«Tombola, Tombola» ertönte es am Generationenfestival 2022. Hibbelig, stets munter und auch noch nach Stunden mit einem breiten Lachen im Gesicht, so flitzte Adrian (44) damals durch die Menschenmenge. Ein Energiebündel, ein Lebenskünstler oder eher Stehaufmännchen, Überlebenskünstler? Das möchte ich wissen
Ein friedliches Thun im Frühling. An einem ersten warmen Tag sitzen wir in der Sonne. Vor uns schön angerichtete Teller, auf denen gutes Essen kalt wird ob all der unerhörten Geschichten aus Adrians Leben.

«Das habe ich noch nie gemacht: gegessen und mein Leben erzählt», gesteht er fast etwas ungläubig. Ungläubig bin aber in erster Linie ich: Ich gehe mit Adrian auf die Reise zurück in seine Kindheit, in eine Welt, von der ich höchstens aus Büchern etwas weiss und dann auf Tour durch seine bisherige Arbeitswelt. Ich staune über glückliche Fügungen und Schicksalsschläge, empöre und freue mich mit ihm, stelle mir dauernd die Frage: Wo findet Adrian die Kraft, trotz grosser Hürden, den Glauben nicht zu verlieren, dass schliesslich doch noch eines Tages alles gut wird?
«Ich bin Zigeuner, habe Musik und gute Laune im Blut», lacht Adrian und weiter: «Ja, ich sage wirklich «Zigeuner», das Wort «Roma», brauchen wir nie, wenn wir unter uns sind».
Seine Familie lebt in Moldawien, in einer der strukturärmsten Gegenden Rumäniens, an der Grenze zur Republik Moldau. Seine Grosseltern verstanden sich auf Holzschnitzereien, die sie als Fahrende verkauften. Seine Eltern liessen sich in Iași nieder, in einer Gegend, wo viele Orte bis heute weder Strom noch fliessendes Wasser haben. Sie wohnen in einem strohgedeckten Lehmhaus mit kleinen Fensterkreuzen. Adrian zeigt auf das Fenster über unserem Tisch und seine Miene entgleitet ihm etwas. Vater und Adrian spielten auf der Strasse und an Festen auf, die Mutter bettelte. Die ganze Familie legte Geld zusammen, um der Schwester Ramona acht Schuljahre zu finanzieren. So lernte wenigstens eine Person im Haushalt Lesen und Schreiben.

Am Anfang war die Liebe
Wir lernten Adrian als fixen Allrounder im UND-Raum kennen, bald als Techniker und als Kameramann bei Anlässen. Er, der mit Romanes und Rumänisch aufgewachsen ist, spricht recht fliessend Deutsch. Wohl sucht er hin und wieder nach dem passenden Ausdruck, dennoch: lange Gespräche wie für dieses Porträt laufen mühelos. Adrian hantiert geschickt mit dem Handy, zeigt mir dies und das darauf. Wie geht das alles zusammen mit der Geschichte der Schwester Ramona, die als einzige der Stoians zur Schule durfte?
Da war eben die hübsche Corina, der er zu gerne ein süsses Briefchen geschrieben hätte. Er bat einen Freund um Hilfe. Doch der schrieb wohl nicht das Richtige… jedenfalls holte Corina zur Ohrfeige aus. Da packte Adrian der Ehrgeiz: In den ruhigen Sommermonaten seines jungen Erwachsenenalters büffelte er mit der Schwester das ABC. Er lernte schnell, war bald der Stolz der Familie und durfte mit etwa 20 Jahren ein Schweizer Forscherpaar durch sein Dorf führen. Die Schweizer überzeugte er durch Witz, Intelligenz und Lernwillen, so dass diese alle Hebel in Bewegung setzten, um Adrian weiterzuhelfen.

Blumenstein – Arosa – Schönbühl
2010 kam der erlösende Anruf dieses Paars aus Zürich: In Blumenstein suche ein Landwirt Hilfe auf seinem Hof, für Handy, Geld und Dokumente sei gesorgt. Es folgten zwei Tage und eine Nacht im Zug bis Zürich. Als Adrian kurz darauf am Bahnhof Thun den Bauern mit langem Bart und Gummistiefeln sah, erschrak Adrian erst einmal. Doch Adrian packte an, wurde bald unentbehrlich und schloss schnell innige Freundschaften mit seinen Arbeitgebern.
Eier, Rührei, Spiegelei, pochiertes Ei, Speck braten – alles!
Adrian Stoian (44), zwei Jahre lang Chefkoch
So kam bald eines zum anderen: Ein Hotel in Arosa suchte Reinigungspersonal. Adrian stand bereit und stellte sich so gut an, dass er bald zum Frühstückskoch avancierte. Adrian zählt auf: «Eier, Rührei, Spiegelei, pochiertes Ei, Speck braten – alles!» Nach einer Weiterbildung in Chur fing er als Koch in einer Aroser Pizzeria an. «Zwei Jahre Chefkoch!», Adrian strahlt. In der Zwischensaison half er bei einem Elektriker aus und da endete die Glückssträhne: Adrian fiel von einer Leiter und verletzte sich schwer am Arm. Von da an Schmerzen, erfolglose Behandlungen, Operationen – drei insgesamt – wieder quälende Behandlungen, Reha.
Adrian gab nicht auf. Er arbeitete bei der GEWA in Schönbühl, doch das ist auch zu viel für seinen Arm. Adrians Hoffnung, mit Chauffeurdiensten überleben zu können, erlosch: zu viele Erschütterungen und bloss einarmig lenken – auf Dauer unmöglich.
Langer Marsch durch die Instanzen
Abklärung reihte sich an Abklärung, Befragungen, Vorladungen, warten und immer wieder warten. Derweil fristet Adrian ein kümmerliches Dasein… und wartet.

Adrian will!
Adrian will arbeiten. Adrian will lernen. Adrian will in der Schweiz bleiben – denn hier ist seit 13 Jahren sein Zuhause. Dafür braucht er einen Arbeitsvertrag. Adrian will es mit allem versuchen – wenn man ihn bloss lässt!
Adrian hörte über Jiri Leva von UND. Und wieder will Adrian: Tombola-Lösli verkaufen, Flyer verteilen, Material verwalten, schliesslich den Umgang mit der Kamera lernen. Adrian nimmt seine Aufträge ernst – sehr ernst. Er will gut sein, weiterkommen und kann nicht verstehen, wenn jemand bei der Arbeit nachlässig ist.

Aufbruch in eine zweite Zukunft
Die Leute um uns herum brechen langsam in den Nachmittag auf. Was tut Adrian jetzt? Er nimmt seine Spaziergänge auf, zum einen, weil es seinem Arm guttut, zum anderen: Er kann nicht den ganzen Tag lang in seinem Kellerzimmer sitzen. Er hat gerne Leute um sich, er braucht Anregung. Auch deswegen ist er gerne im UND-Raum oder ab sofort im Offenen Höchhus. Übrigens: Adrian ist immer tipptopp angezogen. Auf seinen Spaziergängen stösst er auf Schnäppchen, die er kreativ aufpeppt. Der Tausendsassa, offen für alles, immer bereit im Rahmen seiner Kräfte anzupacken, mit grosser Zuversicht: Es geht weiter, gut weiter und eine Arbeit wird sich finden. Hoffentlich!
4 Fragen an Adrian
Wofür würdest du mitten in der Nacht aufstehen?
Wenn mir jemand einen Arbeitsvertrag anbietet!
Welche wichtige Person/Persönlichkeit möchtest du einmal treffen?
Adrian in einer guten Zukunft.
Wieso machst du bei UND mit?
Zusammensein mit netten Leuten, schöne Umgebung und Möglichkeiten zu lernen.
Was bringt dich auf die Palme?
Wenn jemand die ihm übertragene Arbeit nicht wertschätzt und nachlässig ist.