Donnerstagabend – eine halbe Stunde vor Mitternacht ging ich, nachdem ich wieder einmal Zeit gefunden hatte mit meiner Familie zu telefonieren, wie gewöhnlich müde zu Bett und schlief auf der Stelle ein. Erst am nächsten Morgen wachte ich wieder auf, als mein Wecker wie jeden Tag um 6:25 Uhr klingelte. Fast zur gleichen Zeit klopfte es an meine Tür und mein Gastbruder Sebastian rief mir etwas zu. Da es jedoch noch früh morgens war und ich todmüde im Bett lag, habe ich nur die Hälfte davon mitbekommen, was er gesagt hat. Laut dem was ich verstanden habe sagte er, dass er heute nicht zur Schule gehen werde.
Ella, du musst heute nicht zur Schule gehen, hast du das Erdbeben nicht gespürt?
Da er sich am vorherigen Tag nicht sonderlich gut fühlte, dachte ich er sei wohl krank geworden und werde deshalb nicht zur Schule gehen. Aber da dies mich nicht betraf stand ich auf, zog meine Kleidung an, putzte mir eilig die Zähne, warf einen kurzen Blick in den Spiegel, packte meine Schultasche und ging runter in die Küche. Normalerweise war zu dieser Zeit schon Licht in der Küche und die Hausfrau Joana bereitete das Morgenessen vor.
Doch dieses Mal war es noch rabenschwarz und in der Küche war weit und breit niemand zu sehen. Nachdem ich endlich mit Mühe den Lichtschalter fand, stand dann auch Joana in der Küche und sah mich verwundert an. «Ella, tù no tienes que ir a la escuela hoy, ¿no sentiste el temblor?» (Ella, du musst heute nicht zur Schule gehen, hast du das Erdbeben nicht gespürt?) Dies machte mich erst einmal sprachlos. Als ich dann auf meinem Handy die Nachrichten checkte, waren lauter Nachrichten zum Erdbeben der letzten Nacht in unserem Klassenchat von Mexiko.
Wie ich nun lesen konnte war es das stärkste Erdbeben in Mexiko der letzten hundert Jahre und hat sogar eine Tsunamiwarnung ausgelöst. Ich scheine wohl einen guten Schlaf zu haben oder die Architekten haben beim Haus der Ortegas eine gute Arbeit geleistet, jedenfalls habe ich vom ganzen Erdbeben glücklicherweise nichts mitgekriegt.
Doch dies ist nicht alles, momentan spielt das Wetter in Mexiko verrückt. Insgesamt hat es drei Hurrikane in der Nähe Mexikos und weitere Wirbelstürme im Land selbst gegeben. Dadurch wurde ungefähr die Hälfte meines Aufenthaltes, wenn nicht mehr, eine regnerische Angelegenheit und unterschied sich nicht wirklich wie erhofft von dem Wetter in der Schweiz zu dieser Jahreszeit. Jedoch sind Stürme, Gewitter und Erdbeben nicht die einzigen Naturereignisse die sich hier ereigneten. Bereits an meinem allerersten Schultag ereignete sich eine Sonnenfinsternis zu. Sie war allerdings nur schwer sichtbar.
Für die letzten zwei Wochen hoffe ich noch auf gutes Wetter. Die Aussichten sind aber schlecht, da weitere Stürme in Anmarsch sind, aber ich bin mir ja das kühle, regnerische Herbstwetter aus der Schweiz gewöhnt.
Zwei Wochen nach der Heimkehr
Die letzte Woche in Mexiko begannt mit einem riesen Fest, dem dìa de la indepencìa (Unabhängigkeitstag) von Mexiko, an. An der Schweizerschule wurde zwar kein verlängertes Wochenende gemacht, dafür wurde der Unterricht kurz vor elf unterbrochen. Daraufhin führten Erst- und Zweitklässler eine kleine Zeremonie vor, wobei sie die Kurzfassung des mexikanischen Unabhängigkeitskrieges gegen die Kolonialmacht Spanien aufzeigten. Das Ganze wurde natürlich mit dem berühmten grito (Schrei) abgeschlossen und dem allseits bekannten Viva México.
El grito (der Schrei):
Spanisch | Deutsch |
¡Mexicanos!
¡Vivan los héroes que nos dieron la patria y libertad! ¡Viva Hidalgo! ¡Viva Morelos! ¡Viva Josefa Ortíz de Dominguez! ¡Viva Allende! ¡Vivan Aldama y Matamoros! ¡Viva la Independencia Nacional! ¡Viva México! ¡Viva México! ¡Viva México! |
Mexikaner!
Es leben die Helden, die uns das Vaterland und die Freiheit gebracht haben! Es lebe Hidalgo! Es lebe Morelos! Es lebe Josefa Ortíz de Dominguez! Es lebe Allende! Es leben Aldama und Matamoros! Es lebe die nationale Unabhängigkeit! Es lebe Mexiko! Es lebe Mexiko! Es lebe Mexiko! |
Nach dem feierlichen Wochenende begannen auch schon die letzten Schultage. Am Dienstag in der Deutschlektion zitterte plötzlich der Boden. Anfänglich war es nur ein leichtes Vibrieren, welches zu einem Schütteln und Wanken anstieg. Ein weiteres Erdbeben. Als wir dies realisierten gingen alle aus dem Schulzimmer hinaus. Viel konnten wir nicht machen, da wir im dritten Stock waren und es unmöglich war die wankenden Treppen hinunter zu gehen.
Daher stellten wir uns unter den Türrahmen. Wir konnten nur warten, bis alles vorbei war. Dann versammelten wir uns alle auf dem Sportplatz. Weinende Gesichter, nervöse Anrufe, Fragen stellten sich: Ob es der Familie wohl gut ginge. Glücklicherweise wurde an unserer Schule niemand verletzt, doch aufgrund der Schäden bekamen wir für den restlichen Tag frei und wie sich dann herausstellte auch für die übrige Woche.
Somit verlief die letzte Schulwoche anders als erwartet und wir verbrachten die nächsten Tage damit, dem Roten Kreuz zu helfen Essen und Kleidungsstücke zu sortieren, Sandwiches zu streichen und mit der Schule Lebensmittel in den beschädigten Dörfern zu verteilen.
Auch wenn meine letzten Tage nicht ganz wie geplant und gedacht verliefen waren die Erfahrungen die ich sammeln konnte sehr wertvoll. Ich konnte mein Aufenthalt mit gutem Gefühl und noch besseren Erinnerungen abschliessen.