Morgens um sieben Uhr, ein Anwohner möchte mit seinem Auto aus der Tiefgarage fahren. Nehmen wir an, er ist zu spät dran. Ein Müllwagen versperrt ihm den Weg. Er ärgert sich. Diese Szene kennen wir alle. Die grossen Müllwagen sind oft fast so breit wie die Strasse, durch welche sie fahren müssen. Sie versperren Abzweigungen und Ausfahrten. Was der genervte Mann in seinem Ärger nicht bedenkt: Die Müllmänner und Müllfrauen erledigen jene Arbeit, die nur wenige machen wollen. Eine Arbeit, die für die Sauberkeit unserer Dörfer und Städte unerlässlich ist. Wie würde eine Stadt aussehen, wenn die Angestellten der Müllentsorgung streikten? In der Stadt Bern hat die Müllabfuhr vor Jahren einmal nur einen Tag lang ihre Arbeit niedergelegt. Es gab ein immenses Chaos. Meinrad Schuler (82) arbeitete 32 Jahre lang bei der Strassenreinigung und der Müllabfuhr in Thun – bei der «Ghüderabfuer», wie er sie nennt. Heute ist der Mann im Ruhestand. Seine Erinnerungen an die Anfänge verflüchtigen sich langsam. Das Thema Müll beschäftigt ihn trotzdem bis heute.
Meinrad Schuler, in 32 Jahren hat sich in der Kehrichtentsorgung wohl einiges verändert?
Meinrad Schuler: Ja, da hat sich viel verändert. Wir hatten damals noch keine Maschinen, nur schwere unhandliche Schubkarren. Wir kehrten mit Besen. Manchmal brauchte ich an einem Tag vier davon. Wenn sie ganz dürr waren, mussten wir sie zuerst in Wasser einlegen. Wir holten die Besen mit einem Lastwagen in Zürich ab. Dort wurden sie in einem Blindenheim produziert.
Wie sah Ihr Alltag zu Beginn aus?
Ich hatte keine besondere Ausbildung. Zu Beginn war ich Wegmeister. So nannte man damals jene, welche die Strassen reinigten. Da war man alleine unterwegs, nicht in Gruppen wie heute. Die Karren waren extrem schwer. Wir mussten auch dem Trottoir entlang Gras entfernen, alles von Hand. Die Kehrichtabfuhr war separat. Da half ich jeweils auch aus. Bei den Containern musste man immer aufpassen, dass sie nicht in den Wagen hineinfielen. Unfälle gab es zum Glück aber nie.
Die Arbeit war früher körperlich sicher viel anstrengender.
Früher gab es keine Müllwagen wie es sie heute gibt. Mit den schweren Schubkarren brauchte man viel länger, und es musste immer schnell gehen. Deshalb haben wir immer ein Wettrennen gemacht, wer schneller fertig ist. Unser Arbeitsalltag war damals halt «strenger». Heute haben sie es viel einfacher, weil die Arbeit körperlich weniger anstrengend ist. Zudem gab es bei uns viel mehr Asche, die wir entsorgen mussten. Es gab damals auch diese strikte Trennung von verschiedenen Arten von Müll nicht. Wir mussten zum Teil ganze Möbel mit der Müllabfuhr mitnehmen.
Die Stadt wurde also komplett von Hand gereinigt. Sogar nach grossen Festen?
Nach Stadtfesten begannen wir jeweils morgens um drei Uhr mit Putzen. Manchmal mussten wir an Samstagen oder Sonntagen aushelfen.
Wurden Sie auch mal mit unerfreulichen Begegnungen konfrontiert?
Am Schlossberg war das mit diesen schweren Karren jeweils hart. Ich musste sie zu Fuss in den Park hochschieben. Oben begegnete ich dann den «Haschbrüdern». Sonst begegnete man dort vor allem Fremden, die nach dem Weg fragten oder unsere Arbeit kommentierten. Auf dem Schlossberg musste ich oft Unkraut jäten. Reklamieren durften wir nie, wenn jemand viel Müll liegen liess. Sonst hiess es: «Dafür seid ihr ja da», oder man riskierte, angegriffen zu werden.
Ich spürte oft, dass man unsere Arbeit wertschätzte.
Gab es erfreuliche Begegnungen?
Am liebsten ging ich nach den Festtagen bei den Leuten den Abfall holen. Dann erhielten wir immer Geschenke. Zusätzlich hatten sie dann viel weggeworfen, was wir noch brauchen konnten, auch Essen. Manche von uns nahmen auch mal noch etwas mit nach Hause. Ich spürte oft, dass man unsere Arbeit wertschätzte. Ab und zu gabs sogar einen Kaffee oder einen Znüni. Einmal erhielt ich sogar einen Dankesbrief.
Haben Sie mal ein Möbel behalten?
Wir stiessen einmal auf einen wunderschön verzierten kleinen Holztisch. Ich konnte ihn aber leider nicht mitnehmen, weil wir zu Hause keinen Platz dafür hatten.
Ihre Erinnerungen klingen durchaus positiv.
Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern. Aber ob es eine gute Zeit war? Wir mussten halt einfach arbeiten und durften nicht reklamieren oder uns gross beklagen, sonst hätten wir eine neue Stelle suchen können. Einer meiner Mitarbeiter kam oft betrunken zur Arbeit. Ihm wurde daraufhin gekündigt.
Und wie war es eigentlich mit der Bezahlung?
Ein Holländer meinte einmal zu mir, dass dieser Job bei ihnen gut bezahlt sei. Bei uns verdiente man fast nichts, vor allem, wenn man keine Berufslehre vorweisen konnte. Meine Familie hatte früher wenig Geld. Wir konnten nicht alle eine Ausbildung machen, sondern mussten gleich Geld verdienen. Dafür hatten wir auch weniger Lohn. Es war nicht einfach.
Manchmal kam da ein riesiger Gestank raus, vor allem bei Zahnarztpraxen.
Wenig Geld für eine oft sehr unangenehme Arbeit also?
Es war oft eklig, aber man gewöhnte sich daran. Zu Beginn schauten wir ab und zu in die Säcke, ob da etwas drin war, das man noch essen konnte. Das durften wir später nicht mehr, weil man nicht in private Dinge schauen dürfe. Manchmal kam da ein riesiger Gestank raus, vor allem bei Zahnarztpraxen. Oft hatte es auch Glas im Müll, an dem ich mich schnitt.
Achten Sie auch heute noch darauf, ob die Strassen wirklich sauber sind?
Bei uns damals war immer alles sauber; das ist heute nicht mehr der Fall. Es gab damals zwar weniger Plastik, aber an den Wochenenden war immer eine riesige Sauerei. Die Leute liessen alles liegen. Aber früher gab es diese Fast-Food-Sachen nicht. Diesen Unterschied sieht man auf der Strasse.