Gut gelaunt treten wir ein. Melina und Mariëlle kennen sich schon aus, sie tragen selber Tattoos. Ich als Vertreter der alten Generation bin gespannt auf das, was uns da erwartet. Joelle (21) empfängt uns herzlich und bietet uns Platz an. Im Hintergrund wird gerade jemand tätowiert. Ein grosser Buddha grüsst aus einer Ecke. Die junge Piercerin Joelle arbeitet hier mit ihrem Vorgesetzten. Joelle empfängt Gäste, führt sie ein in das, was sie erwartet, berät, macht aufmerksam auf alles, was für eine Behandlung wichtig ist. Dani, der Inhaber des Geschäfts, tätowiert. Oft tätowieren auch Gäste aus dem Ausland in diesen Räumen.
Joelle, wie bist du zu dieser Arbeit gekommen?
Ich interessiere mich seit meiner Kindheit für Tattoos. Ich verfolgte es nicht konsequent als Berufsabsicht, doch mein Interesse blieb immer. Es gibt in diesem Bereich keine anerkannten Ausbildungen, man lernt es bei jemandem, der es schon kann. Ich bin glücklich, hier eine Anstellung gefunden zu haben.
Gibt es Tattoos, die ihr hier grundsätzlich nicht stecht?
Ja, rassistische oder andere fragwürdige politische Sachen lehnen wir ab. Natürlich gibt es Grauzonen, Ungesundes, Unschönes. Ich berate die Kundinnen und Kunden, mache darauf aufmerksam, was später ungünstig aussehen könnte, doch die Entscheidung liegt schlussendlich bei ihnen. Meist kommen sie schon mit ihren Wünschen ins Geschäft. Wenn nicht, können sie hier auch Anregungen bekommen.
Gibt es Tattoos, von denen du klar abrätst?
Ja, wenn ein gewünschtes Tattoo nicht an die betreffende Körperstelle passt. Oder wenn Schriftzüge so platziert werden sollen, dass sie gar nicht lesbar sind. Manche Wünsche sind überhaupt nicht erfüllbar, oder die gewünschten Tattoos sind auf die Dauer nicht haltbar. Meistens sind die Kundinnen und Kunden dankbar für solche Hinweise.
Warum lassen sich die Leute überhaupt tätowieren? Es kostet doch, es schmerzt, es bringt Risiken mit sich. Ist es einfach ein Modegag?
Es gibt sicherlich Modegags, und viele wollen ein Tattoo, weil es populär ist. Für andere ist es ein Andenken an Verstorbene oder eine Verbindung mit den Familienangehörigen. Es gibt auch Tattoos, welche die Zugehörigkeit zu einer Gruppe markieren sollen, zu Schulklassen, zu Freunden. Die meisten finden es jedoch einfach schön. Einige Kunden lassen sich den ganzen Arm tätowieren. Man nennt das einen «Sleeve». Meist fängt es klein an, man fügt dann etwas dazu, bis der Arm voll ist.
Wie geht man um mit dem Risiko, dass die Haut sich im Lauf der Jahre verändert und das Motiv verzerrt?
Klar, die Haut verändert sich, kein Tattoo wird in 20 Jahren noch gleich aussehen. Aber die Haut ändert sich mit dem Älterwerden auch ohne Tattoo, das gehört zur Entwicklung. Übrigens kann man das Tattoo auch nach vielen Jahren noch nachstechen, die Linien nachziehen.
Bringt man die Tattoos auch wieder weg, wenn sie einem nicht mehr gefallen?
Ja, mit Laserbehandlungen. Es bleiben kleine Narben sichtbar. Wenn ein neues Tattoo darüber gestochen wird, ist das unsichtbar, sonst bleibt ein unscheinbares Andenken.
Gibt es Fälle, in denen das Tätowieren aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt werden muss?
Ja, und das klären wir individuell von Fall zu Fall. Heikel ist es bei ansteckenden Krankheiten. Eine HIV-Infektion ist aber kein Grund zur Ablehnung, das wäre diskriminierend. Wir arbeiten dann einfach vorsichtig, um uns zu schützen. Auch für den eigenen Gesundheitszustand sind, abgesehen von extremen Situationen, letztlich die KundInnen selber verantwortlich.
In welcher Preislage liegen Tätowierungen?
Der Einstiegspreis beträgt 200 Franken. Er wird vorausbezahlt und gilt, selbst wenn die Tätowierung abgebrochen wird. Das deckt die Kosten und verhindert leichtfertige Entscheidungen. Bei grösseren Projekten gilt ein Stundenansatz von 200 Franken. Oft gibt es dann Misch- rechnungen zwischen Sachaufwand und Zeit.
Kommen genügend Kundinnen und Kunden?
Ja, die Mund-zu-Mund-Werbung funktioniert. Männer und Frauen kommen etwa gleich oft, und alle Altersgruppen sind vertreten. Der Älteste, der sich hier tätowieren liess, war 84. Eine Altersgrenze gibt es nach unten. Ohne Zustimmung der Eltern ist 16 das Mindestalter. Die Haut verändert sich in diesem Alter noch sehr stark, und das Kind könnte die Tätowierung später bereuen. ☐
Für weitere Informationen:
www.hellfire.ch
Kleine Tattoo-Geschichte
Lange galt die 5300 Jahre alte Gletschermumie Ötzi als ältester Fund eines Menschen mit Tattoo. Inzwischen wurden in Ägypten noch ältere gefunden. Tattoos finden sich in vielen Kulturen. Auch in frühchristlichen Kreisen waren sie zur persönlichen Kennzeichnung üblich.
1765 berichtete der britische Kapitän James Cook von seiner ersten Reise nach Polynesien und beschrieb Menschen, die ihre Körper mit Farbe bemalten. Er führte das Wort «Tattoo» in die englische Sprache ein und machte das Tätowieren in vielen Teilen Europas bekannt.
In früheren Kulturen waren Tattoos vor allem Zeichen der Gruppenzugehörigkeit oder Darstellungen religiöser Symbole. Bei Häftlingen, in Konzentrationslagern, bei Zwangsprostitution dienten Tattoos, um Personen als Besitz zu markieren. Christen in muslimischen Gebieten grenzten sich durch ein Tattoo von Muslimen ab.
Heute sind Tattoos überall verbreitet und dienen sehr oft der Selbstdarstellung. «Der Körper ist die Kathedrale des 21. Jahrhunderts. Der Körper ist Ausdrucksmittel und Präsentationsfläche – und er ist einzigartig» (Christopher Paul Campbell). Als Erster liess Samuel O`Reilly im Jahre 1891 eine Tätowiermaschine, eine «Tattoo-Gun», patentieren.
Seit 1980 verbreiten sich Tattoos zunehmend. In Deutschland ist jede fünfte Person tätowiert, in den USA fast jede zweite. Als Zeichen der Mitgliedschaft dienten sie bei Gangs und Subkulturen wie Hell’s Angels, Ku Klux Klan oder Skin Heads. Doch für die meisten Tattoo-TrägerInnen ist Tattoo eine Art Accessoire, ein Schmuckstück am eigenen Körper.