Vincent: «Was meinst du, wollen wir zusammen das Biomassenzentrum in Spiez besichtigen gehen und anschliessend einen Bericht schreiben…?», fragte Hansruedi mich. Ich war sofort Feuer und Flamme. Natürlich, klimaneutrale Energiegewinnung ist ein Thema, das mich schon lange fesselt. Vor Ort wurden wir von Herrn Matzke freundlich begrüsst und in einen hübschen Pavillon geführt.
Nachdem wir mit Getränken versorgt waren, sahen wir uns eine lange, aber interessante Präsentation an. Da erfuhr ich, dass die Abfall- und Verbrenngungsanlage AVAG der Mehrheitseigner des Biomassezentrums, der Oberland Energie AG, ist. Die AVAG, welche für das Recycling und die Entsorgung im ganzen Berner Oberland zuständig ist, hält 51 Prozent der Aktien der Oberland Energie AG. Sie ist auch zuständig für die Energiegewinnung aus biogenen Abfällen.
Hansruedi: Dr. Horst Matzke ist begeistert: Der Biologe greift in eine der Kompostmieten, füllt die Hand mit etwas Erde, führt sie vor seine Nase, schnuppert und sagt: «Reifer Kompost, riecht gut!» Wir befinden uns im Biomassezentrum, auf dem Gelände der Oberland Energie AG in Spiez. Seit 2011 werden hier jährlich über 30’000 Tonnen Grünabfälle in Energie und Kompost umgewandelt. Was einfach tönt, ist ein hochkomplexes, biologisch-technisches Verfahren. Horst Matzke, Mitglied der Geschäftsleitung der AVAG, gewährt uns einen Einblick.
CO2-neutrale Energiegewinnung
Das aus dem Einzugsgebiet der Abfallverbrennungsanlage AVAG angelieferte Material wird in einem ersten Schritt sortiert: Holzige Anteile werden vom übrigen Grüngut separiert und zusammen mit Altholz in einer eigens dafür gebauten Heizanlage verbrannt. Abnehmerin des entstehenden Prozessdampfes ist die Nitrochemie Wimmis AG. Auf diese Weise werden pro Jahr über drei Millionen Liter Erdöl eingespart. Die Fernwärme geht zum einen an das ABC-Zentrum – dadurch können Einsparungen von gut 336’000 Liter Heizöl pro Jahr erreicht werden – zum andern an den Wärmeverbund Spiez, was Einsparungen von rund einer halben Million Liter Heizöl pro Jahr zur Folge hat. Die dadurch vermiedenen CO2 Emissionen belaufen sich jährlich auf 11’463 Tonnen.
Bio-Kompost
Nachdem die holzigen Teile aussortiert sind, wird das vergärbare Grüngut zu hochwertigem Bio-Kompost verarbeitet. Das geschieht in vier Schritten: Zuerst wird das Material mechanisch zerkleinert. Dann wird die zerkleinerte Biomasse in Gärbehälter, sogenannte «Fermenter», gefüllt. Später vergärt die Masse unter Luftabschluss. Durch die Aktivität von Bakterien entsteht unter kontrollierten und optimierten Bedingungen Methangas. Damit kann in zwei Blockheizkraftwerken Strom produziert werden. Der Überschuss an Wärme wird an externe VerbraucherInnen verkauft, der Strom geht ins Netz. Nach 20 bis 30 Tagen kommt die vergorene Biomasse in die Kompostieranlage. Dank der Überdachung und einer sorgfältigen Pflege kann das Endprodukt unter guten Bedingungen heranreifen. Es ist Qualitätskompost, ausgezeichnet mit dem Label von Bio Suisse.
Vincent und ich sind beeindruckt. Was das Biomassezentrum in Spiez leistet, ist Pionierarbeit, und es erstaunt nicht, dass die Oberland Energie AG im Jahr 2012 vom Bundesamt für Energie mit dem Watt d’Or ausgezeichnet wurde. Das Unternehmen beweist, dass Ökologie, Klimaschutz und Ökonomie sich nicht ausschliessen. Geschickt kombiniert, erweisen sie sich als Weg in eine CO2 neutrale Zukunft.
Vincent: Warum, fragte ich, gibt es in der Schweiz nicht mehr solche Biomassezentren? Die Antwort ist traurig, denn der Grund sind wir Menschen, weil wir nämlich den Kehricht und das kompostierbare Material gar nicht oder schlecht trennen. Ich erfuhr auch, dass es nicht einfach ist, ein Biomassezentrum zu führen. Weil auch das Produkt, das durch den Kompostierungsprozess gewonnen wird, nutzbar ist, (nährstoffreiche Bio-Erde ohne Torf), sollte die angelieferte Biomasse möglichst sauber sein. Leider ist das nicht der Fall. Vor allem Plastik, aber auch diverse Metallteile sind schwierig zu entfernen. Weist der gewonnene Kompost einen zu hohen Anteil an Plastikresten und Schwermetallen auf, darf man ihn nicht verkaufen. In Spiez steht ausserdem für eine Erweiterung der Anlage kaum Platz zur Verfügung.
Da wir schon beim Umweltschutz sind: Im Biomassezentrum erfuhren wir zum Beispiel, wie unser Plastik-Müll auf die Felder, in die Gewässer und schliesslich in Form von Nanopartikeln ins Grundwasser kommt. Ja, richtig gehört, wir sind mitschuldig – nicht nur an den allseits bekannten Müllteppichen auf und in den Weltmeeren, sondern auch an der Verschmutzung unseres Lebensmittels, des Trinkwassers.
Humus – die vergessene Klimachance
Im Film mit dem gleichnamigen Titel geht es den AutorInnen darum, aufzuzeigen, dass Böden unter gewissen Bedingungen fähig sind, CO2 dauerhaft zu binden. Das Zauberwort heisst «Terra Preta», auf Deutsch: «Schwarze Erde». ForscherInnen haben kürzlich im brasilianischen Regenwald an verschiedenen Orten menschgemachte, humose Böden gefunden, die, obschon über tausend Jahre alt, dauerfruchtbar sind. Das Geheimnis dieser dunklen Erde: Sie weist einen Anteil von über 10 Prozent organischen Kohlenstoffs auf. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich laufen seit dieser Entdeckung grössere Feldversuche mit «Terra Preta». In einem ersten Schritt wird organisches Material verkohlt. Biokohle bleibt im Boden dauerhaft stabil. Die schwammartige, poröse Struktur von Biokohle kann grosse Mengen Wasser und Nährstoffe speichern und ist zudem ein idealer Lebensraum für Mikroorganismen. Bei den Versuchen, «Terra Preta» herzustellen, hat sich gezeigt, dass eine Impfung von organischen Abfällen mit fermentierenden, gesundheitsfördernden Mikroorganismen wichtig ist. So wird in einem zweiten Schritt organisches Material, das einen Anteil Mist enthalten sollte, mit Hozkohle gemischt und mit «Effektiven Mikroorganismen» geimpft. Unter Luftabschluss findet eine milchsaure Fermentierung statt. Anschliessend wird das Material durch Sauerstoff aus der Luft und Würmer zu «Terra Preta» vererdet. In einem dritten Schritt wird die «Schwarze Erde» auf die Äcker gebracht.
In der Schweiz gilt der «Hof Wies» in Neuheim ZG als Vorzeigeprojekt. Der landwirtschaftliche Betrieb umfasst 13 Hektaren Land. Nebst der Viehwirtschaft mit hofeigenem Futteranbau werden Hochstammobstbäume gepflegt und wird Kompost hergestellt. Was den Eigenbedarf übersteigt, wird an Gärtner und Gemüsebauern aus der Gegend verkauft. Auf der 2012 mit Partnern gebauten Pyrolyse-Anlage werden jährlich 400 Kubikmeter Pflanzenkohle und 575 Megawattstunden Wärme produziert. In der Schweiz verursacht ein landwirtschaftlicher Betrieb im Durchschnitt 115 Tonnen CO2 pro Jahr. Der Hof Wies entzieht dank seiner Betriebsweise der Atmosphäre jährlich 380 Tonnen CO2 und ist damit deutlich klimapositiv.