Lea Suter (37) reist als Friedensaktivistin in Kriegsgebiete und begleitet dort FriedensstifterInnen, die verfeindete Menschengruppen durch kulturelle Aktivitäten wieder zusammenführen. Sie widmet sich dem Aufbau einer nationalen und internationalen Friedenskultur
Cornelia Principi (60) widmet sich der Erforschung des menschlichen Bewusstseins und sieht in der tiefsitzenden menschlichen Konditionierung Ursachen für Gewalt sowie die Möglichkeit, diese zu transformieren
Cornelia: Du reist in Gebiete, die vom Krieg zerstört wurden, und sprichst mit Menschen, die vom Leben im Krieg gezeichnet sind. Das bezahlst du aus deiner eigenen Tasche und verbringst so deine Ferien unter schwierigsten Bedingungen. Wonach suchst du?
Lea: Das Bild von Krisengebieten wird über die Berichterstattung der Medien stark verzerrt. Es gibt beeindruckende Geschichten von Menschen, die die Gewalt überwinden. Von diesen Menschen könnten wir sehr viel lernen. Es sind Geschichten von Brückenbauern, denen es gelingt, die schmerzhaftesten Barrieren zu überwinden.
Cornelia: Der Krieg ist nahe. Viele Menschen fühlen sich hier zudem angesichts von Globalisierung, Klimawandel oder Corona ihres inneren Gleichgewichts beraubt. Verwirrung und Angst sind spürbar.
Frieden im Inneren und Äusseren finden
Lea: Friedensarbeit im Aussen hat etwas mit Friedensarbeit im Innen zu tun, ob einem das gefällt oder nicht. Was mich in Myanmar verwirrte, war, dass die FriedensaktivistInnen auf der einen Seite Frieden fördern und auf der anderen behaupten, für einen Frieden müsse man die Rohingyas vernichten. In Armenien musste ich mir anhören: «Wir wollen Frieden, deshalb müssen wir die Aserbaidschaner töten.» Im Irak: «Wir müssen die Frauen und Kinder der IS-Kämpfer vernichten, sonst gibt es keinen Frieden.» Diesem traurigen Phänomen begegne ich auch in der Schweiz.
Cornelia: Auf deiner Webseite www.peaceprints.ch und deinem Blog kann man mehr über solche Geschichten lesen. Du sagst, Frieden muss in alle Richtungen gelebt sein, sonst macht es keinen Sinn, von Frieden zu reden.
Lea: Dazu braucht es Bewusstseinsarbeit, damit du eigene blinde Flecken erkennst. Stets glauben wir, der/die Andere sei das Problem. Friedenskultur bedeutet, achtsam und wach zu sein, insbesondere sich selbst gegenüber. Unterstützen wir die Schaffung von Feindbildern, mit dem «Wir-gegen-sie-Denken»? Oder treffen wir uns auf Augenhöhe mit denen, die eine andere Sichtweise vertreten?
Cornelia: Was erachtest du als grösste Barriere zwischen zwei Parteien, die sich gegenseitig Gewalt angetan haben?
Lea: Der Selbsthass, den Menschen oft nach Gewalterfahrungen entwickeln, hindert die Betroffenen häufig daran, Frieden zu finden. Wenn wir schon die äusseren Umstände, Ungerechtigkeiten und Gewalt nicht verhindern können, könnten wir doch die Haltung uns selbst gegenüber ändern.
Cornelia: Lehnst du aus Einsicht ab, mit Gewalt zu antworten, kommst du bei der Frage an, wo denn nun die Verletzung herkam oder wie diese zu heilen wäre.
«Nach dieser Friedensfähigkeit zu streben in sich und mit anderen, stellt für mich eines der wichtigsten Lebensziele dar.»
Lea Suter
Lea: Im Gespräch mit Menschen, denen es gelingt, aus der Gewaltspirale auszubrechen, stelle ich oft fest, dass sie erkennen, dass der Schmerz und die Verletzungen beim Anderen die gleichen sind. Nach dieser Friedensfähigkeit zu streben in sich und mit anderen, stellt für mich eines der wichtigsten Lebensziele dar.
Cornelia: Das Unterbewusstsein eines Menschen stellt eine Rumpelkammer dar, in der alles landet, was vom Bewusstsein vermeintlich nicht verkraftet werden kann. Davor befinden sich die Barrieren, die wir errichtet haben, um uns vor Schmerz und Angst zu schützen. Diese stellen sich oft als sehr hartnäckig heraus und sind hervorragende Tarnungskünstler. Wir erkennen sie oft nicht als Barrieren, sondern als gerechtfertigte Ansichten.
Zurück zum Zusammenhalt, zum Verständnis füreinander
Cornelia: Was braucht es, um zurückzufinden zu Gesprächskultur und Zusammenhalt, zum Verständnis füreinander?
Lea: Es braucht Räume, in denen Dialog und Begegnung möglich sind, wo Gehässigkeiten heruntergefahren werden, ohne dass dabei Probleme und Differenzen unter dem Tisch landen.
Cornelia: Einen Dialog als Mediation zu führen, um Barrieren, Vorstellungen und Ansichten zu erkennen. Die Bilder über uns selbst und andere zu sehen, ist für mich Friedensarbeit.
Lea: Friedensarbeit kann sehr nervenzehrend sein. Die Widerstände sind immens und ebenso die Enttäuschungen und die Verzweiflung. Es braucht Menschen, die sich in Gemeinschaften zusammentun, um der Resignation zu widerstehen.
«Ich denke, wir können zum Frieden beitragen, wenn wir trotz aller Widerstände in uns gehen und den Schatten, der uns begleitet, betrachten und wie einen Freund annehmen.»
Cornelia Principi
Cornelia: Friedenskultur ist unter anderem ein Weg der Wahrnehmung der eigenen Barrieren im Innern. Und das ist sehr schwierig.
Lea: Manchmal frage ich mich, weshalb jene, die sich für Dialog und Annäherung einsetzen, oft öffentlich angegriffen werden. Mir erscheinen Menschen am glaubwürdigsten, die ihr politisches Engagement verbinden mit einem Engagement im Bereich der Selbstkenntnis, wie es uns zum Beispiel Thich Nhat Hanh vorlebte.
Cornelia: Oft werden Menschen, die mit einer ernstzunehmenden Mission für den Frieden an die Öffentlichkeit treten, entweder als HeldInnen gefeiert oder dann geächtet. Ich denke, wir können zum Frieden beitragen, wenn wir trotz aller Widerstände in uns gehen und den Schatten, der uns begleitet, betrachten und wie einen Freund annehmen. Lernen sich selbst und anderen zuzuhören.
Lea: Genau. Ich appelliere zudem für ein Nationales Kompetenzzentrum zur Konfliktlösung und Dialog, für ein Schulfach zum Erlernen und Üben gewaltfreier Methoden, für einen Friedensdienst als Alternative zum Militär- und Zivildienst und für Leitlinien für einen polarisierungshemmenden Journalismus.