Oswald Sigg (77), ehemaliger Vizekanzler und Bundesratssprecher der schweizerischen Eidgenossenschaft und Mitinitiant der Initiative «Leben in Würde – für ein finanzierbares bedingungsloses Grundeinkommen» eröffnet den Abend vom 11. November 2021 mit einem Input zum Thema.
Besonders wurden dabei die Unterschiede im Vergleich zur ersten, gescheiterten Initiative, hervorgehoben:
1. Es geht um ein Leben in Würde und zwar für alle. Für die, die zu wenig haben und sich rechtfertigen müssen, um Hilfe zu bekommen. Aber auch für jene, die viel zu viel haben. Eine Gesellschaft, in der die Schere immer grösser wird und die Reichen noch reicher, das sei ein unwürdiger Zustand.
2. Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) muss finanzierbar sein. Dazu wird eine Steuer auf Finanztransaktionen und höhere Besteuerung von Bank- und Techunternehmen vorgeschlagen. So werden die Kosten von allen getragen werden.
3. Oswald Sigg hebt hervor, dass es wichtig ist, einen Schritt zurück zu machen: Wir sind eine einzige Gesellschaft und Volkswirtschaft und damit gar nicht so anders als ein grosser Haushalt. In einem Haushalt hilft man sich gegenseitig aus, es geht nicht nur um Geld und den eigenen Nutzen. Dasselbe sollte auch für unsere Gesellschaft gelten: Alle sollten einander helfen.
Auf dem Podium
Nach dem Einstieg übernimmt Moderatorin Tabea Keller (22) das Wort. Gute, wichtige Fragen werden in den Raum gestellt: Wie soll das alles funktionieren? Werden Sozialversicherungen beibehalten oder ersetzt? Welche Probleme sollen gelöst werden? Und wie soll ein bedingungsloses Grundeinkommen unsere Konzeption von Arbeit verändern?
Ruth Schweikert (56) ist Schriftstellerin und Dozentin an der Hochschule der Künste in Bern und sieht ein bedingungsloses Grundeinkommen als wichtigen Schritt, um Arbeit in einem anderen Licht zu sehen. Arbeit soll nicht nur Existenzsicherung sein. Die Sozialhilfe, die wir jetzt haben, sei zu strikt. Leute, die sie beziehen wollen, müssen sich an Bedingungen halten und werden kontrolliert. Menschen fühlen sich dadurch abgewertet und nutzlos. Durch ein bedingungsloses Grundeinkommen ist es für jeden und jede möglich, auch einfach mal «anders» zu arbeiten und sich für Dinge zu engagieren, die keinen Ertrag abwerfen, ohne sich rechtfertigen zu müssen.
Elli von Planta (72) war Präsidentin der Arbeitnehmervertretung der UBS und der Sozialkonferenz in Basel und ist im Initiativkommittee der neuen Initiative. Sie sieht das bedingungslose Grundeinkommen als mutigen Schritt in die Zukunft: Menschen sollen nicht abliefern müssen und unter ständigem Druck der Zahlen stehen, um ihre Existenz zu sichern. Es brauche mehr Vertrauen und Respekt auf dem Arbeitsmarkt. Durch das bedingungslose Grundeinkommen soll das Menschenbild wieder weg vom «Homo Oeconomicus» kommen, denn Menschen seien nicht nur eigennützig und profitorientiert.
Silvan Groher (47) ist Mitgründer und Geschäftsführer von «Verein Grundeinkommen» und Mitinitiant des Projekts «Ting Community». Dadurch hat er schon konkrete Erfahrungen mit dem Konzept eines bedingungslosen Grundeinkommens gemacht und teilt diese mit. Er denkt, dass das Grundeinkommen ein Schritt in die richtige Richtung sei: in eine Zukunft weg vom ständigen Druck hin zu einer Gesellschaft, in der Menschen das tun, was sie wirklich gerne machen. Gleichzeitig sieht er die Einführung eines solchen Modells als grosse Herausforderung an, den Wechsel müsse man mit Bedacht durchführen.
Claudia Pfister (26) ist Geographie-Studentin an der Universität Bern und hat sich in ihrer Masterarbeit mit der Meinungsbildung zum bedingungslosen Grundeinkommen auseinandergesetzt. Sie hebt hervor, dass es wichtig ist, Menschen ausserhalb der eigenen Bubble abzuholen, damit ein bedingungsloses Grundeinkommen überhaupt möglich wird. Menschen seien unsicher und wollten keinen Schritt ins Ungewisse wagen, wenn es sich um einen so drastischen Wechsel handelt. Diese Menschen müssten abgeholt und die Konzepte gut erklärt werden. Bei der Frage, wer denn ein BGE erhalten sollte, berichtet Claudia Pfister von den Befürchtungen ihrer InterviewpartnerInnen, dass die Schweiz zu einem Honigtopf werden könne. Ist die Schweizer Gesellschaft genügend solidarisch dieses Projekt zu wagen?
Fazit
Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine Vision und soll ein Weg in eine Gesellschaft sein, in der Arbeit eine andere Rolle einnimmt. Es sollen Ängste und Druck aufgehoben und Menschen als Menschen gesehen werden. Diese Vision wird immer konkreter und soll wieder vors Volk kommen. Unklarheiten und kritische Stimmen müssen besser einbezogen beziehungsweise ernst genommen werden: Ist das bedingungslose Grundeinkommen wirklich die Lösung? Muss sich vielleicht nicht zuerst unser Menschenbild verändern, damit das bedingungslose Grundeinkommen funktionieren kann? Hinzu kommen alle Fragen rund um die Umsetzung: Wie soll das Projekt realisiert und aufrechterhalten werden?
Workshop
Was würde ich in meinem Leben ändern, bekäme ich ein BGE? Wie würde sich das Verhältnis zur Arbeit in der Gesellschaft ändern? Wie sollte das BGE ausgestaltet sein? Was passiert mit bestehenden Sozialwerken?
In angeregten Diskussionsrunden haben sich rund ein Dutzend Interessierte im Workshop vom 10. November 2021 über genau diese Fragen ausgetauscht. Eingeführt wurde die Gruppe von Oswald Sigg (77), welcher die Ziele der neuen Grundeinkommens-Initiative anhand persönlicher Anekdoten ausführte.
Ein Abend, der durch die verschiedenen Erfahrungen und Meinungen der Anwesenden bereichert wurde und die Herausforderungen und Chancen eines bedingungslosen Grundeinkommens sichtbar gemacht hat.