Gaby Jordi (66), Zoé

Zoé: Auf meinem Handy habe ich eine App, die heisst «Meine Freunde suchen» und soll mir helfen, den Überblick über meine FreundInnen zu behalten.
Für mich klingt das eher nach Kontrolle. Wieso sollte ich über eine App verfolgen, was meine FreundInnen gerade wo mit wem machen – mir fällt wirklich kein plausibles Argument ein, das dafür spräche. Freundschaften bereichern unser Leben; manchmal machen sie es überhaupt erst lebenswert. Meine besten FreundInnen sind für mich wie eine zweite Familie: sie sind immer für mich da, sind unterstützend und geduldig, loyal und kritisch, authentisch und vertraut. Kurz: Sie sind unentbehrlich.
Durch Facebook, Twitter und Co. hat das Wort Freundschaft ein Stück weit seine Bedeutung verloren: Plötzlich ist die halbe Welt miteinander «befreundet». Ich finde, es ist an der Zeit, den Begriff Freundschaft neu zu definieren!
Gaby, was macht deiner Meinung nach eine gute Freundschaft aus?
Gaby: Ich stimme dir zu: «Freundschaften» in den Sozialen Medien sind nicht einfach Freundschaften. Wie ist es möglich, dutzende, gar hunderte von Freundschaften digital zu «bewirtschaften»? Viel mehr als ein «gefällt mir»-Klick liegt bei solch inflationärer Freundschaftspflege wohl kaum drin. Für mich bedeutet Freundschaft mit einem Menschen, ein Vertrauensverhältnis zu haben und den persönlichen Austausch von Gedanken zu pflegen. Ich darf mich ihm auch im Krisenmodus zumuten. Freund oder Freundin ertragen mich auch mal, wenn sich meine unausstehlichste Seite zeigt.
Freundschaften können sich aus langjährigen Kontakten entwickeln. Menschen können sich manchmal durch die unterschiedlichen Lebensumstände vorübergehend verlieren, sich wieder finden, um dort anzuknüpfen, wo sie sich aus den Augen verloren haben. Es ist ein Geschenk, wenn es einem gelingt, auch in späteren Lebensphasen neue Freundschaften zu knüpfen und zu pflegen. Freundschaften sind Übungsfelder auch gegen Vereinsamung und Isolation im Alter. Für dich sicher kein Thema in deinem jugendlichen Unterwegssein. Zoé, hast du schon erlebt, dass Freundschaften zerbrochen sind, und wenn ja, weshalb? Und gleich noch eine andere Frage: Was ist für dich der Unterschied zwischen FreundInnen und Bekannten?
Zoé: Nein, ich habe noch nicht erlebt, dass Freundschaften zerbrochen sind. Vielleicht hat das aber auch damit zu tun, dass ich die Bezeichnung «FreundIn» sehr genau nehme und bedacht anwende. FreundInnen sind wirklich nur die Menschen, die mir am nächsten stehen. Alles andere sind KollegInnen oder – wie du sagen würdest – Bekannte.
Wie gross der Unterschied zwischen FreundInnen und KollegInnen tatsächlich ist, wurde mir erst in den letzten sechs Monaten klar. Eine Freundin, ein Freund ist für mich ein Mensch, der mich so nimmt wie ich bin, der mir aber auch ins Gesicht sagen kann, wenn ihn etwas an mir stört und der trotzdem immer zu mir hält. Eine Freundschaft entsteht nicht von heute auf morgen. Sie wächst gleich einer Pflanze, wird immer grösser und stärker und ihre Wurzeln wachsen immer tiefer. Man muss sie giessen und pflegen und viel Geduld aufbringen, damit sie gut wächst. In diesem Sinne sind kollegiale Beziehungen für mich kleine, zarte Pflänzchen. Manchmal erwachsen aus ihnen Freundschaften, manchmal gehen sie ein. Wie pflegst du eine Freundschaft, Gaby?
Gaby: Du beschreibst mit der Pflanzenmetapher wunderschön, wie anspruchsvoll Freundschaftspflege sein kann. Ich spinne deine Metapher gerne weiter: Meine Giesskanne steht fast immer bereit, um Freundschaftswurzeln zu giessen. Allerdings musste ich lernen, meine Giessaktionen zu dosieren. Ich spüre heute besser, ob der Austausch mit einer Person auf mich nährend, inspirierend wirkt oder mich auslaugt, mir meine Energie raubt.

In solchen Situationen finde ich es wichtig, mich abzugrenzen, wenn ich mich überfordert fühle. Sich selber Sorge tragen in einer (Freundschafts-)Beziehung, finde ich wichtig. Auch erachte ich Geduld als kostbar. Allerdings wurde mir diese Tugend nicht unbedingt in die Wiege gelegt… Um auf deine Frage zurückzukommen: Mir ist der Austausch in einer Freundschaft sehr wichtig. Welche Menschen inspirieren dich? Welche Eigenschaften, Interessen teilen deine FreundInnen mit dir?
Zoé: Sie haben nicht unbedingt immer dieselben Interessen wie ich, aber genau das macht eine Freundschaft doch auch spannend. Meine FreundInnen sind sehr unterschiedlich. Was sie aber verbindet, ist, dass sie alle sehr eigenständig sind und ihre Werte überzeugt vertreten. Sie sind weltoffen und hinterfragen trotzdem kritisch; sie sind begeisterungsfähig und originell, humorvoll und kreativ. Und genau solche Menschen inspirieren mich! Da sie alle ungefähr in meinem Alter sind, teilen wir trotz allen Unterschieden immer wieder ähnliche Interessen zur selben Zeit. Mit den meisten meiner jetzigen FreundInnen bin ich aufgewachsen. Wir kennen uns also schon fast unser ganzes Leben lang und konnten uns quasi beim Wachsen zusehen.
Gaby, hast du FreundInnen, die dich schon dein ganzes Leben begleiten? Und wenn ja, wie unterscheiden sich diese Freundschaften von anderen?
Gaby: Ich habe eine Handvoll Menschen, welche einen langen, freundschaftlichen Weg mit mir gegangen sind und immer noch gehen. Nicht mit allen teile ich dieselben Interessen, das finde ich anregend. Es ist bereichernd für mich, wenn ich mich auf die sehr unterschiedlichen Charaktere einzustellen vermag. Die einen sind extrovertiert, andere das völlige Gegenteil. Die einen teilen meine Bewegungsfreude, andere begleiten mich in Ausstellungen, zu Konzerten, ins Kino… Bei mir reicht nur eine einzige Freundschaft zurück in die Schulzeit. Eine Freundin, die mit mir die kaufmännische Lehre absolviert hat, ist leider vor zwei Jahren verstorben. Die Freundschaften unterscheiden sich dadurch, dass jedeR meiner FreundInnen ein Individuum ist mit eigenem Lebensrucksack, eigenen charakterlichen Eigenheiten, Marotten und Liebenswürdigkeiten. In diesem menschlichen Kaleidoskop bewege ich mich und mute mich meinen FreundInnen zu. ☐