Fünf Fragen an Telsche Keese (82)
Wieso hast du teilgenommen?
Wir waren das perfekte Tandem, es reizte mich, mit dir zu gehen. Ich hatte meine Erinnerungen schon geschrieben, aber was wolltest du so jung dort? Ich war neugierig auf dich und die anderen im Kurs, ich wollte sie entdecken.
Was war das Ziel des Kurses?
«Dem Leben auf der Spur» war das Thema. Es fordert dazu auf, über Entscheidungen im eigenen Leben nachzudenken, über Gelungenes oder Verpasstes, über schwierige Situationen, die wir nicht rückgängig machen können, über Liebesglück und Trauer, eine bunte Mischung. So viele Köpfe, so viele individuelle Lebensgeschichten. Es geht um Austausch von Erfahrungen.
Was nimmst du denn nun aus diesem interessanten Workshop mit, Telsche?
Es war anregend, weil wir uns gegenseitig vorgelesen haben, was wir in 40 Minuten aufschreiben konnten, aber für mich ist das zu kurz. Wenn ich schreibe, ändere ich ständig die Wortwahl, um präziser zu sein. Schreiben – steht auf meinem Kuli gedruckt – ist Arbeit am Gedanken.
Welchen Rat würdest du jemandem geben, der seine Biografie schreiben will?
Überlege vorher: Für welche(n) LeserIn schreibst du? Für dich, deine Nachkommen? Und warum schreibst du? Willst du dein Leben überdenken, um es zu verstehen? Wähle originelle ernste und lustige Episoden aus. Dann mache einen kurzen Plan, der dir als «Geländer» dient, damit deine Gedanken einem roten Faden folgen, sonst kommst du vom Hundertsten ins Tausendste.
Was hat dich berührt im Kurs?
Die Offenheit, die aus den Texten sprach. Ich denke an die Frau, die unverstellt aus ihrer Kindheit auf dem Bauernhof berichtete. Sie erzählte, wie lieb ihr Tiere seien und wie geborgen sie sich in ihrer Nähe fühlte. Sie war so ehrlich und überzeugend. Eine andere Erzählung über Zurücksetzungen in der Kindheit ging allen Zuhörerinnen nahe. Wenn die Erinnerungen an deine Zeit als hilfloses Kind dir heute als älterem Menschen immer noch die Kehle zuschnüren, dann kann das Schreiben darüber sehr erleichtern, denke ich.
Vier Fragen an Alena Lea Bucher (21)
Du als jüngste unter zehn älteren Frauen, welche Erwartungen hattest du?
Dass ich vermutlich die jüngste Teilnehmerin sein werde, war mir schon im Vornherein bewusst. Ich habe mir erhofft, einen Einblick in die Leben anderer zu erhaschen. Ich finde, man erzählt viel zu wenig von sich. Gerade älteren Menschen fehlt oft der Raum um davon zu erzählen oder eben darüber zu schreiben. Ich finde, ich kann aus Geschichten von anderen nur lernen und profitieren.
Welche Episode aus dem Leben der Anwesenden hat dich berührt?
Sehr berührend fand ich die Geschichte einer Frau, die früher immer Weihnachten mit ihren Eltern auf dem Marktplatz verbrachte. Sie verkauften dort Blumen. Wunderschön schilderte sie, wie es sich für sie anfühlte dort zu sein. Sie sagte, niemals sonst fühlte sie sich ihrer Familie so nahe wie an diesen Tagen. Trotzdem war Heiligabend ein trauriger Abend für sie. Alle waren immer müde und mochten nicht mehr so richtig feiern. Diese Traurigkeit hat sie lange mit sich herumgetragen.
Ist schreiben wertvoller als reden?
Ich denke, das kommt darauf an, ob man ein «Sprechtyp» oder ein «Schreibtyp» ist. Mir fällt beides leicht. Ich erzähle gerne von mir. Höre aber auch gerne zu. Schreiben ist in manchen Fällen aber auch leichter. Gerade biografisches Schreiben finde ich eine tolle Sache. Mit der Zeit gehen Dinge vergessen. Wenn ich sie aufschreibe, kann sie auch ein zukünftiges Urgrosskind noch lesen.
Wäre das nicht auch etwas für AutorInnen dieses Magazins?
Ich würde diesen Kurs auf jeden Fall weiterempfehlen. Er gibt super Gedankenanstösse. Mir kamen so viele Erinnerungen, die, obwohl ich erst 21 bin, ein bisschen vergessen gingen. Es ist spannend zu sehen, wie Andere ihr Leben leben. Wer sich für Geschichten Anderer interessiert, für den ist ein solches Zusammensitzen Gold wert.
Der Kurs zum Biografischen Schreiben findet nochmal statt:
Warum schreibt die Kirche Biografiekurse aus?
Zum Auftrag der Kirche gehören Begleitung und soziales Engagement; zu den Zielen der Kirche gehört es, Räume zu bieten, wo Menschen in eine Begegnung mit sich und mit Anderen kommen können. Kirchgemeinden haben viele Möglichkeiten, ihrem Auftrag gerecht zu werden, so gerade auch indem sie Strukturen und Austauschräume schaffen, in denen Menschen gewürdigt werden, sich selber würdigen und sich austauschen – auf Augenhöhe im Geben und im Nehmen.
Im biografischen Schreiben geschieht eine solche Würdigung von sich selber und von Anderen. In der Rekonstruktion des eigenen Lebens kann ein roter Faden gesponnen werden. Dabei findet eine Sinnstiftung und eine Versöhnung mit dem Gelebten und Erlebten statt. Biografisches Schreiben und Erzählen ist aber auch zukunftsgerichtet: Durchs Aufschreiben und Erzählen der eigenen Geschichte oder eigener Lebenssplitter bilden sich neue Wege, wie Zukunft bewältigt werden kann: Neue Lebensgestaltungsmöglichkeiten entstehen.