwatz zu haben. Fragen kostet ja nichts! Auch Ältere können den Jungen etwas anbieten, das erlebe ich im Schützenverein: Hier profitieren die Jungen von der grossen Erfahrung der Alten. Aber wenn wir unsere Kompetenzen und Angebote nicht mit-teilen, können wir sie auch nicht nutzen.
Können die BewohnerInnen ihre Anliegen und Ideen im Gemeindeverband ausreichend einbringen?
Ich persönlich weiss nicht, welchen „Briefkasten“ ich nutzen müsste, um meine Anliegen anzubringen. Für den Erhalt der alten Linde wurde eine Unterschriftensammlung lanciert – sie bleibt dem Dorf jetzt erhalten. An einem Anlass wie «Schwendi (be)lebt» könnte die Gemeinde die Bedürnisse der EinwohnerInnen abholen.
Wie beurteilen Sie die Infrastruktur in der Gemeinde?
Ich bin froh, können die Kinder bis zur 6. Klasse hier zur Schule gehen – das schafft viel Identität und Verbindung, auch dank der altersdurchmischten Klassen. Wir haben hier eine gute, engagierte Lehrerschaft. Schulanlässe wirken generationenverbindend und schaffen Kontakte.

Ein Riesenproblem für Alt und Jung ist die mangelhafte Anbindung an den ÖV. Während die Goldiwilseite mit zwei Buslinien gut bedient ist, fährt auf der anderen Dorfseite nur alle drei Stunden ein Bus. Also brauchen die Menschen ein bis zwei Autos, die OberstufenschülerInnen sind auf ein E-Bike angewiesen. Für Familien ist dies auch eine finanzielle Belastung. Ältere Menschen benötigen eine Mitfahrgelegenheit oder kommen gar nicht mehr aus dem Haus. Ich kenne Familien und SeniorInnen, die ihr ganzes Leben hier verbracht haben und die letztendlich schweren Herzens von hier wegziehen mussten.
Was ist Ihre kühnste Hoffnung an ein Generationenleitbild?
Wir alle kennen die vorhandenen Angebote und nutzen sie. Die ältere Generation nimmt ihre Eigenverantwortung wahr und bringt sich mit ihren Kompetenzen und Bedürfnissen aktiv in die Gemeinschaft ein. Die Spaltung der Generationen und politischen Parteien ist überbrückt. Wir leben miteinander und lassen uns leben, sind offen und neugierig auf verschiedene Ansichten und Ideen.
Generationenleitbild «zäme redä, zäme läbe» in Hilterfingen, Oberhofen und Heiligenschwendi
Viele Gemeinden haben Altersleitbilder. Diese sind oft in die Jahre gekommen und setzen sich mit den älteren Generationen auseinander. Solche Leitbilder definieren die Alterspolitik einer Gemeinde. Also bestimmte Massnahmen die älteren Menschen ein selbstbestimmtes Leben mit hoher Qualität ermöglichen. Viele Gemeinden denken nun neu und wollen Generationenleitbilder erarbeiten. Die Menschen aller Generationen sind im Blick.
UND Generationentandem begleitet zwischen Juni 2022 und Dezember 2023 den Gemeindeverband Hilterfingen, Oberhofen und Heiligenschwendi auf dem Weg zum Generationenleitbild. Im Fokus steht der Prozess und das Miteinander. Eine Spurgruppe mit offiziellen VertreterInnen aus allen drei Gemeinden und aus der Bevölkerung erarbeitet das offizielle Leitbild. Am Freitag, 31. März 2022 laden die drei Gemeinden zum Mitmach-Anlass «zäme redä, zäme läbe» ein.
Für das Generationenleitbild führt UND Generationentandem Interviews mit Menschen aus den drei Gemeinden. Alle Interviews und Beiträge zu «zäme redä, zäme läbe»: hier.
