UND Generationentandem: Was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn, wenn Sie an Himmel und Hölle denken?
Andreas Gund: Ich denke als Erstes an das Hüpfspiel Himmel und Hölle. Es ist aufgemalt mit sieben Flächen, dann muss man auf einem oder zwei Beinen in den Himmel hüpfen. Das wäre meine erste Assoziation.
Himmel und Hölle sind Begriffe, die im Alltag oft Verwendung finden, wir sprechen von himmlischen Freuden oder von höllischen Qualen. Seit wann spricht die Theologie von den beiden Begriffen und was ist ihr Zweck?
Himmel und Hölle sind für mich Begriffe aus der Eschatologie, der Lehre von den letzten Dingen. Von der Bibel her wäre die Zusammenstellung eigentlich: «Himmel und Erde» sowie «Paradies und Hölle». Mit der Zeit wird das Wort Himmel ein Synonym für die Vorstellung vom Paradies. Und die Vorstellung einer Hölle beruht auf der Vorstellung einer Unterwelt, in welcher die Toten sein mussten – eine Art Zwischenzeit. Im Neuen Testament kann man aber davon ausgehen, dass die Menschen, besonders auch Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen, von einer eschatologischen Grundstimmung beherrscht waren: Jetzt kommt etwas Neues, jetzt kommt das Gericht. Da entstanden diese Vorstellungen. Ich denke, was wir heute mit Himmel oder Hölle verbinden, ist erst in der kirchlichen Entwicklung im 3./4. Jahrhundert entstanden. In der Theologie tauchen diese Vorstellungen laufend auf, während der ganzen Kirchengeschichte.
Welchen Zweck verfolgen Himmel und Hölle in der Theologie?
In meinem Blick sind Himmel und Hölle ein Machtinstrument der Kirche. Man kann davon ausgehen, dass bis Ende 18. Jahrhundert die Kirche eine grosse Machtinstitution war in unserer Gesellschaft. Selbst in der Reformationszeit war klar, nach dem Tod gibt es einen Ausgleich: Du musst für das, was du hier tust, geradestehen. Darauf wurde viel kirchliche und eben auch staatliche Macht abgestützt, auf diese Spannung von Himmel und Hölle, genauer aufs Angst-Machen vor der Hölle und Hoffnung-Machen auf den Himmel. Wobei das noch bis heute im persönlichen Gespräch vorkommt. Ich habe gerade eine Postkarte einer alten Frau bekommen, wo genau solche Gedanken auftauchen. Das sind Gedanken, die über die Jahrhunderte ganz tief in unsere kulturelle Genetik eingebrannt wurden.
Haben die Leute heute noch Angst vor der Hölle?
Ich erlebe, dass sehr freikirchlich orientierte Menschen Angst haben vor der Hölle. Sie haben Angst, dass sie im Gericht nicht bestehen können. Bei Himmel und Hölle ist ja immer entscheidend, in welche Richtung geht nun mein Weg? Die Vorstellung kennen wir zum Beispiel vom Hauptportal beim Berner Münster. mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts. Himmel und Hölle, das letzte Gericht, das beschäftigt die Menschen.
Kommen in Ihrem Unterweisungsunterricht Himmel und Hölle vor?
Wir leben hier in Steffisburg in einem stark auch freikirchlich geprägten Raum. Da erleben die KonfirmandInnen in der Schulklasse die Spannungen zwischen landeskirchlichen, nicht-kirchlichen, islamischen und freikirchlichen Richtungen. Ja, Himmel und Hölle kommen in den Gesprächen vor. Die Jugendlichen haben das im Blick, denn sie haben KollegInnen, die ihnen erzählen, dass sie nicht in den Himmel kommen, wenn sie zum Beispiel Sex vor der Ehe haben. Religion und Moral sind da ganz nahe beieinander. Religion muss dich dazu bringen, moralisch richtig zu handeln. Moral wird vorgegeben wenn du das richtig machst, kommst du in den Himmel, aber wenn du es falsch machst, kommst du in die Hölle. Ausser du bereust. Dann kommst du dank der Gnade Gottes doch wieder in den Himmel. Das ist dann die Hintertüre, je nach Ausrichtung des Glaubens! Für mich persönlich sind «Hölle und Himmel» kein relevantes Begriffspaar in der Theologie.
Meine Auffassung ist, dass Jesus uns viel mehr darauf hinweist, wie wir leben sollen und uns weniger Gedanken machen, was nach dem Tod kommt.
Andreas Gund
Hat die Theologie die Absicht, die beiden Begriffe zu ersetzen?
Da kommt es darauf an, wie du die Theologie anschaust. Wenn Theologie die Rede von Gott ist, heisst das für mich gleichzeitig die Rede vom Leben. Meine Auffassung ist, dass Jesus uns ganz klar den Auftrag gegeben hat, vom Leben zu reden. Da ist er ganz Jude. Das hebräische Denken hat nichts gewusst über das, was nach dem Tod kommen soll. Das ist eine christliche Entwicklung, dass man sich grosse Gedanken macht, was denn nach dem Tod kommt. Meine Auffassung ist, dass Jesus uns viel mehr darauf hinweist, wie wir leben sollen und uns weniger Gedanken machen, was nach dem Tod kommt. Das ist für mich wichtig. Von dem her sind Himmel und Hölle für mich nicht mehr theologisch relevante Begriffe. Für mich ist die Hölle eine Projektion unserer Ängste in eine andere Welt, in einen anderen Bewusstseinsbereich. Hölle produzieren wir aus unserer Seele heraus und den Himmel genauso. Der Himmel und die Hoffnung auf den Himmel sind eigentlich unsere Sehnsüchte. Es geht in meiner Auffassung der Theologie vielmehr darum, wie wir leben.
Wie Sie erwähnt haben, braucht aber die Kirche Himmel und Hölle als Machtinstrumente. Warum kommt die Kirche denn nicht ganz weg vom Machtapparat?
Macht ist «gäbig». Es ist praktisch, wenn man das Gefühl hat, man hat etwas zu sagen. Für mich ist Macht etwas, das äusserst beständig ist. Sie hat einen sehr widerständigen Charakter, Macht gibst du nicht so schnell auf.
Macht ist ja grundsätzlich nichts Schlechtes, wenn sie jemandem dient.
In der Kirche wirkt halt diese dienende Ideologie sehr verschleiernd. In der Kirche «dienen» ja alle, vom Papst bis zum Priester, vom Synodalrat bis zum Dorfpfarrer. Sie dienen alle – haben aber sehr unterschiedliche Einflussmöglichkeiten und eben Macht. Meine These ist, dass in den Kirchen ein Bewusstsein für Macht fehlt.
Ist das denn ein Zeichen von Schwäche, wenn zum Beispiel die bernische Kirche nicht weg vom Staat will?
Wenn eine Landeskirche in einem solchen engen Zusammenhang drinsteckt und sich als eine Institution versteht, entwickelt sie keine Fantasie, eine andere Rolle im Verhältnis zum Staat zu finden.
Wenn man Himmel und Hölle nicht mehr als Machtinstrument zur Verfügung hat, an was soll man sich denn orientieren?
Ich kann nicht für die Kirche sprechen. In der reformierten Kirche bin ich eine Stimme in einem mehrstimmigen Chor. Das einzige Stichwort, das möglich ist für mich, ist das Wort «Liebe». Die Liebe, die uns in der ganzen Schwierigkeit, die dieses Wort mitbringt, eine Orientierung geben kann. Im Sinne von Jesus, der uns Beispiele gibt, wie er die Liebe versteht. Jesus sagt: Vergiss die Liebe nicht.
Doch braucht die Theologie nicht eine Antwort auf die Frage, was nach dem Tod kommt?
Ich lasse diese Frage ganz bewusst offen. Bei jeder Abdankung spreche ich vom Tod als einer Schwelle, über die wir nicht schauen können. Wir können nur in Bildern davon sprechen. Wenn jemand stirbt, benutze ich das Bild, dass uns jemand in die Arme nimmt. Besser wissen wir es nicht.