
Umzugskartons, welche seit Monaten in meinem Zimmer stehen. Die Lampe, welche immer noch nicht funktioniert. Und die Zimmerpflanze, welche sich noch an den Mangel an Sonnenlicht in einer etwas düsteren Dachwohnung gewöhnen muss. Die Blätter, am Welken, hängen schlaff. Die ersten Mahnungen, welche reinflattern, nachdem kein Mensch sich für die Post im Briefkasten verantwortlich gefühlt hat. Niemand da, welcher mir dreinreden kann, ausser ich selbst.
Mit einem schiefen Grinsen sitze ich auf meinem Bett und fühle mich – frei. Frei von jeglicher Norm, dem Müssen, dem «So-sein-Sollen, wie man halt als Mensch in dieser Gesellschaft lebt». Das hier, das hier ganz allein ist mein Ort. Meine Oase, welche ich nach Gutdünken gestalten kann. Hier darf ich das Handtuch auch als Geschirrtuch benützen. Hier darf ich die Krümel vom Frühstück mit dem Fuss unter die Dielen schieben. Hier darf ich jeden Abend vor meiner Lieblingsserie auf dem Sofa essen. Und hier darf das Sofa im Wohnzimmer auch einfach aus Karton und Matratze bestehen, da bequem und leicht. Aber hier muss ich selber den Bioabfall nach zwei Monaten entsorgen, schreiend, da er plötzlich lebt. Hier muss ich die Wäsche immer selber machen, auch wenn ich eigentlich krank bin oder lieber andere Dinge täte. Hier muss ich Verantwortung für mich selber übernehmen.

Die freie Wahl
Doch diese Freiheit, die kann mir niemand mehr nehmen. Nur wenn meine Mutter auf Besuch kommt und entsetzt feststellt, dass wir in unserer Wohngemeinschaft lediglich ein Handtuch in der Küche haben – und dieses auch als Geschirrtuch benützen, dann werde ich jeweils etwas gereizt, fühle mich in meiner Unabhängigkeit eingeschränkt. Doch dieser Unmut schwindet schnell, wenn die Mutter dann ein frisches Abendessen auspackt mit den Worten: «Sonst isst du ja nie Gemüse».
Klar, jetzt könnte ich sagen: «Ganz frei bin ich ja doch nicht: Ich habe MitbewohnerInnen». Zuhause, früher, da war alles klar. Ich wurde geboren, hatte diese Eltern, diese Geschwister und wohnte in diesem wunderschönen alten Haus auf dem Land. Doch dann, ganz plötzlich, war man erwachsen, das Nest war immer weniger bequem und ich musste mich auf neue Mitmenschen einlassen. Ich konnte auswählen, mit wem ich eine Wohnung mieten wollte, Freundinnen, welche ich seit einigen Monaten im Studium kannte, alles neu und wenig bekannt. Doch wir drei, alle in der gleichen Situation, weg von zuhause in die Zukunft, wir fühlten uns so frei. Und wenn mich heute meine Mitbewohnerin dezent, vielleicht auch etwas passiv-aggressiv, auf das dreckige Bad anspricht, empfinde ich dies überhaupt nicht als freiheitseinschränkend. Schliesslich fühle auch ich mich wohler in einer sauberen Wohnung, und sie ist einfach die gute Seele, welche mir vielleicht doch manchmal noch etwas Struktur vermittelt.
Das Grösste und Schönste, was mir mein Auszug von zuhause geschenkt hat, ist eine eigene Katze. Nie durften wir ein maunzendes Wesen bei uns haben, da das Haus direkt an einer Hauptstrasse liegt und die Mieze dort wahrscheinlich nur einige Wochen überlebt hätte. Diese Unabhängigkeit, selber über so etwas entscheiden zu dürfen, braucht Mut, aber ist es sicherlich wert.
So liege ich da, mit dem schnurrenden Fellknäuel bei den Füssen, auf dem knarzenden Kartonsofa, und lächle wieder vor mich hin. Den Auszug von zuhause habe ich nur in schöner Erinnerung.
Hinweis: Melina Hasler und Charlotte Häfeli haben ihre Texte über Freiheitsgefühle im Tandem geschrieben. Charlotte Häfelis Text trägt den Titel: Ein Haus der Freiheit.