Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit in Prozenten, dass es Leben ausserhalb der Erde gibt? «Ungefähr…», der ehemalige NASA-Forschungschef macht eine Kunstpause, «…100 Prozent.»
Eine knappe Antwort von Thomas Zurbuchen, die den über 600 Menschen im Schadausaal an diesem 22. Mai 2024 in Erinnerung bleiben wird. Natürlich, als Wissenschaftler könne er bloss sagen «wir wissen es noch nicht.» Für ihn als Mensch, für ihn persönlich spreche aber jede Wahrscheinlichkeit dafür, dass es da draussen irgendwo Leben gibt.
Die Frage nach ausserirdischem Leben beschäftigt: Im Vorfeld der Veranstaltung konnten Menschen aus der Region Fragen einreichen, viele davon drehten sich um ebendieses Thema. Bakterielles Leben zu finden und dies bereits in den nächsten Jahrzehnten, das erachtet Dr. Z., wie er in den USA genannt wird, für sehr gut möglich.
Cape Canaveral im Schadausaal
Es ist Mittwochabend, kurz nach 19 Uhr: Sphärische Musik im Hintergrund, Nebelschwaden ziehen über die Bühne und es wird dunkler. 10, 9, 8,… der Countdown, wie bei einem Raketenstart ab Cape Canaveral lässt die Stimmung steigen. Dann ist Licht auf der Bühne – es geht los.
Zuerst ist der Stapi dran: Bei einem gemeinsamen Besuch an den Thuner Seespielen sei die Idee für einen solchen Anlass entstanden, so Raphael Lanz. Und Anfang Jahr habe er sich bei UND Generationentandem für die Zusammenarbeit gemeldet. Die Gratis-Tickets waren innert Tagen weg – für die Stadt sei es wichtig gewesen, «etwas für alle Thuner:innen, für alle Generationen zu tun».
3 Fragen an 600
100 Fragen warten auf Thomas Zurbuchen – doch 3 Fragen beantwortet zuerst das Publikum, eben jene zu ausserirdischem Leben. Raphael Lanz schätzt, dass die Thunerinnen auf einer Skala von 0 (gar nicht wahrscheinlich) bis 10 (sehr wahrscheinlich) hier etwa 8 sagen würden. Auflösung: 7.7. «Er habe halt nicht gewusst, dass es da auch Kommastellen gibt…».
Eine Reise ins Weltall würde eine deutliche Mehrheit machen. Dazu bräuchte es am Bahnhof Thun ein besonderes Terminal, meint Moderator Elias Rüegsegger. Alternativ könne Raphael Lanz vielleicht auch den orangen VW-Bus, mit dem er bekanntlich gerne in die Ferien fährt, mitnehmen, ob es damit jedoch bis zum Mond reicht, sei dahingestellt.
Und dann, nach etwa 6 Minuten, ist es an der Zeit, den Astrophysiker, der hinter dem Vorhang wartet, auf die Bühne zu holen. Langer Applaus. Thomas Zurbuchen erinnert sich mit Raphael Lanz an die gemeinsame Gymnasiumszeit, im Gebäude neben dem Schadausaal. Aus ihrem Jahrgang ging einer zur NASA, einer wurde Stadtpräsident und ein dritter Bundersat.
Als Kind auf dem Dach
Als Kind sitzt Thomas Zurbuchen auf dem Dach seines Elternhauses und schaut in den Sternenhimmel und wünscht sich, diese Sterne einmal von einem anderen Ort aus zu sehen. Aufgewachsen ist Thomas Zurbuchen in einer strengreligiösen Familie in Heiligenschwendi. Der Schritt von Heiligenschwendi nach Thun war für den jungen Mann viel grösser als später der Schritt in die USA. Im Rückblick wäre er gerne schon früher ausgebrochen, so Thomas Zurbuchen. So hätte er vielleicht danach schon früher ein besseres Verhältnis zu seinem Vater, dem Prediger, entwickeln können. Heute spricht der Forscher anerkennend und mit grossem Respekt von seinem Vater. Generell fällt auf, dass Thomas Zurbuchen nie negativ über andere Menschen spricht – es passt zum optimistischen und gewinnenden Naturell des Berner Oberländers.
Nach dem Studium und Doktorat an der Universität Bern zog es Thomas Zurbuchen in die USA. Er wurde Doppelbürger und schliesslich Forschungschef der NASA. Ein Schleudersitz, auf dem er sich 6 Jahre, so lange wie niemand vor ihm, behauptete. Die Zeit bei der NASA, sein Wissen über das Universum und die Missionen im All interessieren das Publikum am meisten, so dreht sich auch ein Grossteil der 100 Fragen genau darum.
Ein zweiter Thomas Zurbuchen?
Nora, 32 Jahre alt, aus Einigen hat folgende Frage eingeschickt: Gibt es irgendwo in den Weiten des Weltalls, in der Unendlichkeit, einen zweiten Thomas Zurbuchen? Der Gefragte: «Die Wahrscheinlichkeiten, dass es mich, mit der gleichen DNA, der gleichen Zellstruktur ist unglaublich klein. Aber wenn das Universum im Vergleich praktisch unendlich ist, dann müsse er eigentlich Ja sagen.
Um diese Weiten zu erforschen und herauszufinden, wie das alles entstanden ist, startete Thomas Zurbuchen und sein Team die grösse Weltraummission in der Geschichte der NASA. Die Rede ist vom James-Webb-Teleskop. Nach 30-jähriger Entwicklung, grossen Verzögerungen und Kosten von etwa 10 Milliarden Dollar ging es 2021 endlich los. Und am 12. Juli 2022 präsentierte der US-Präsident Joe Biden das erste Bild von «James Webb».
Thomas Zurbuchen selbst hat dieses Bild und zuvor bereits Test- und Teaserbilder etwa einen Monat davor erstmals betrachtet, mit Tränen in den Augen, wie er an diesem Abend sagt. Neben den Sternen anderer Sonnensysteme sieht man ganze Galaxien, das Licht brauchte unendlich lange, bis es das Teleskop erreichte. Dank dem Teleskop kann die Forschung weit in die Vergangenheit zurückschauen.
Das Huhn mit dem Ei auf dem Mars
Am 18. Februar 2021 zerriss Thomas Zurbuchen ein Stück Papier vor den Kameras. Als NASA-Forschungschef bereitete er bei jedem Launch zwei Reden vor. «Eine, die danach alle vergessen können – und eine wirklich wichtige, wenn es schief geht», erzählt er. Und an diesem Tag habe er zum Glück die zweite Rede nicht gebraucht. «Perseverance» ist nach 1.5 Jahren erfolgreich auf dem Mars gelandet. «Durchhaltewillen» hat Zurbuchen als Namen aus Vorschlägen von Kindern für die Mission gewählt. Es wurde später das Wort des Jahres – passend zur damaligen Corona-Zeit – und es steht auch für den Charakter von Thomas Zurbuchen.
Der Mars Rover Perseverance, kurz Percy, hatte einen Mini-Helikopter dabei – «Ingenuity». Nach der Landung musste Percy den Helikopter auf den Mars legen: «Wie ein Huhn das Ei», so Zurbuchen. Mit der Mission soll das Gestein auf dem Mars untersucht, das Klima besser kennengelernt und die erste bemannte Marsmission vorbereitet werden.
Die 100 Antworten von Thomas Zurbuchen ziehen die Zuhörer:innen in ihren Bann: Egal, ob er von den unendlichen Weiten des Alls oder Leadership spricht. Linda Quinn und Sebastian Kämpf, beide mit Schwerpunkt Physik und Mathematik am Gymnasium, stellen Thomas Zurbuchen 9 Fragen. Schliesslich geht es noch darum, warum es in den beiden Schwerpunktklassen nur gerade mal vier Frauen hat. Thomas Zurbuchen erzählt, dass er bei der NASA erreichen konnte, dass in seinen Kadern 45 Prozent Frauen waren. In Thun fragt er die beiden Gymnasiast:innen: «Was kann ich tun, damit wir mehr Frauen begeistern können?» Eine einfache Antwort gibt es an diesem Abend nicht. Das Thema Diversität in Teams, das ist Thomas Zurbuchen jedoch wichtig.
Ein Gewinn für Thun
Divers war auch das Publikum. Von Jung bis Alt, aus der ganzen Region sind die Leute in den Schadausaal geströmt. Die Stadt Thun in Zusammenarbeit mit UND Generationentandem hat einen einmaligen und besonderen Austausch mit einer grossen Persönlichkeit geschaffen.
Auch für Thomas Zurbuchen selbst ist es ein besonderer Abend. Er bleibt nach dem gut 90 Minuten Gespräch und tauscht sich mit dem Publikum aus, bevor er nach Zürich reist, wo er im Moment «den weltbesten» Masterstudiengang in Weltraumforschung und -technologie entwickeln will.
Die 100. Frage drehte sich übrigens um ein Bild der Erde. In die Sterne zu schauen ist das eine – aus dem Weltraum zurück auf die Erde, das andere. «Die Erde ist alles, was wir haben, sie ist unglaublich wertvoll, sie ist unglaublich schön», so Thomas Zurbuchen an diesem Abend zur letzten Frage.
Wer ist UND Generationentandem
UND Generationentandem ist ein gemeinnütziger Verein aus Thun, der sich für ein stärkeres Miteinander der Generationen engagiert – dies gerade auch ausserhalb der Familien- und Berufswelt. 2012 ist der politisch und religiös unabhängige Verein aus der Maturaarbeit entstanden. Heute wirken über 150 Menschen aktiv mit.
Nicht ganz 100 Bilder zu 100 Fragen an Thomas Zurbuchen
Patrick Liechti und Daniel Roth haben den Abend fotografisch dokumentiert.