In einem gepflegten Hochdeutsch erzählt Barbara Tschopp Nowak über ihre ersten Jahre in der Schweiz. Die aus Polen stammende Doktorin der Geotechnik hatte drei Jahre an der ETH Zürich forschen können. Deutsch hatte sie schon in der Schule gelernt.
Als sie – vor 1989 – in der Schweiz ihr Studium fortsetzen sollte, hätte sie eine Sprachprüfung bestehen müssen, um das Visum zu bekommen. Sie sei aber so häufig mit der Botschaft in Kontakt gewesen, dass sie es ohne Prüfung erhalten habe. Bei der Ankunft in der Schweiz war Barbara so aufgeregt, dass sie die Person, die auf sie wartete, mit einem herzlichen «Auf Wiedersehen!» begrüsste.
Die Sprache war für sie nur am Anfang ihrer Schweizer Zeit eine Barriere. Sie musste sich jedoch sonst durchkämpfen: Für eine junge Ingenieurin in einem von Männern besetzten Arbeitsmarkt war es – vor mehr als 30 Jahren – nicht einfach, eine Stelle zu bekommen. Das nennt sie «die grösste Barriere: eine ihren Kompetenzen entsprechende Stelle zu finden».
Ihren Schweizer Ehemann hat sie in Polen kennengelernt; das Paar zog dann in die Schweiz. Der Gatte lernte selber Polnisch; die Familienmitglieder unterhalten sich noch heutzutage häufig in Barbaras Muttersprache. Ihr ist es wichtig, ihre Wurzeln nicht zu vergessen, die polnische Kultur in ihrem Leben zu halten. Darum hat sie diese gepflegt – obwohl sie zunächst keine Kontakte mit Landsleuten hier suchte, um sich zu integrieren.
Schweizerdeutsch war für Barbara zuerst überraschend und enttäuschend. Sie empfand es als unhöflich, wenn Eidgenossen in ihrer Anwesenheit im Dialekt verkehrten. Sie passte sich aber schnell an; sie habe «die Ohren gespitzt» und dadurch angefangen, diese andere Art Deutsch zu verstehen. Heute versteht sie Schweizerdeutsch gut, will auch nicht unbedingt, dass man mit ihr hochdeutsch redet. Sie erkennt Dialekte. Berndeutsch findet sie am schönsten; die Tonalität der Sprache sei sehr melodisch, es ist auch die am häufigsten benutzte Sprache ihrer Kinder. Hingegen Walliser-Deutsch kann Barbara nur etwa zur Hälfte «entziffern».
Ihr ist es wichtig, eine saubere, korrekte Sprache zu sprechen, sei es Polnisch oder Deutsch. Man sollte jedoch, meint sie, zumindest in den Anfangszeiten des Lernens nicht allzu hohe Ansprüche an sich selber haben. Das Wichtigste sei ja, die Sprache häufig zu sprechen, durch Übung lerne man am besten. Barbara denkt auf Deutsch und auf Polnisch, die zwei Sprachen vermischen sich häufig in ihren Gedanken. Sie merkt, wie sie manchmal im Polnischen die deutsche Satzstellung braucht.
Barbara hat sich in der Schweiz bestens integriert. Sie hat sich selbstständig gemacht – durch die Umstände, etwa den Mangel an Betreuungsplätzen für Kinder, gezwungen –, hat an Projekten zur Förderung Jugendlicher in technischen Berufen gearbeitet (KIDSinfo, Denke mit) und Organisationen mitgestaltet, wie die Schweizerische Vereinigung der Ingenieurinnen SVIN. Ausserdem ist sie eines der ersten Mitglieder von UND Generationentandem».
Isabel Blaser (61) erzählt in einem flüssigen und farbigen Dialekt – der muss wohl portugiesisches Berndeutsch heissen. 20 Jahre Portugal; dann die Ehe mit einem Berner – sie verständigten sich auf Französisch – und nun 41 Jahre Schweiz. Nie hätte sie gedacht, hier zu landen und daher die deutsche Sprache zu brauchen.
In der Schule hatte sie diese – nach Französisch und Englisch – zwar fakultativ belegt, aber zu kompliziert gefunden und abgesetzt. Isabel charakterisiert sie so: «Wörter ohne Ende», zusammengesetzte nämlich, dafür ein kleines Vokabular, etwas Fantasieloses, dazu eine schwierige Grammatik.
Nun lebte sie bei uns, auf dem Land, wo sie schnell merkte, dass sie sich das Berndeutsche aneignen musste. Sie würde ohnehin, betont sie, in jedem Land die entsprechende Sprache lernen wollen. Sie spricht auch Italienisch, Spanisch … Die Einheimischen waren allerdings nett – konnten alle Französisch und liessen sich auch darauf ein. So auch die Jungen, die heute viel eher mit Englisch umgingen. Ihren ersten Job hatte Isabel bei Tobler; mit der Schokolade schlug sie sich inmitten von erfahrenen Italienerinnen herum.
Hochdeutsch wurde zum Thema, als ihre Tochter es in der Schule lernte; mit ihr hatte sie portugiesisch geredet, solange die Familie zwischen den zwei Ländern pendelte. Zudem besuchte Isabel Kurse (oft mit Welschen), schaute fern. Heute gibt sie ihrem persönlichen Deutsch eine Note «drei oder darunter»; doch das belastet sie kaum. Will sie etwas schreiben, lässt sie sich’s bearbeiten. Die Grosskinder, die reden halt deutsch. Zeitung, Radio, Fernsehen nimmt sie sich weiterhin französisch vor.
Natürlich machte sie Fehler, gab es Missverständnisse, oft lustige: Im Laden wusste sie für Kichererbsen nur das französische «pois chiches»; bewahre, das – nämlich Haschisch – führte man nicht! Oder war man beleidigt, wenn sie «Mistbrot» (statt Mischbrot) verlangte?
Isabel hat bei uns keine Ablehnung erfahren. Allerdings findet sie, die Menschen seien damals – in diesem «armen Land», wie sie’s zunächst sah – toleranter gewesen. Leute wie sie wirkten wohl noch exotisch; heute, da mehr Fremde da seien, herrsche eher Misstrauen. Das Pensionsalter naht, und Isabel kann sich überlegen, ob sie nach Portugal zurückkehren möchte. Das wäre günstig, um mit ihren beschränkten Reserven durchzukommen. Ein Elternhaus hätte sie dort – aber, nach 41 Jahren, keine FreundInnen mehr.
Was reden Sie für einen Dialekt? wird Lavinia Duda (33) ab und zu gefragt – ist es etwa Bündner-Deutsch? Ist es nicht; es ist ihre persönliche Mischung, die allerdings von ihrer Muttersprache Rumänisch beeinflusst sein mag. Lavinia, Assistenzärztin in der Psychiatrie, hat ihre ersten 26 Jahre, mit der vollständigen medizinischen Ausbildung, in Constanza am Schwarzen Meer durchlebt. Schon mit acht Jahren erhielt sie Englisch-, danach Französisch-Unterricht; mit 19 etwas Deutsch. Als sie sich klar wurde, dass sie nach Deutschland gehen möchte, stieg sie später ernsthaft in Kurse, auch intensive, ein. Es folgte ein Jahr in Deutschland, wo sie als Au-pair, aber auch auf ihrem Beruf arbeitete – und weitere Kurse belegte.
Dann die Schweiz. Ihre beruflichen Kompetenzen wurden anerkannt; fürs Sprachliche sorgte sie weiterhin selber. Kommunikation ist in der Psychiatrie ja entscheidend wichtig. Der Beginn erwies sich als schwierig. Sie hörte die KollegInnen beim Kaffee Schweizerdeutsch reden; da wollte sie zunächst nicht stören. Die PatientInnen wiederum, zumeist ebenfalls auf Dialekt eingestellt, bemühten sich jedoch, trotz Hemmungen, mit ihr hochdeutsch zu verkehren. Noch heute verwendet Lavinia hier die Hochsprache. Die Leute nahmen es ihr nicht übel; selten hörte sie mal: «Können Sie mich verstehen?» – herablassend, aber meist von Menschen, die in einer Krise steckten.
Am Berndeutsch hat Lavinia gearbeitet. Offen sein, nachfragen, üben! Aus Lehrbüchern, die’s ja auch für Dialekt gibt, habe sie wenig gelernt; aber viel, zum Beispiel, durch Hören, Polo Hofer … und durch Reden. Berndeutsch hat Vorteile: Es enthält zahlreiche französische Ausdrücke, die dem Rumänischen nahe stehen. Ansonsten bestehen grosse Unterschiede zwischen den beiden Sprachen. Deutsch hat eine schwierige Grammatik, fremde Satzstellungen etwa; und die Geschlechter können verwirren: Berühmt etwa, dass die Sonne in romanischen Sprachen männlich, der Mond aber weiblich ist.
Lavinia meint, sie habe Fortschritte vor allem dadurch erzielt, dass sie viel spricht und liest, auch anspruchsvolle Literatur. Hochdeutsche Texte verstehe sie durchwegs; Schreiben gehe besser als Reden. Im Berufsalltag hat sie viel zu schreiben; das Spitalsekretariat schaut sich’s an, doch das meiste stimmt. Beim Reden – ja, wenn sie müde ist, geht es ein wenig harziger.
Lavinia ist offensichtlich in der Schweiz und bei den Schweizern angekommen – auch mit ihrer Heirat. Ihre besondere Rolle – die der Ärztin – wird es erleichtert haben; doch Fremdenfeindlichkeit habe sie nie erlebt. Ihr Rumänisch, in dem sie mit ihren Angehörigen im Herkunftsland kommuniziert, laufe noch gut; aber manchmal fehle ihr doch ein Wort.
Auch unsere bisherige Redaktionsleiterin Iva Carapovic (23) habe ich angefragt. Sie spricht ein natürliches Berndeutsch, hat auch Deutsch studiert; aber sie verrät, dass sie in ihren ersten vier Jahren nur Kroatisch konnte, wie es zuhause – allerdings im Bernbiet – geredet wurde. Schweizerdeutsch hat sie also im Kindergarten gelernt; das muss problemlos verlaufen sein, sie hat daran keine Erinnerung. Heute erachtet sie Berndeutsch als ihre Hauptsprache.
Wenn ich diese Gespräche überblicke, ergibt sich: Es kommen gebildete, selbstständige Frauen zu Wort, die ihren Platz hier gefunden haben. Positive Geschichten! Keine Frage, dass es auch andere gibt.