Dr. Franz Immer (50) hat als Herzchirurg während zehn Jahren rund tausend Operationen durchgeführt und noch viel häufiger assistiert. Heute, bei Swisstransplant, teilt sich seine Arbeitszeit folgendermassen auf: Tagsüber arbeitet er im Büro; abends leistet er oft Öffentlichkeitsarbeit; nachts hat er Dienst – da entscheidet sein Team über Transplantationen.
UND: Wann schlafen Sie?
Franz Immer: Nicht viel jedenfalls, auch wegen der Verantwortung, die ich spüre. Organspende und Transplantieren sind eine sehr emotionale Sache. Ich weiss das, weil ich aus der Praxis komme: Da fliegt einer nach Barcelona, entnimmt ein Herz und schenkt drei Stunden später jemandem in der Schweiz neues Leben. Wenn das Herz wieder anfängt zu schlagen, ist das auch für das behandelnde Team sehr emotional. Die EmpfängerInnen sind unendlich dankbar: über ein grosses Geschenk, ja eine zweite Geburt. Allerdings steigen auch Gewissensbisse hoch: «Hat jemand sterben müssen, damit…?» Da ist es für Empfänger wichtig zu wissen, dass der Spender hirntot war – und in die Organspende eingewilligt hatte.
Mögliche EmpfängerInnen sollen übrigens in der ganzen Schweiz – wo sie Wohnsitz haben müssen – dieselben Chancen erhalten. Die Organe werden nach klaren Vorgaben den Empfängern auf der Warteliste zugeteilt. Dringliche Patienten haben erste Priorität, gefolgt vom medizinischen Nutzen und der Zeit auf der Warteliste.
Wer kommt als SpenderIn in Frage?
In der Schweiz gilt eine «erweiterte Zustimmungslösung». Entweder haben sich Sterbende zeitlebens entschieden, Organe zu spenden, oder enge Angehörige müssen stellvertretend für sie entscheiden. In 60 Prozent der Fälle wissen die Angehörigen aber nicht um den Wunsch der Betroffenen. Obwohl unsere Bevölkerung positiv zum Organspenden steht, wird wenig darüber gesprochen. In den meisten europäischen Ländern gilt eine «Widerspruchslösung»: Nur wer sich vorher explizit gegen Organspenden ausgesprochen hat, kann nicht Spender werden. Das trifft auch auf SchweizerInnen zu, die zum Beispiel in Frankreich sterben. Unser System führt hingegen dazu, dass wir mehr Organe bräuchten, als zur Verfügung stehen.
«Die EmpfängerInnen weinen oft, sie empfinden Dankbarkeit über ein grosses Geschenk, ja eine zweite Geburt.»
Das Gesetz verlangt, dass PatientInnen hirntot sein müssen, damit man Organe entnehmen darf. Noch hat die Erscheinung des hirntoten Menschen aber ihre Kraft, er lebt gewissermassen noch – deshalb spricht man mit ihm. Seine Würde, seine Persönlichkeit sollen respektiert bleiben. Ein eventuelles Weiterleben als schwerer Pflegefall ohne Lebensqualität lehnen indessen 99 Prozent der Schweizer PatientInnen ab. SpenderInnen bleiben in der Schweiz anonym.
Man kann verschiedene Organe transplantieren – doch ist das Herz nicht etwas Besonderes?
Das erste transplantierte Organ war wohl eine Niere. Noch heute ist der Bedarf danach – 80 Prozent der Menschen auf der Warteliste – am grössten. Beim Einsetzen einer Niere dürfen 24 Stunden verstreichen – beim Herzen sind es nur deren vier. Bei Nieren, aber auch kleinen Leber-Lappen, die Kindern eingesetzt werden können, oder einem Lungenflügel sind Lebendspenden möglich: ungefähr 100 pro Jahr schweizweit.
Das Herz bewahrte lange Zeit etwas Mystisches; Eingriffe daran wurden oft als Frevel angeschaut. Als Naturwissenschaftler will ich nicht für Andere urteilen –, aber ich sehe das Herz als eine Druck- und Saug-Pumpe. Ob es eine «zelluläre Erinnerung» gibt, so dass Eigenschaften einer Person übertragen werden? Vielleicht – eher physiologisch. Das Herz erscheint als wichtiges Symbol, man hat es auch mit der Seele gleichgesetzt. Ich denke aber, dass die Seele immateriell ist. Man kann spüren, wie ein sterbender Mensch «geht». Während meiner Zeit im Inselspital legte ich mir zurecht, dass er seine Hülle ablegt und an einen anderen Ort weitergeht.
Was wird in Zukunft alles möglich sein?
Wichtig ist aktuell der Organersatz, etwa ein Kunstherz, um den Bedarf zu reduzieren. Ich bin sicher, dass ich in zehn, 15 Jahren nicht mehr ein Spenderherz, sondern eine künstliche Pumpe erhielte. «Tissue Engineering» macht grosse Fortschritte. Die herkömmliche Transplantation ist eigentlich eine veraltete, aber bewährte Methode. Xenotransplantation – das Übertragen von Tier-Organen – dürfte keine Zukunft haben. Man glaubte früher, demnächst einem Menschen ein Pavian-Herz einsetzen zu können. Vielleicht bekäme man die Infektionen in den Griff; doch die Sache ist allzu aufwändig, Alternativen werden sich vorher finden.
Und das Gehirn?
Es gibt einen Arzt, der krampfhaft ein Land sucht, wo er seine Gehirntransplantations-Versuche machen dürfte. Aber das wird nie kommen – in ganz Europa nicht. Man muss sich auch realistische Fragen zu Kosten und Nutzen stellen. In der Schweiz wird darüber diskutiert, ob man Hände oder eine Gebärmutter transplantieren wolle. Solange das Ziel die Lebensqualität ist, und nicht das blosse Überleben, hat eine Gehirntransplantation keine Chance: Sie wäre technisch vielleicht möglich, aber für den Patienten eine Katastrophe. Er würde nie laufen – wahrscheinlich nicht einmal atmen können. Meine Aufgabe ist aber nicht nur das Technische, sondern ich schaue auch die Betroffenen und die Gesellschaft an. Meine Empfehlung an die LeserInnen: Halten sie noch bis ins hohe Alter ihren Entscheid zum Spenden fest.
Weitere Informationen: www.swisstransplant.ch
Was macht Swisstransplant?
Swisstransplant ist die nationale Stiftung für Organspende und Transplantation. Sie ist für die Zuteilung der Organe an die Empfänger zuständig und führt die Warteliste. Sie arbeitet eng mit den Zuteilungsorganisationen im Ausland zusammen. Sie koordiniert in der Schweiz: Es bestehen fünf Sendenetzwerke und sechs Transplantationszentren. Sie trägt mit dem Partner Alpine Air Ambulance (AAA) die Verantwortung für die Transportlogistik im Spendeprozess.
2017 standen rund 2300 PatientInnen auf der Warteliste (148 für ein Herz) – 594 Transplantationen wurden durchgeführt (40 mit einem Herzen). Die weiteren Organe: Lunge, Leber, Niere, Pankreas, Dünndarm. (hgf)