Robin: Wieso können einige RednerInnen das Publikum in ihren Bann ziehen und andere ihr Publikum dazu bewegen, ein Nickerchen zu machen? Die Antwort auf diese Frage ist nicht immer nur der Inhalt der Rede. Viel hängt von der Rhetorik ab – von der Kunst des Redenhaltens. Was macht die Rhetorik heute mindestens so aktuell – wie schon vor über 2000 Jahren, als die Theorie der Rhetorik von Aristoteles niedergeschrieben wurde?
Um diese Frage zu beantworten, müssen wir nur aus dem Fenster in die politische Landschaft schauen. Meist dominieren jene PolitikerInnen, welche sich in Szene setzen können. Dies auch, ohne dass ihre Botschaft sinn- oder zukunftsträchtig ist und auch viel mit der Angst der ZuhörerInnen spielt. Daneben werden oft diejenigen wenig beachtet, welche neue Blickwinkel und Erfahrungen teilen können, jedoch nicht die Fähigkeiten besitzen, das Publikum so zu fesseln wie ihr rhetorisch befähigter Gegenpart.
Somit stellt sich jetzt die Frage, ob rhetorische Fähigkeiten einem in die Wiege gelegt worden sind oder ob sie sich erwerben lassen. Hierzu die Eindrücke unserer drei UND-Reporterinnen nach dem Besuch im Rhetorik Club.
Da traf es mich…
Telsche: Mir wird schnell klar: trotz aller Lockerheit, beim Clubtreffen wird nichts dem Zufall überlassen. Jede Minute der «time role» ist besetzt, dies hier ist ein «presenter event»: Wer hier ist, soll aktiv mitmachen und will es auch. Die Zeit wollen alle nutzen. Es fällt mir auf, dass eine Zeitnehmerin mit «green, amber und red»-Fähnchen jede Redezeit begrenzt und ein Moderator durch das ganze Geschehen führt.
Im Programm lese ich «humour, jokes und fact finding report». Ich stutze: «Bin ich an einem ‚Speaker‘s Corner‘ oder in Bern?» Neben mir höre ich Französich, sonst nur Deutsch. Es geht los: Die RednerInnen dürfen nicht einfach daherreden, sie stellen sich einer Aufgabe. Der Anspruch ist, von Mal zu Mal besser zu werden, zum Beispiel das «Feedback» der Gruppe bei einem zweiten Versuch zu berücksichtigen. Kaum ist das letzte Wort gefallen, notieren alle eine Beurteilung, das ist hart. Wer so redegewandt ist wie das Clubmitglied Tillman Luther, braucht sie nicht, er greift in die Akkorde des Muttersprachenklaviers und hat einen Heimvorteil.
Ich hatte mich völlig unbeteiligt gegeben, da traf es mich. Es blieb keine Zeit nachzudenken. Aufstehen und nach vorne gehen waren eins. Händeschütteln, obligater aufmunternder Applaus der wachsamen ZuhörerInnen, und los ging’s. Die Frage an mich: «Warum bist du nicht Lehrerin geworden?» Ich geriet ins Erzählen. Als ich einmal ins Publikum schaute und merkte, wie sie zuhörten, fachte es mich an. Da erschien das rote Fähnchen! Das läutete den Vollstopp und das Ende meiner Redezeit ein: Ich verdammte das Lehrerinsein, obwohl ich es anfänglich sehr gelobt hatte. Ich spuckte effektvoll an eine imaginäre Wandtafel, das war’s.
Es hat Spass gemacht und war sehr unterhaltsam. Es gibt Menschen, die es schwerer haben, auf andere zu wirken. Das Reden und Darstellen kann man aber lernen, zum Beispiel im Rhetorik Club Bern.
Gescheiterte Stegreif-Rede
Lisa: Wir hatten ein abendfüllendes Programm. Ich fühlte mich ein bisschen wie in einer Vorstellung im Theater, die auch als Workshop dient. Es war wie eine dieser Theatervorstellungen, in denen das Publikum so einbezogen wird, dass es beinahe mit auf der Bühne sitzt. Alles war sehr gut organisiert und es gab viel Show.
An Motivation und Selbstbewusstsein zum «Nach-vorne-Stehen-und-Reden» fehlte es bestimmt nicht, denn beklatscht zu werden schien Pflicht zu sein, fast wie das Abklatschen in einem Volleyballmatch nach jedem gewonnenen Punkt. Jedes schon dazugehörige Mitglied hat sich einen «Job» für den Abend zugeteilt, sei es als vorbereiteter Redner, als Bewertungsrednerin, als Saalmeister, als Füllwortzählerin, als Moderator oder als Zeitstopperin. Anhand ausgeteilter Zettel durfte auch ich die RednerInnen bewerten und mich sogar selber in einer Stegreif-Rede versuchen. Ich habe mir diesen Besuch eher wie in einem Buchclub vorgestellt, dachte, wir würden im Kreis sitzen.
Es wurde klar, dass ich noch üben muss, wie ich mich vor einer Menge stehend präsentiere. Nach meiner gescheiterten Stegreif-Rede habe ich nun beschlossen, die drei Gratis-Tage als Gast zu nutzen, bevor ich Mitglied werden müsste, um weiter an die Treffen zu gehen und das nächste abendfüllende Rhetorikerlebnis zu geniessen.
Der Füllwortzähler
Miriam: Mandelbärchen-Oscarverleihung in gut durchdachtem und schön strukturiertem Stil – willkommen im Rhetorik Club Bern! Bei einem Treffen, wo nicht nur viel geredet, nein, noch fast mehr geklatscht und immer wieder gelacht wird. Überzeugungsreden, die zum Datenschutz auffordern, Geschichten über Freundschaft oder ein Vortrag zur Moutier-«Münster»-Problematik: An diesem Montagabend bleibt gefühlt kein Thema unberührt. Zum ersten Mal dabei, bleibt mir persönlich ein Prinzip hängen: Nach der Rede ist vor der Rede! Kein Input kommt ungeschoren davon. Zu jedem siebenminütigen Auftritt gehört eine Bewertungsrede. Gekonnt formuliert wird allen RednerInnen vorgeführt, woran sie arbeiten sollten und was bereits gut gelungen ist. So lässt sich die eigene Rhetorik verbessern, während das Publikum etwas dazulernt.
Mit vielen Tipps verlasse ich zwei Stunden später das Treffen. Lebendige Rhetorik braucht Mimik und Gestik. «Drehe den Brustkorb beim Sprechen zum Publikum», meint die Bewertungsrednerin und bezeichnet ihn als Energiezentrum. Gute Rhetorik will keine Wörter wie «äh», «jetzt», «gut» und «ehm». Wer was wie oft verwendet, zählt der Füllwortzähler mit! Persönlich vermögen ruhige Stimmen meine Aufmerksamkeit schneller zu packen. Das Gesagte kann ich mir nach einem sanften Loslassen besser merken. So vielfältig, wie die RednerInnen und ihre Themen, unterscheidet sich die Auffassung jeder einzelnen Zuhörerin.
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