Frau Prof. Dr. Bettina Pause stiess vor dreissig Jahren auf eine grosse Wissenslücke. Weil der Geruchssinn seit der Antike als primitiver, minderwertiger Sinn gebrandmarkt war, blieb er für die Forscher unattraktiv. Als Bio-Psychologin und Sozial-Psychologin erforschte Bettina Pause fortan fasziniert und mit viel Ausdauer den Geruchssinn und seine Auswirkungen auf unser Leben.
Wir können viel mehr riechen, als uns bewusst ist, und auch viel mehr als die meisten Tiere. Wir haben gerade mal vier Arten Sehzellen, jedoch an die tausend Arten Riechrezeptoren. Zudem ein grosses «Riechhirn». Damit können wir gegen eine Billion Gerüche unterscheiden! Wozu brauchen wir das? Es gibt nichts Komplexeres als die chemische Umwelt. Bettina Pause: «Bananenaroma besteht zum Beispiel aus etwa dreihundertfünfzig, Kaffee aus achthundert einzelnen Molekülen.» Und die Moleküle sind es, die an den Rezeptoren andocken. Riechen können, welche Esswaren für uns tauglich sind und welche giftig, ist überlebenswichtig, sogar im Zeitalter der Supermärkte. Verdorbene Eier, ranzige Butter, fauliges Gemüse und Obst riechen wir sofort. Die Entscheidung ist dann klar: weg damit!
Gerüche beeinflussen unser Beziehungsverhalten
Wie die Bäume, Pflanzen und Tiere kommunizieren auch wir Menschen via Gerüche miteinander, allerdings weitgehend nicht bewusst. Sowohl Angst als auch Sympathie erkennen wir viel schneller über den Geruch einer Person als über Mimik und Gestik. Angst von andern überträgt sich sehr schnell auf uns, damit wir bei Gefahr alarmiert sind und schnell genug reagieren können. Schneller, als wenn wir bewusst entscheiden müssten, was wir tun sollen.
Wir riechen auch, ob ein Mensch krank ist, der in unsere Nähe kommt, und haben dann ein ungutes Gefühl im Bauch. Wenn wir rechtzeitig auf Distanz gehen, werden wir nicht angesteckt. Meistens weichen wir sofort aus, wenn wir können, noch bevor wir darüber nachgedacht haben.
Freunde und Geliebte sind normalerweise nicht verwandt mit uns. Die Gene können also beliebig verschieden sein. Selbst gefundene FreundInnen sind uns jedoch genetisch ähnlicher als Nichtfreunde. Und: Es sind die Geruchssinneszellen, die eine Übereinstimmung abbilden. Der Geruch entscheidet also wieder mit, ob jemand als FreundIn taugt. Die Nase entscheidet auch, mit wem wir keinesfalls Kinder zeugen sollten. Bettina Pause: «Digital werden wir nicht glücklich. Wir brauchen Menschen analog, weil nur Menschen, die wir riechen können, die Verbindung erneuern.» In vielen Situationen entscheiden wir nicht aufgrund von Überlegungen, sondern spontan nach unserer Nase und unseren Gefühlen. Manchmal suchen wir nachträglich Argumente, um unsere Entscheidung zu verstehen.
Beispiel einer Entscheidung von Jürg
Ich setzte mich nach einer Wanderung an der Endstation in einen Bus, um zurück zum Ausgangspunkt zu fahren. Zwei Haltestellen später stieg ein Mann ein und setzte sich auf den Sitz vor mir. Ich sah ihn nur von hinten, hatte aber sofort ein sehr ungutes Gefühl. Ich überlegte nicht einmal, ob ich weiter hinten im Bus sitzen wolle, sondern stieg an der nächsten Haltestelle spontan aus. Draussen atmete ich mit Genuss die frische Luft ein und es machte mir trotz Müdigkeit nichts aus, zu Fuss nach Hause zu wandern. Ich kann nicht sagen, ob der Kerl besonders roch, und konnte nicht wissen, ob er wirklich krank war. Mein Gefühl war aber so eindeutig, dass ich mit keinem Gedanken an meiner Entscheidung zweifelte. Nachträglich begründen, musste ich mir diese Entscheidung nicht.
Emotionale Intelligenz
Bettina Pause: «Die Art und Weise, wie wir riechen, hat sogar massgeblichen Einfluss darauf, wie intelligent wir sind.»
Ob wir gut denken und etwas auswendig lernen können, hat kaum Einfluss auf unser Glück. Für unser Glück ist die «Emotionale Intelligenz» zuständig. Das ist die Fähigkeit, die «eigenen Emotionen zu erkennen und zu lenken, negative Emotionen wie Wut oder Trauer regulieren zu können, auf Stress geruhsam zu reagieren und positives Denken und Optimismus zu verstärken».
Gerüche und Sprache analysieren wir im gleichen Hirnareal und im gleichen Rhythmus. Zum Glück hat sich dieser Gehirnteil in der Evolution stark entwickelt. Dank ihm können wir heute zusammen kommunizieren – auch durch Musik.
Beispiel einer Entscheidung von Anita
In der ersten Klasse durfte ich als Wahlfach das Blockflötenspiel erlernen, wie es in Chur Brauch war. Meine ältere Schwester Claudia schwärmte allerdings nicht davon und mich erbauten ihre pfeifenden Töne auch nicht besonders. Folglich sah ich der ersten Flötenstunde mit gemischten Gefühlen entgegen. Doch die ebenso schrillen Töne selbst zu produzieren gefiel mir. Auch machte mir das Erlernen der Noten Spass.
Nach einigen Wochen brachte meine Lehrerin ihre Geige mit in den Singunterricht. Ich lauschte den Tönen der Geige entzückt. Dieses Instrument will ich spielen, schoss es mir durch den Kopf.
Nach der Schule rannte ich nach Hause und rief: «Darf ich eine Geige haben, bitte! Fräulein Schwarz hat heute Lieder mit der Violine begleitet. Das Instrument gefällt mir und es klingt wunderbar.» Mama und Grossmama mussten über meine Begeisterung lachen. Mama erwiderte: «Geige spielen ist viel schwieriger als Flöte. Lern du zuerst einmal Flöte spielen, dann sehen wir. Vielleicht wünschst du dir dann ein anderes Instrument. Bei uns steht ja ein Klavier in der Loggia.» – «So lange warten?», fragte ich enttäuscht. «Klavier kann ja Claudia oder eine der Kleineren lernen, ich will nicht.»
Zwei Jahre später erklärte mir Papa: «Heute Abend darfst du mit in ein Konzert, willst du?» Ich nickte. «Da hörst du viele Instrumente: Streicher, Bläser und Schlagzeug. Schau gut, was es da für Instrumente gibt.» Gespannt betrat ich mit meinen Eltern das Stadttheater. Während die Musiker spielten, schaute ich neugierig die verschiedenen Instrumente an, jedoch blieben meine Augen immer wieder an den Violinen hängen. Auch die grossen Geigen, die «verkehrtherum» gespielt wurden, gefielen mir. Die Namen Violoncello und Kontrabass kannte ich noch nicht.
Am nächsten Morgen fragte Mama mich: «Na, willst du immer noch das Geigenspiel erlernen? Es ist nicht einfach, weisst du?» – «Oh ja, das will ich!»
So meldeten mich meine Eltern Anfang dritte Klasse bei einem Geigenlehrer an und mieteten eine Dreiviertelgeige. Obwohl der Start nicht einfach war, feilte ich eifrig an meinen kratzenden Tönen. Papa spielte manchmal mit seiner Mandoline mit mir zusammen, was mir besser gefiel, als alleine zu üben. Dass die Intonation der beiden Saiteninstrumente nicht übereinstimmte, störte uns beide nicht.
Diesen spontan gefassten Entschluss sollte ich nie bereuen. Das Geigenspiel brachte mir in diversen Orchestern oder bei Kammermusik während Jahrzehnten viel Freude, Entspannung und soziale Kontakte. Es zu erlernen war für mich eine wichtige, emotionale Entscheidung.
Ein kleines Experiment
Schauen Sie eines der untenstehenden Bilder an und versuchen Sie, sich an den Geruch zu erinnern. Welche Art Gefühl kommt bei Ihnen hoch? Erinnern Sie sich an eine Situation? Zwei emotionale Entscheidungen:
- Mit wem zusammen würden Sie am liebsten bald Butterzopf essen?
- Würden Sie sich wieder für einen Zoobesuch entscheiden, um bestimmte Eindrücke und Gefühle nochmals zu erleben?
Gefühle unterstützen unser Gedächtnis sehr stark. Was wir als emotional aufgeladen erleben, wird in unserem Langzeitgedächtnis gespeichert. Abstraktes, wie Zahlen oder Theorien, vergessen wir hingegen schnell; oder wir müssen viel länger lernen und üben, um Theorien zu memorieren.
Die erste Begegnung mit einem Menschen, in den wir uns verliebten, vergessen wir kaum. Und wir haben ihn nicht nur gewählt, weil er gut aussah, sondern auch wegen seines feinen Geruchs und seiner emotionalen Intelligenz.
Wen wir sympathisch finden und wen nicht, ist ganz subjektiv. Darum ist zum Glück die Hoffnung der Parfümeure, man könnte etwas zusammenmixen, das alle erotisch anzieht, unmöglich. Man stelle sich vor, was da passieren würde…
Was bringt uns dieses neue Wissen über Gerüche, Gefühle und Intelligenz?
Den Frauen: Vertraut eurem Geruchssinn und eurer «Emotionalen Intelligenz» – sie ist wichtiger als die gutgemeinten Ratschläge der andern. So entscheidet ihr besser und werdet glücklicher.
Den Männern: Weil viele von euch gelernt haben, Gefühle zu unterdrücken, nehmt ihr sie weniger gut wahr. Sie sind aber immer da. Lernt, sie ebenso wahrzunehmen wie die Gerüche, denn viele Situationen sind zu komplex, als dass ihr sie nur sachlich kühl analysieren könnt, um gut zu entscheiden.