
Liebe Lina, woher kommst du?
Ich heisse Lina Weber und erblickte das Licht der Welt am 26. November 2002. Ein unkreativer erster Satz, ich weiss. Aber dies ist gewiss, alles andere ist in ständiger Veränderung.
Ich kam mit den Augen nach oben zur Welt, eine Sternenguckerin. Ein stilles Kind – bis ich die Sprache entdeckte. Da fragte ich Leute im Bus ganz ungeniert, was sie in ihrer Tasche hätten und wurde wütend, wenn Erwachsene mich nicht ernst nahmen. Ich war neugierig, wollte viel ausprobieren. Die ersten vier Jahre lebte ich in Gunten, viele idyllische Erinnerungen, danach in Goldiwil. Dort schloss ich meine ersten Freundschaften im Kindergarten. Als Einzelkind war dies besonders aufregend. Sobald ich lesen lernte, begann ich Bücher zu verschlingen und versuchte erstmals meine eigenen Geschichten zu schreiben. Literatur wurde zu meinem Zufluchtsort. Die Schuljahre in Goldiwil genoss ich, trotzdem flüchtete ich mich immer in meine eigene Fantasiewelt, war eine Träumerin, eine Sternenguckerin eben.
Die Oberstufe besuchte ich in Thun. Jetzt lernte ich, was Herkunft mit Identität zu tun hat. Wir, die vom Land, gehörten irgendwie nie dazu. Trotzdem versuchte ich mich anzupassen und cool zu sein. Aber egal welche Kleider ich trug, so richtig wohl fühlte ich mich in dieser Zeit nicht. Wahrscheinlich auch deshalb, weil ich damals mir nahestehende Menschen verlor. Einen Lichtblick stellte der Übertritt ins Gymnasium dar, wo ich mich entfalten konnte. Ich fand heraus, wo meine Interessen liegen, begann mich für Umweltschutz, Feminismus, Musik und Kunst zu interessieren. Der Leistungsdruck war hoch. Oft hatte ich das Gefühl, nicht zu genügen. Erneut suchte ich Zuflucht in der Literatur, begann zu schreiben, und es wurde mir klar, dass es für mich keine Zukunft geben kann, ohne zu schreiben. 2021 schloss ich die Matura ab, hatte aber keine Ahnung, wo mein Platz in der Welt ist, was ich mir von meiner Zukunft erhoffte. Deshalb entschied ich mich für ein Zwischenjahr. Die letzten Monate verbrachte ich mit Gelegenheitsjobs, Freiwilligenarbeit, einem Sprachaufenthalt in der Romandie und ganz viel Zeit zum Nachdenken, Sternengucken. Ich entschloss mich nach meinem Zwischenjahr, ein literarisches oder philosophisches Studium zu beginnen.
Wo stehst du im Moment?
Jetzt sitze ich in meinem Zimmer und blicke mal mehr und mal weniger hoffnungsvoll in die Zukunft. Wo mein Platz in der Welt ist, weiss ich immer noch nicht, aber trotzdem hat mir das Zwischenjahr gutgetan und ich habe viel über mich selbst erfahren. Ich gehöre zu einer Generation, die in eine unangenehme Welt hineingeboren wurde. Klimawandel, Ungleichheit und Hass. Das Internet und die sozialen Medien verstärken den Druck, einem Idealbild zu entsprechen, und schärfen gleichzeitig ein omnipräsentes Bewusstsein über alle Dinge, die in der Welt falsch laufen. Ich fühle mich oft machtlos oder frage mich, ob ich nicht mehr tun könnte. Meinen KollegInnen scheint es ähnlich zu gehen. Da ich einige meiner Jugendjahre in einer Pandemie erlebe, habe ich auch oft das Gefühl, Dinge zu verpassen, die ich nie nachholen kann.
Wohin gehst du?
Meine Gefühle gegenüber der Zukunft bleiben gespalten. Einerseits freue ich mich auf all die Möglichkeiten, andererseits schüchtert mich der Blick nach vorne manchmal ein. Im Wort «Zukunft» findet sich so viel Platz für Möglichkeiten, Hoffnungen und Träume. Und das konnte ich schliesslich schon immer gut, in die Sterne gucken und träumen.