«forever young. Willkommen im langen Leben» lautet das Schwerpunktthema des Berner Generationenhauses für das Jahr 2019. Als Einstieg in ein vielfältiges Jahresprogramm wurden die Ergebnisse einer Studie zum Thema «Altersbilder der Gegenwart: Wie denkt die Schweiz über das Alter(n)?» diskutiert. Sie zeichnen ein erfreulich positives Bild über das Älterwerden. Am 1. März diskutierten die Entwicklungspsychologin Prof. em. Dr. Pasqualina Perrig-Chiello und der Soziologe Prof. em. Dr. Phil. François Höpflinger unter der Leitung des Projektleiters Detlef Vögeli einige Ergebnisse dieser Studie. Die Basis dieser Diskussion bildet eine repräsentative Studie, die vom Berner Generationenhaus und dem Forschungsinstitut «sotomo» im Rahmen des Projekts erstellt wurde. Knapp 9000 Erwachsene ab 18 Jahren aus der Deutschschweiz wurden zum Thema befragt. Eine einleitende Frage an die beiden Doyens der Altersforschung nach der Einschätzung ihres eigenen Alters beantwortete Perrig-Chiello mit: «Älter, weder jung noch alt», Höpflinger mit: «Hyperaktiver Alter».
Gefühltes und biologisches Alter
Angesichts der in den letzten 100 Jahren permanent gestiegenen Lebenserwartung tendiert die Selbsteinschätzung des gefühlten gegenüber dem biologischen Alter bei Befragungen immer mehr in Richtung «ever young». In der aktuellen Studie hatte jede Altersgruppe ab 18 Jahren die Freiheit, sich selber einzuschätzen. Bereits ab 30 beginnt sich die Schere zu öffnen. 80-Jährige fühlen sich im Durchschnitt wie 69. Ein Viertel der über 70-Jährigen bezeichnet sich als jung. Alt ist man heute erst ab dem effektiven Alter 80. Die beiden Sachverständigen wiesen darauf hin, dass der Unterschied bei Wohlhabenden noch ausgeprägter ist. 1995 fühlten sich damals befragte Erwachsene schon mit 69 alt. Wir schieben das Älterwerden also heute vor uns hin. Alt wird vor allem der Körper. Im Geist schätzt man sich jünger und gleich innovativ ein wie die Jungen.
Insgesamt zeigt die Umfrage ein erfreulich positives Stimmungsbild über das Älterwerden. Diese Lebensphase ist heute vielfältig gestaltbar. Es sind in erster Linie die über 60-Jährigen, welche sich mit Eigenschaften wie Gelassenheit, Freiheit und Zufriedenheit bewerten. Erheblich positiver als es die Jungen zwischen 18 und 39 Jahren annehmen.
Einsam, weise, zufrieden
Interessant ist die Beurteilung des Gefühls der Einsamkeit: Die Jungen schätzen dieses Gefühl im Alter wesentlich negativer ein als die über 60-Jährigen. Junge Menschen sind heute recht häufig selbst von diesem Gefühl betroffen. Zahlen aus der aktuellen Schweizerischen Gesundheitsbefragung belegen, dass 44 Prozent der 15- bis 24-Jährigen bisweilen mit dem Gefühl der Einsamkeit kämpfen.
Die jüngeren Altersgruppen bis etwa zum 50. Altersjahr zeigten sich gegenüber dem Prozess des Alterns überwiegend besorgt. Dann wendet sich das Blatt!
Die oft gelobte Zunahme der Weisheit mit dem Älterwerden scheint gemäss den Studienergebnissen ebenfalls eher ein Traum der Jungen zu sein als eine tatsächliche Wahrnehmung der Alten. Eher unerwartet ist auch die hohe Zufriedenheit zwischen 60 und 80. Sie erhält deutlich mehr Zustimmung als bei den 40 – 60-Jährigen. In der Phase zwischen 40 und 60 nimmt die Lebenszufriedenheit kontinuierlich ab. Dies erklärt mindestens zu einem Teil, weshalb sich die jüngeren Altersgruppen bis etwa zum 50. Altersjahr gegenüber dem Prozess des Alterns überwiegend besorgt zeigen. Dann wendet sich das Blatt und der Anteil derer, die sich freuen, steigt wieder.
Zufriedenheit beinhaltet jedoch auch Anspruchslosigkeit – so wird im Pensionsalter vieles relativ. Die Aussicht, sich nicht mehr täglich beweisen zu müssen, wieder autonomer zu sein, weniger Leistungsdruck und Stress zu verspüren, dafür Unabhängigkeit und Freiräume für Neues zu erleben, entwickelt ein Bild der besonderen Qualität des Alters. Für Perrig-Chiello und Höpflinger ist damit das Phänomen der zunehmenden Zufriedenheit in dieser Lebensphase erklärbar.
Sorge vor Fremdbestimmung
Der Prozess des Alterns löst in allen Altersgruppen auch ambivalente Gefühle aus. Erst in einem höheren Alter allerdings schürt er Ängste und Sorgen: Zum Beispiel vor der Fremdbestimmung oder dem Verlust der geistigen Kräfte. Sie rücken ab 70 zunehmend in den Vordergrund. Dabei ist dieser Lebensabschnitt für Männer wegen der tieferen Lebenserwartung in verschiedener Hinsicht einfacher. Sie sind häufig umsorgt durch ihre Partnerinnen. Frauen fürchten sich deshalb bereits ab 60 mehr vor dem «Fremdbestimmtsein». Dazu kommt, dass Armut heute im Alter immer noch weiblich ist. Viele Frauen dieser Generation verfügen über keine Pension.
Dass wir in einer alternden Gesellschaft leben sei vor allem der höheren Lebenserwartung bei guter Gesundheit zuzuschreiben, wie Perrig-Chiello mehrfach betont. Und dies sei primär den Entwicklungen im Sozial- und Gesundheitswesen zuzuschreiben. Für 62 Prozent der Befragten ist diese Entwicklung allerdings eine Herausforderung. Dies zeigt sich nach Auffassung der ExpertInnen zunehmend in den alltäglichen Diskursen, welche die Folgen der Langlebigkeit negativ gewichten. Während sich nur rund jede zehnte befragte Person in den letzten fünf Jahren aufgrund ihres zu hohen oder zu tiefen Alters benachteiligt fühlte, ist die wahrgenommene Benachteiligung in der Altersgruppe zwischen 50 und 59 Jahren wesentlich höher. Diese Altersgruppe ist häufiger von Problemen am Arbeitsplatz und bei der Arbeitssuche betroffen. Hier wird eine klare Altersdiskriminierung sichtbar. Mit dem Ende des Berufslebens verschwinden Diskriminierungen aufgrund des Alters jedoch noch nicht. Die Gesellschaft pflegt zahlreiche negativ konnotierte Altersbilder. Ihre Definition des Alters basiert oft immer noch auf alten Mustern.
Die Studienergebnisse zeigen, dass sämtliche Altersgruppen in unserer alternden, langlebigen Gesellschaft gefordert sind. Es wird interessant sein, die kommende Ausstellung und weitere Veranstaltungen im Generationenhaus zu verfolgen.
https://begh.ch/veranstaltungen/forever-young-willkommen-im-langen-leben/ausstellung